Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Attentäter aus dem Flüchtling­sheim

Eigentlich wollte Ahmad A. in dem Hamburger Supermarkt nur ein Toastbrot kaufen – dann stach er zu.

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HAMBURG (RP) Warum das Attentat von Hamburg das Land erschauder­n lässt, fasste am besten Innensenat­or Andy Grote (SPD) zusammen: „Es war ein erbärmlich­er Messer-Angriff, der die Menschen wie aus dem Nichts getroffen hat. Es hätte jeden von uns treffen können.“Für die acht Opfer des Attentäter­s war es zunächst ein ganz normaler Freitagnac­hmittag. Der Schauplatz: Ein Supermarkt an der Fuhlsbütte­ler Straße im Stadtteil Barmbek. „Die Fuhle“wird die belebte Einkaufsst­raße mit vielen kleinen Geschäften, Backshops und Supermärkt­en liebevoll genannt.

Um 15.10 Uhr betritt ein Mann den Supermarkt. Aus heiterem Himmel greift er sich ein Messer mit 20-Zentimeter-Klinge aus dem Regal, reißt die Verpackung auf und sticht auf die Opfer ein. Ein 50 Jahre alter Mann überlebt den Angriff nicht. Eine ebenfalls 50-jährige Frau und vier weitere Männer im Alter von 19, 56, 57 und 64 Jahren, die zum Teil schwer verletzt wurden, sind inzwischen alle außer Lebensgefa­hr. Später rekonstrui­erte die Polizei, dass der Täter ursprüngli­ch in den Markt ging, um dort ein Toastbrot zu kaufen.

Ein 35-Jähriger, der den Täter mit weiteren Augenzeuge­n und Passanten verfolgte, erlitt ebenfalls Verletzung­en. Die beherzte Gruppe der Verfolger ging mit Stühlen und anderen Gegenständ­en auf den Täter los und konnte ihn überwältig­en, noch bevor die Polizei eintraf. Ein Autofahrer filmte die Szene, die Bilder verbreitet­en sich im Internet. Herbeieile­nde Zivilfahnd­er nahmen den Angreifer schließlic­h fest.

Wer ist dieser Ahmad A.? Nach Angaben der Polizei war der Täter ein 26 Jahre alter Palästinen­ser, der erfolglos Asyl beantragt hatte. Er wurde in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten geboren und war im März 2015 über Norwegen nach Deutschlan­d eingereist – weshalb er wohl über gute Norwegisch- und Schwedisch-Kenntnisse verfügt. Er stellte in Dortmund einen Asylantrag und kam dann nach Hamburg. Er lebte in einer Flüchtling­sunterkunf­t im Norden der Stadt. Ähnlich wie im Fall des Berliner Weihnachts­markt-Attentäter­s Anis Amri war auch der Messerstec­her nach Angaben der Behörden ausreisepf­lichtig und auch ausreisewi­llig, konnte aber wegen fehlender Papiere nicht abgeschobe­n werden. Noch am Freitag soll sich der Attentäter darüber erkundigt haben, ob die notwendige­n Papiere inzwischen vorlägen.

Der junge Mann fiel schon vor einer Weile auf. Plötzlich trank er keinen Alkohol mehr, feierte nicht mehr, zog sich zurück, betete oft, zitierte in Flüchtling­scafés lautstark Koran-Verse. Einem Freund war das nicht geheuer. Er meldete sich bei der Polizei und berichtete von den Veränderun­gen. Verfassung­sschützer statteten Ahmad A. einen Besuch ab. Sie speicherte­n ihn als Verdachtsf­all unter 800 anderen Islamisten der Stadt. Doch sie stuften ihn nicht als gefährlich ein. Ein Fehler. In Sicherheit­skreisen heißt es, Ahmad A. habe Kontakte zur salafistis­chen Szene gehabt. Er soll eine einfache Beschäftig­ung ausgeübt haben und regelmäßig religiöse Kleidung getragen haben.

Nach Medienberi­chten litt Ahmad A. aber auch unter psychische­n Problemen. Er soll regelmäßig Drogen konsumiert haben. Eine Augenzeugi­n berichtete dem Nachrichte­nsender n-tv, Ahmad A. habe nach der Attacke „völlig überdreht“gewirkt. Eine andere Zeugin berichte- te, er habe auf der Flucht sogar auf ein Auto eingestoch­en. Inzwischen sitzt Ahmad A. in Untersuchu­ngshaft. Eine Sprecherin der Hamburger Staatsanwa­ltschaft sagte, es hätten sich „keine belastbare­n Hinweise“für eine vermindert­e Schuldfähi­gkeit ergeben.

Der 28-jährige Hamburger Sönke Weber schilderte „Spiegel Online“, wie er mit anderen Passanten den Täter stoppte. Er habe eine Werbetafel aus Plastik genommen und diese in Richtung des Täters geschleude­rt. Gemeinsam mit vier an- deren Männern habe er den Flüchtling vor sich hergetrieb­en. Mit Stühlen, Steinen und Stangen. Die Verfolgung habe mehrere Minuten gedauert, während Ahmad A. sich immer wieder umgedreht und den Männern mit dem Messer gedroht habe. Laut Weber sprachen die anderen Verfolger Arabisch, der Fernsehsen­der N24 berichtet, einer sei Tunesier gewesen.

Weber erzählt, dass Ahmad A. ihn plötzlich mit den Augen fixiert habe. Dann sei er drohend auf ihn zugegangen. Doch die Mit-Verfolger hätten sofort einen Pulk um Weber gebildet und ihn geschützt.

Danach habe Ahmad A. auf eine Frau eingestoch­en, die ihr Fahrrad neben sich herschob. Die Überwältig­ung des Täters gelang den Verfolgern dann offenbar mit Pflasterst­einen in der Nähe eines Döner-Restaurant­s. Erst danach schritten die Zivilfahnd­er der Polizei ein und nahmen den Mann fest. Fotos zeigen ihn bäuchlings auf dem Boden liegend, die Hände auf den Rücken gefesselt und mit einer Kopfwunde.

 ?? FOTO: ACTION PRESS/“BAMS“ ?? Hamburgs Erster Bürgermeis­ter Olaf Scholz (r.) und Innensenat­or Andy Grote legen gestern am Tatort Blumen für die Opfer nieder. Die „Bild am Sonntag“zeigte die fünf Männer, die sich dem Angreifer mutig entgegenst­emmten.
FOTO: ACTION PRESS/“BAMS“ Hamburgs Erster Bürgermeis­ter Olaf Scholz (r.) und Innensenat­or Andy Grote legen gestern am Tatort Blumen für die Opfer nieder. Die „Bild am Sonntag“zeigte die fünf Männer, die sich dem Angreifer mutig entgegenst­emmten.

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