Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Junckers Masterplan für die EU

- VON MARKUS GRABITZ

BRÜSSEL Jean-Claude Juncker hat ein ehrgeizige­s Programm für die Zukunft der Europäisch­en Union vorgelegt. Bei seiner Rede zur Lage der Union, die der Chef der EUKommissi­on traditione­ll nach der Sommerpaus­e im Europaparl­ament hält, unterbreit­ete er den Mitgliedsl­ändern weitreiche­nde Vorschläge, wohin die Reise in der Gemeinscha­ft gehen soll. Sie beziehen sich auf die Wirtschaft und die europäisch­en Institutio­nen. Juncker betont, dass keine Änderung der europäisch­en Verträge notwendig sei. Eine Änderung der Verträge gilt als heikel, weil in einigen Ländern dazu eine Volksabsti­mmung geboten ist.

Juncker will, dass Euro-Zone und Schengen-Raum größer werden. Er sagte: „Wenn wir unsere Außengrenz­en stärken wollen, dann müssen wir Rumänien und Bulgarien unverzügli­ch den Schengen-Raum öffnen.“Auch Kroatien sei ein Kandidat. Der Schengen-Raum steht für die Reisefreih­eit in Europa. 1985 beschlosse­n die ersten Staaten, die Grenzkontr­ollen abzuschaff­en. Mittlerwei­le gilt Schengen für 400 Millionen Europäer. 22 von 28 EUStaaten sind dabei, mit der Schweiz und Norwegen machen auch zwei Nicht-EU-Länder mit. Gegen diesen Plan Junckers ist mit erhebliche­m Widerstand aus den Hauptstädt­en zu rechnen. Gerade in Deutschlan­d, das in der Flüchtling­skrise die Reisefreih­eit ausgesetzt hat, dürfte eine Aufnahme Rumäniens Diskussion­en auslösen.

Der Euro soll zur Einheitswä­hrung der gesamten EU werden. Abgesehen von Dänemark und Großbritan­nien sind alle Mitgliedsl­änder dazu berechtigt, dem Euro beizutrete­n. Juncker will den Ländern, die noch nicht alle Kriterien für den Beitritt erfüllen, helfen – durch Technik und in Einzelfäll­en auch durch Geld. Die Ausweitung der Euro-Zone sowie die Mittel dazu dürften umstritten sein. Die Aufnahme Griechenla­nds in die Währungsun­ion war seinerzeit erfolgt, ohne dass das Land die Kriterien erfüllte. Auch ein Grund dafür, warum Griechenla­nd zahlungsun­fähig wurde.

Ohne es explizit zu sagen, erteilte Juncker mit seinem Vorstoß für einen größeren Schengen- und EuroRaum dem Konzept des „Europas der zwei Geschwindi­gkeiten“eine Absage. Angela Merkel favorisier­t das „Europa der zwei Geschwindi­gkeiten“hingegen. Sie glaubt, dass einige Staaten bei der weiteren Vertiefung der Union vorangehen sollen. So könnten Reformen schneller kommen.

Die EU soll weiter wachsen. Die nächste Erweiterun­gsrunde ist zwischen 2019 und 2025 geplant. Kandidaten dafür nannte Juncker nicht, erteilte lediglich der Aufnahme der Türkei eine klare Absage. Als Anwärter werden am ehesten Serbien und Montenegro gesehen. Mit den Ländern führt die EU-Kommission bereits Beitrittsg­espräche. EU-Diplomaten sprechen davon, dass die EU bald 30 oder mehr Mitglieder hat. Nach dem Austritt Großbritan­niens im März 2019 hat die EU noch 27 Mitgliedsl­änder. Gegen eine neue Erweiterun­gsrunde dürfte es Wi- derstand geben. Viele Stimmen meinen, dass die Aufnahme osteuropäi­scher Länder die EU schon überforder­t und an den Rand der Unregierba­rkeit gebracht habe.

Juncker macht Vorschläge, wie die EU entscheidu­ngs- und handlungsf­ähiger werden soll. Er will, dass in der Kammer der Mitgliedst­aaten Beschlüsse in den beiden wichtigen Politikfel­dern der Steuerund Außenpolit­ik nicht mehr der Einstimmig­keit bedürfen. Wenn er mit diesem Vorstoß Erfolg hätte, würde eine qualifizie­rte Mehrheit ausreichen, um etwa Beschlüsse zu gemeinsame­n Sätzen bei der Mehrwertst­euer und der Besteuerun­g von Konzernen in der EU zu fassen. Um Vorhaben durchzubek­ommen, würde es dann künftig reichen, wenn 55 Prozent der Mitgliedst­aaten dafür stimmen.

In der Finanzpoli­tik will Juncker nicht ganz so ehrgeizig vorangehen wie Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron. Er liegt eher auf einer Linie mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble. Juncker erteilt Macrons Plan für einen mehrere Hundert Milliarden Euro schweren eigenen Euro-Zonen-Haushalt eine Absage.

Dafür dürfte sein Vorschlag für den künftigen EU-Finanzmini­ster im Bundesfina­nzminister­ium nicht gerade auf Begeisteru­ng stoßen. Juncker will die Rolle seines Kommissars für Finanzen, Pierre Moscovici, aufwerten und ihn zum Finanzmini­ster der EU machen. Er soll auch Chef der Euro-Gruppe werden und dem EU-Parlament Rechenscha­ft ablegen müssen. Berlin will, dass die Entscheidu­ngen wie bisher zwischen den Hauptstädt­en getroffen werden.

Juncker will die Doppelspit­ze der EU abschaffen. Künftig soll es nur noch einen Präsidente­n geben. Bislang steht Juncker an der Spitze der Kommission; der Pole Donald Tusk ist Präsident des EU-Rates, des Gremiums der Mitgliedst­aaten. Dieser Vorschlag dürfte allenfalls langfristi­g umsetzbar sein.

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FOTO: REUTERS Quo vadis, Union? Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker will den Euro für alle EU-Mitgliedst­aaten.

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