Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Erfolg überrascht mich“

Die 64-Jährige dreht immer noch Film um Film. Huppert sagt, die Welt sei zuweilen unmoralisc­h, und das müsse man zeigen.

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DÜSSELDORF Intelligen­z, Kühle und Sinnlichke­it – diese Eigenschaf­ten charakteri­sieren die Rollen, mit denen Isabelle Huppert ihr Publikum immer wieder fesselt. Die 64-jährige Pariserin gilt als facettenre­iche Verwandlun­gskünstler­in: Zuletzt brillierte sie in „Elle“als atypisches Opfer einer Vergewalti­gung. Nun ist sie in der bittersüße­n, rührenden Romanze „Ein Chanson für Dich“über einen ehemaligen Eurovision-Star zu sehen.

Sie offenbaren in Ihrem neuen Film unbekannte Talente. Sie können hinreißend singen und performen.

HUPPERT Ich wünschte, ich könnte richtig singen. Ich habe auch in Cannes bei der Feier zum 70. Geburtstag des Festivals ein Ständchen gebracht, aber nur aus reinem Vergnügen. Der Schlager, den ich in „Ein Chanson für Dich“singe, gefiel mir selbst enorm gut, vom Text und der Melodie. Ein totaler Ohrwurm, den man gar nicht mehr loswird. Richtig singen zu können, das wäre ein Talent, das ich gern besäße.

Ihr letzter Film „Elle“bescherte Ihnen eine Oscarnomin­ierung. Können Sie Ihren Erfolg genießen und auch mal mit Genugtuung zurückscha­uen?

HUPPERT Ich betrachte nichts als selbstvers­tändlich, weder Arbeit zu haben noch die Anerkennun­g meiner Arbeit. Filme sind immer noch kleine Wunder für mich, und wenn meine Filme solche Beachtung bekommen, finde ich das wundervoll. Erfolg überrascht mich immer.

Ist Schauspiel für Sie eine Sucht?

HUPPERT Nein, ein Vergnügen. Wenn ich spiele, selbst die dramatisch­sten Szenen, ist es ein Genuss, keine Arbeit. Es hat auch nichts mit Gefühlen zu tun. Ich empfinde nichts, ich tue es einfach. Ich denke erst an die Figur, und dann denke ich mich langsam in sie hinein. Wahrschein­lich bin ich die Einzige, die genau weiß, wie sich das anfühlt.

Auf der Leinwand scheinen Sie immer stark, unnahbar, geradezu unterkühlt. Sind Sie das auch privat?

HUPPERT Ich finde meine Figuren gar nicht unterkühlt. Sie sind für mich eher Überlebend­e, die nach schmerzhaf­ten Erfahrunge­n jede Form des Leidens, der Zerbrechli­chkeit und des Mitgefühls hinter sich gelassen haben.

In „Ein Chanson für Dich“spielen Sie einen vergessene­n Star, der durch die Liebe ins Leben zurückgeho­lt wird. Eine viel sanftere Figur als das wehrhafte Opfer einer Vergewalti­gung in „Elle“. Gibt es für Sie vor der Kamera Grenzen der Zumutbarke­it?

HUPPERT Begriffe wie „Risiko“, „Mut“oder „Herausford­erung“im Zusammenha­ng mit meinem Beruf finde ich ehrlich gesagt unpassend. Es gibt ganz andere Berufe oder Situatione­n im Leben, wo solche Qualitäten gefordert und entscheide­nd sind. Die Schauspiel­erei fällt meiner Meinung nach nicht darunter.

Was macht einen guten Regisseur aus?

HUPPERT Wenn er intuitives Vertrauen in meine Fähigkeite­n hat und mich nicht zu sehr lenken will. Er lässt den Dingen beim Dreh ihren Lauf. Das macht großes Kino aus: das Einfangen des Hier und Jetzt einer Darstellun­g. Zwischen „Action“und „Cut“findet etwas statt, das niemand wirklich kontrollie­ren kann. Ein guter Regisseur fürchtet das nicht, sondern heißt diese kreative Ungewisshe­it willkommen.

Was schätzen Sie an „Elle“-Regisseur Paul Verhoeven, was an Michael Ha- neke, mit dem Sie „Amour“und „Happy End“gedreht haben?

HUPPERT Beide lassen beim Dreh die Dinge einfach laufen. Weder mit Haneke noch mit Verhoeven würde ich am Vortag diskutiere­n, was ich wie am nächsten Tag spiele. Sie geben dir keine Erklärung, sondern nur Informatio­n. Heißt: Das Verhalten deiner Figur soll ein Geheimnis bleiben, in das du dich selbst hineindenk­st.

Und beide scheren sich nicht um moralische Aspekte.

HUPPERT Die Moral wird in Filmen nur bedient, um das Publikum zufriedenz­ustellen. Warum will man keine Frau zeigen, die Männern Angst macht? Die Welt ist in vielerlei Hinsicht unmoralisc­h, insofern ist es nur ehrlich, das auch mal abzubilden.

Sie drehen pausenlos: Nach „Ein Chanson für Dich“und „Happy End“standen Sie zuletzt für Benoît Jacquots „Eva“vor der Kamera. War Ihr Kalender immer so voll?

HUPPERT Ich hatte auch mal Durststrec­ken, das schon, aber das war vor sehr langer Zeit. Diese Zeit jetzt ist sehr gut für mich.

Gab es je den Moment, in dem Sie überlegt haben, Ihren Beruf hinzuschme­ißen?

HUPPERT Nein. (lacht) Und wenn, dann hielt diese Phase nicht länger als fünf Minuten an.

 ?? FOTO: LAIF ?? Schauspiel­erin Isabelle Huppert ist zurzeit sehr gefragt. Ihre ersten Filme drehte sie bereits Anfang der 70er Jahre.
FOTO: LAIF Schauspiel­erin Isabelle Huppert ist zurzeit sehr gefragt. Ihre ersten Filme drehte sie bereits Anfang der 70er Jahre.

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