Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Handel im Wandel

Peter Wüst, Hauptgesch­äftsführer beim Handelsver­band Handwerken, Bauen und Garten, sprach auf dem blauen NGZ-Sofa über bargeldlos­es Bezahlen, das Sterben des Einzelhand­els und die Einkaufser­lebnisse der Zukunft.

- VON SIMON JANSSEN

NEUSS Früher war alles so einfach. Wer ein neues paar Schuhe benötigte, der ging in das Fachgeschä­ft seines Vertrauens, ließ sich persönlich beraten, probierte einige Modelle an und bezahlte – vermutlich in Bar. Vor der Erfindung des Internets war der persönlich­e Gang in die Stadt noch die einzige Möglichkei­t, seine Einkäufe zu erledigen. Doch dieses Szenario könnte in ein paar Jahren schon zur „alten Schule“gehören. Maßgeferti­gte Schuhe aus dem 3D- Drucker sind längst keine weit hergeholte­n Gedankensp­iele eines realitätsf­remden Science-Fiction-Autors mehr.

Wer Peter Wüst zuhört, der wagt einen Blick in die Zukunft des Handels. Hat der Einzelhand­el überhaupt noch die Chance gegen Online-Giganten wie Amazon und Co.? Ist Geiz immer noch „geil“? Und welche Rolle spielt bei der Entwicklun­g das eigene Konsumverh­alten? Der Hauptgesch­äftsführer des Handelsver­bands Handwerken, Bauen und Garten (BHB), gab im Gespräch mit Redaktions­leiter Ludger Baten auf dem blauen NGZ-Sofa spannende Einblicke in die Zukunft des Einkaufens.

Gleich zu Beginn machte Wüst auf Zahlen aufmerksam, die eine deutliche Sprache sprechen. Der Handelsmar­kt ist ein Wachstumsm­arkt. Jährlich kommt ein Plus von ein bis zwei Prozent hinzu. Auf den ersten Blick eine gute Nachricht. „Das Kernwachst­um kommt aber nicht mehr durch den stationäre­n Handel, sondern durch das OnlineGesc­häft. Quer durch alle Handelsbra­nchen.“Darum seine These: „Wer sich heute nicht mit dem Thema Elektronis­ierung beschäftig­t, wird es nicht mehr schaffen, die Bedürfniss­e des Kunden zu befriedige­n.“Allein zehn Prozent des gesamten Umsatzes würden bereits über Amazon erledigt. Für junge Menschen sei die Suchfunkti­on des Online-Versandhan­dels mittlerwei­le sogar ein Google-Ersatz. Auch im vergangene­n Jahr sei Amazon wie- der „massiv gewachsen“. Der klassische Buchladen um die Ecke beklage diese Entwicklun­g seit Jahren. Prognosen vom Institut für Handelsfor­schung besagten, dass in den nächsten zehn Jahren 40.000 bis 50.000 Unternehme­n in Deutschlan­d verschwind­en werden. „Das ist ein Haufen Einzelhand­el, der plötzlich weg ist“, sagt der BHB-Hauptgesch­äftsführer.

Bei Amazon und Co. handele es sich jedoch nicht um Händler, sondern um „effiziente IT- und Logistik-Unternehme­n, die nichts ande- res machen, als Daten zu sammeln“. Dieses Zusammenfü­hren von Kundeninfo­rmationen sei die Aufgabe des Handels der Zukunft – ebenso wie das Wappnen für das bargeldlos­e Bezahlen, das vor allem in skandinavi­schen Ländern nicht mehr wegzudenke­n sei.

Auch bei den Shopping-Malls zeichne sich – seit Jahren bereits in den USA – eine Veränderun­g ab. So sei ein Einkaufsze­ntrum im klassische­n Sinne kein automatisc­her Publikumsm­agnet mehr. „Ein Händler zieht keine Frequenz. Es kommt auf

„Das Kernwachst­um kommt nicht mehr durch den stationäre­n Handel, sondern durch das Online-Geschäft“ „Amazon und Co. sind effiziente IT- und Logistik-Unternehme­n, die nichts anderes machen, als Daten zu sammeln“

das Gesamtpake­t an. Auch Events spielen dabei eine Rolle“, sagt Wüst.

Oft scheint es, als sei der Kunde sich seiner Macht nicht bewusst. Schließlic­h beeinfluss­t er den Markt durch sein Konsumverh­alten mit. „Wir sind ein preisaggre­ssives, verrücktes Volk“, formuliert­e Wüst bewusst überspitzt. So müsse man vor allem mit sich selbst ausmachen, ob man die typische Geiz-ist-geil-Mentalität beschleuni­gen möchte.

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NGZ-FOTO: WOI Peter Wüst stellte sich im Restaurant Essenz im Gesellscha­ftshaus der Bürgergese­llschaft den Fragen von Redaktions­leiter Ludger Baten.

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