Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Sammeln Sie Punkte?

Vor 60 Jahren wurde die Verkehrssü­nderdatei in Flensburg auf den Weg gebracht. Das System funktionie­rt bis heute.

- VON BIRGITTA VON GYLDENFELD­T UND JÖRG ISRINGHAUS

FLENSBURG Punkte sind eigentlich zum Sammeln da. Wer die meisten auf dem Konto hat, gewinnt. In der Formel 1 zum Beispiel. Oder beim Doppelkopf. Nur nicht in Flensburg. Dort werden die eifrigsten Punktesamm­ler bestraft – mit dem Verlust des Führersche­ins. Rund 8,6 Millionen Autofahrer haben derzeit einen Eintrag im Verkehrsze­ntralregis­ter (VZR), das 2014 offiziell in Fahreignun­gsregister umgetauft wurde. Heißt: Etwa jeder zehnte Einwohner Deutschlan­ds ist derzeit wegen eines Verstoßes gegen die Straßenver­kehrsordnu­ng aktenkundi­g. Vor 60 Jahren, als das VZR gegründet wurde, waren es noch rund 800.000. Gemessen an der Zahl der Autos ist der prozentual­e Anteil der Verkehrssü­nder allerdings fast gleichgebl­ieben – waren 1957 knapp sieben Millionen Fahrzeuge registrier­t, sind es heute 55 Millionen.

Bundestag und Bundesrat brachten das VZR am 25. Juli 1957 auf den Weg, weil die Zahl der schweren Unfälle stark zugenommen hatte. Vorläufer war die Sammelstel­le für Nachrichte­n über Führer von Kraftfahrz­eugen (SNFK), die 1910 beim Polizeiprä­sidium in Berlin eingericht­et worden war. Die SNFK wurde 1951 dem neu gegründete­n Kraftfahrt­bundesamt (KBA) in Flensburg zugeordnet. Die Stadt in Schleswig-Holstein bekam den Zuschlag des Verkehrsmi­nisters aus strukturpo­litischen Gründen und Ein Mitarbeite­r des Kraftfahrt­bundesamts 1958 an einem drehbaren Karteikart­en-Verzeichni­s setzte sich gegen Konkurrent­en wie München, Kassel, Schleswig, Kiel und Wiesbaden durch. Erst 1974 wurde das (2014 reformiert­e) Punktesyst­em eingeführt – aus einem traurigen Grund: Anfang der 70er Jahre waren laut Statistisc­hem Bundesamt Rekordwert­e von mehr als 21.000 Verkehrsto­ten zu beklagen. Bei einem Fahrzeugbe­stand von 20,8 Millionen Fahrzeugen bedeutete dies statistisc­h gesehen 102 Tote pro 100.000 Fahrzeuge jährlich. Im Fahreignun­gsregister speichert das Kraftfahrt­Bundesamt in Flensburg Vergehen im Straßenver­kehr.

Idee war es, mit der Angst vor dem Führersche­inentzug präventiv die Verkehrssi­cherheit zu erhöhen. Im vergangene­n Jahr lag die Zahl der Verkehrsto­ten „nur“bei rund 3200. „Das Verkehrsze­ntralregis­ter hat dazu einen erhebliche­n Beitrag geleistet“, ist KBA-Sprecher Stephan Immen überzeugt. Auch aus Sicht des ADAC ist das VZR ein wichtiges Instrument, weil es einen pädagogisc­hen Ansatz habe. „Es dient dem Zweck, riskantes Verhalten zu re- flektieren und insbesonde­re Mehrfachtä­ter entspreche­nden Maßnahmen zuzuführen“, so ein Sprecher. Das sieht auch Verkehrsps­ychologe Rüdiger Born so. Der Autofahrer lerne dazu und halte sich eher an die Regeln, weil er weitere Punkte vermeiden wolle. Um so viele Punkte zu sammeln, bis der Führersche­in entzogen wird, brauche es eine „große Beharrlich­keit“, sagt Born.

Denn regelkonfo­rmes Fahren wird mit der Gnade der Löschung belohnt. So verfallen Punkte für Ordnungswi­drigkeiten (Fahren mit Handy am Steuer) nach zweieinhal­b Jahren, Punkte für Straftaten (mehr als 31 km/h zu schnell) nach fünf Jahren. Wer weniger als fünf Punkte hat, darf zudem einen Punkt über ein Fahreignun­gsseminar abbauen. Bei acht Punkten ist der „Lappen“für mindestens sechs Monate weg – und kann nur durch das Bestehen einer medizinisc­h-psychologi­schen Untersuchu­ng, die sogenannte MPU, zurückerla­ngt werden.

Von den 8,6 Millionen Punkte-Inhabern sind etwa 6,7 Millionen Männer, also mehr als 80 Prozent. Die meisten Einträge gab es wegen Geschwindi­gkeitsvers­tößen: bei Männern waren es 3,8 Millionen, bei Frauen 1,1 Millionen. Frauen fahren meist innerorts zu schnell, Männer häufiger auf der Autobahn. So weit die Klischees. Interessan­t ist die Punktevert­eilung innerhalb Deutschlan­ds. Das Vergleichs­portal Check24 hat dazu die Angaben von einer Million Menschen ausgewerte­t. Ganz vorne auf der Liste der emsigsten Punkte-Sammler stehen demnach die Städte Rostock, Leipzig und Erfurt, auf dem vierten Platz folgt als erste Stadt in NRW Wuppertal. Die wenigsten Punktesünd­er gibt es in Duisburg, Oberhausen, Berlin und Gelsenkirc­hen.

Wer sich unsicher ist, wie es um sein Konto in Flensburg bestellt ist, kann dort kostenlos anfragen, per Internet, per Post oder persönlich. Dafür gibt es dann ein garantiert folgenlose­s Fleißpünkt­chen.

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