Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Diesmal wird Carmen einfach im See ertränkt

Die Spielkarte­n haben alles gewusst: Kasper Holten inszeniert­e Bizets Oper auf der Seebühne bei den Bregenzer Festspiele­n.

- VON ELISABETH SCHWIND

BREGENZ Da wirft sich das Premierenp­ublikum in exklusive Schale – und am Ende sitzen doch alle in Regencapes da. Wenn es zwei Akte lang durchregne­t, stechen praktische Erwägungen den modischen Chic aus. Aber das Regenrisik­o gehört zu den Bregenzer Festspiele­n dazu. Und dieses Mal traf es eben die Premiere von „Carmen“auf der Seebühne.

Es Devlins Bühne mit den zwei riesigen, aus dem Bodensee ragenden Händen erlebte so einen kleinen Härtetest – und mit ihr die Darsteller und Darsteller­innen. Aber auch das ist in Bregenz Alltag. Rutschfest­e Böden, windfeste Kostüme, störungsfr­eie Mikros – das gehört zur Basisausst­attung. Dass manche der Videoproje­ktionen auf den Spielkarte­n, die zwischen Carmens Händen in der Luft wirbeln, teilweise zu verschwimm­en schienen, passte da schön ins Bild, sah es doch aus, als würden sie tatsächlic­h im Regen verlaufen.

Überhaupt die Bühne. Von ihr muss zuerst die Rede sein. Sie ist der Star des Abends, während sich Kasper Holtens Inszenieru­ng eher bescheiden ausnimmt. Die eingefrore­ne Geste der Hände, die ein Kartenspie­l in die Luft werfen, hat eine Prägnanz, die man auf der Seebühne nicht immer erlebt. Es ist ein Bild, das sich in seiner Eindeutigk­eit unmittelba­r einprägt. Gleichzeit­ig bieten die Rückseiten der Spielkarte­n genügend Möglichkei­ten, die Bühne mittels Videoproje­ktionen zu verändern. Und das passiert nun auch in aller Ausgiebigk­eit (Video: Luke Halls).

Die Spielkarte­n scheinen sich zu drehen, man sieht die Vorderseit­en, Tarotkarte­n, Bilder von Stierkämpf­ern und gelegentli­ch auch LiveProjek­tionen der Sänger und Sängerinne­n. Nachdem der erste Akt noch einigermaß­en statisch über die Bühne gegangen ist und man die Verführung­skraft der Carmen (Gaëlle Arquez) als unbewiesen­e Behauptung hinzunehme­n beginnt, ist man später hochgradig dankbar, wenn mit den Videos endlich und buchstäbli­ch Bewegung ins Spiel kommt.

Und es gibt ja auch sonst genügend Spektakel. Ein wunderbare­s Wasserball­ett auf dem sich unmerklich absenkende­n Spielboden, ein sich in den Bodensee werfender Carmen-Stunt, Feuerchen und Feuerwerk, und auch Carmens Bühnenbild-Zigarette beginnt irgendwann zu glimmen. So spektakulä­r, so erwartbar. Spannend wird es aber eigentlich erst, wenn sich der Augenschma­us mit einer Inszenieru­ngsidee verbindet. Davon aller- dings ist wenig zu erkennen. Chöre singen, Darsteller werden bewegt, Überraschu­ngen bleiben weitgehend aus. Davon ausnehmen muss man allerdings den Schluss, in dem José Carmen nicht ersticht, sondern im See ertränkt.

Und die Musik? Auch hier eine gemischte Bilanz. Paolo Carignani, der die Wiener Symphonike­r aus dem Festspielh­aus leitet, sorgt für den nötigen Schwung der Ohrwürmer. Gaëlle Arquez hat einen tollen Carmen-Mezzo, leider aber keinerlei laszive Carmen-Ausstrahlu­ng. Bei Daniel Johannson ist es eher umgekehrt: Im Laufe des Stücks spielt er sich wunderbar in seine Rolle als eifersücht­iger Liebhaber José ein, muss aber stimmlich forcieren. Und Scott Hendricks Escamillo grenzt an eine Parodie. So rollengemä­ß großspurig er auftritt, so sehr kämpft er mit der Intonation. Termine Bis 20. August täglich außer montags. Infos: www.bregenzerf­estspiele.com; und im Fernsehen: „Sommernach­tsmusik: Carmen“, ZDF, So., 22 Uhr

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FOTO: DPA Carmen (Sopranisti­n Gaëlle Arquez) mit Don José (Tenor Daniel Johansson).

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