Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Brennen für die Heimat

Gin aus Bonn, Kümmel aus Köln, Wodka aus Düsseldorf: Kleine Schnapsbre­nnereien legen Wert auf lokalen Bezug, hippes Design und Qualität.

- VON MILENA REIMANN

Bonn schmeckt blumig, Köln eher frisch. Brüggen sanft, Düsseldorf hingegen mild und ein wenig süßlich – wenn man sich an den Beschreibu­ngen der Spirituose­n orientiert, die in den jeweiligen Städten gebrannt werden. In den vergangene­n Jahren sind im Rheinland zahlreiche dieser lokalen Spirituose­nmarken entstanden – obwohl der Konsum in Deutschlan­d seit Jahren bei jährlich rund 5,5 Litern pro Kopf stagniert.

„Craft Spirits“nennt man die handgemach­ten Erzeugniss­e der kleinen Brennereie­n. Die Hersteller legen vor allem Wert auf hohe Qualität. Gleich siebenfach destillier­t ist zum Beispiel der Düsseldorf­er Wodka „W“(sprich englisch: Double-U). Günstiger Wodka, sagt Hersteller Raimund Schmelzer, sei gerade einmal zweifach destillier­t. „Da sind dann noch Fuselöle drin, davon bekommt man die Kopfschmer­zen“, erklärt er. Beim Double-U sei das nicht so. Eine weitere Besonderhe­it: Der Düsseldorf­er Wodka wird bei der Herstellun­g nicht gefiltert. Das Filtern, das dem Getränk vor allem Kalzium entziehen und so die Wasserhärt­e senken soll, sei beim Double-U nicht nötig. Denn das Wasser, mit dem das „Wässerchen“hergestell­t wird, stammt aus der Quelle eines österreich­ischen Naturschut­zgebiets, es ist weich und kalziumarm. „Die Zutaten müssen von vornherein so gut sein, dass man nichts mehr filtern muss“, ist Schmelzer überzeugt. Übrigens sei sein Wodka dadurch sogar vegan – denn Filtern würde man in der Branche oft mit Eiweiß.

Es sind solche Details, die die Käufer interessie­ren. Das Interesse an Craft Spirituose­n habe auch deshalb zugenommen, weil die Menschen sich immer stärker mit den Produkten beschäftig­en, die sie konsumiere­n, weiß Angelika Wiesgen-Pick vom Bundesverb­and der Deutschen Spirituose­n-Industrie (BSI). „Konsumente­n schätzen außerdem das Handwerk und den Traditions­gedanken“, sagt sie.

Zwar sind viele der kleinen Spirituose­nmarken erst seit wenigen Jahren auf dem Markt, doch einige generieren ihr Image aus Tradition und Lokalkolor­it. So bezieht sich Siegfried Rheinland Dry Gin aus Bonn auf die Nibelungen­saga. Der Held Siegfried galt demnach durch ein Bad in Drachenblu­t als unbesiegba­r. Nur an einer Stelle zwischen den Schultern, auf die ein Lindenblat­t gefallen war, war er verwundbar. „Ein Lindenblat­t hat keine leckeren Aromen, deswegen haben wir Lindenblüt­en genommen“, erklärt eine Sprecherin der Brennerei den Zusammenha­ng zwischen dem Namen des Gins und dem Rezept. Lindenblüt­en sind normalerwe­ise kein Bestandtei­l des Kräuterbra­ndes, dessen Geschmack vor allem von Wacholder geprägt wird.

Der Gin und seine Geschichte finden inzwischen sogar im Ausland Anklang. „Die Japaner stehen total auf das Design, die Amerikaner auf die Geschichte“, sagt die Sprecherin. Die beiden Länder seien die größten Absatzmärk­te des Rheinland-Gins im Ausland. Doch auch hierzuland­e stehe in jeder guten Großstadtb­ar ein Siegfried-Gin. Auch bei ihm spielt Qualität eine große Rolle: „Wie bei jedem hochwertig­e Gin verwenden wir fast nur Bio-Zutaten“, sagt die Sprecherin. Viele Kräuter bezieht die Destilleri­e aus der Region.

Ganz regional ist auch der Chorweiler Kümmel aus Köln. Das Getränk zeigt gleich zwei Trends der Craftszene auf: Lokalbezug – denn Chorweiler ist ein Stadtteil von Köln – und das Neuentdeck­en alter Brände. Denn Kümmel zählt nicht gerade zu den beliebtest­en Schnäpsen der Deutschen. Gin, Wodka, Rum und Whiskey stehen laut BSI hingegen hoch im Kurs. Warum also Kümmel? „Wir wollen das Image des Kümmels aufpoliere­n“, sagt Johannes Hartmann, einer der drei Erfinder des Chorweiler Schnapses. Dazu haben sie das Rezept leicht abgewandel­t und Bergamotte aus Italien hinzugefüg­t, die für Zitrusarom­a sorgen soll. „Man hat so nicht mehr das typisch Kratzende“, sagt Hartmann. Aufwerten wollen sie durch ihren Schnaps auch den Stadtteil Chorweiler. Zwar haben sie dort selbst nie gewohnt, doch viele Freunde von ihnen kommen von dort. „Chorweiler ist mehr als nur Beton“, sagt Hartmann. Das kann man jetzt auch schmecken. „Ein sanfter Brand mit frischem, mildem Aroma“, sagt Hartmann ganz fachmännis­ch.

Dabei hatten auffallend wenige der Craft-Spirit-Hersteller vor ihrer hochprozen­tigen Idee einen Bezug zur Branche. Schmelzer, der den Düsseldorf­er Wodka produziert, kommt eigentlich aus dem Designbere­ich. Die Erfinder des Siegfried Gin waren Banker und haben Internet-Start-ups beraten. Für die drei Kölner, die Jura studierten und in der Gastronomi­e arbeiteten, war es eine Art „Jugendtrau­m“, einen Schnaps auf den Markt zu bringen. Und auch für Carsten und Lena Richter, die eigentlich mit Mode handeln, war es eine „Herzenssac­he“. In Brüggen, an der Grenze zu den Niederland­en, haben sie mit ihrem Label Storch Manufaktur einen Korn auf den Markt gebracht. „Auf den Gin-Zug wollten wir nicht aufspringe­n“, sagt Carsten Richter. Als das Paar in einer Bar in New York eine Flasche deutschen Korn entdeckte, war die Sache klar. „Wir leben in einer Region mit traditione­llem Kornanbau“, sagt Richter. Nun reift der Korn ein Jahr in Eichenfäss­ern, bevor er in stylischen Glasflasch­en verkauft wird. „Wir versuchen, aus dem Opa-Getränk ein Lifestyleg­etränk zu machen“, sagt er.

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