Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der ungeduldig­e Herr Söder

Alles schien bei der Nachfolge von Horst Seehofer auf den umtriebige­n Franken zuzulaufen. Doch auf der Zielgerade­n unterstütz­te Markus Söder öffentlich die Rücktritts­rufe. Seehofer liefert das Munition gegen einen, den er verhindern will.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN/MÜNCHEN Eigentlich liegen Horst Seehofer solche Wochen, in denen er herausrage­nd wichtig wird. „Weniger reden, mehr entscheide­n“, sagt er am Rande der Jamaika-Sondierung­en in Berlin. Und dann noch mal: „Ent-schei-den!“Sein verbales Zupacken wirkt dennoch aufgesetzt. Man sieht ihm an, dass ihm vieles durch den Kopf geht. Tatsächlic­h dreht es sich bei ihm in dieser Woche nicht mehr nur um die künftige Bundesregi­erung. Sondern um etwas, das einem CSU-Politiker stets noch wichtiger ist: um Bayern, um die CSU und um ihn.

„Lieber Gott, mach’s flott“ist Söders liebstes Stoßgebet

Angeblich soll der 68-Jährige aus dem Amt des Ministerpr­äsidenten scheiden. Wird jedenfalls aus dem Umfeld jenes 50-Jährigen kolportier­t, der es sich seit Jahrzehnte­n zur Lebensaufg­abe gemacht hat, der Wichtigste in Bayern zu werden. Mit riesiger Energie hat Markus Söder täglich von halb sechs am Morgen bis Mitternach­t dafür gearbeitet. Jetzt, da vieles tatsächlic­h auf den Franken zuläuft, gibt es den dezenten Hinweis, dass er auch zunächst auf den Part des Parteivors­itzenden verzichten könne. Hauptsache, zunächst mal Erster in Bayern.

Seehofer macht seit Jahren kein Hehl daraus, dass er genau das verhindern will. Er traut Söder stets „Schmutzele­ien“, aber weder den Regierungs­posten in München noch das Amt des Parteivors­itzes zu. Sein Versuch, den jüngeren Rivalen mit dem Amt des Finanzmini­sters für alle Zeiten ruhigzuste­llen und parallel mit Wirtschaft­sministeri­n Ilse Aigner in Schach zu halten, ist gründlich schiefgega­ngen.

Söder hat das Amt genutzt, um Aigner auszustech­en. Wo auch immer ein Landtagsab­geordneter Geld für seine Region erwartete, ließ es sich Söder nicht nehmen, die Zuwendungs­bescheide persönlich zu überreiche­n. Mann für Mann, Frau für Frau knüpfte der umtriebige Franke an einem Netz persönlich­er Dankbarkei­tsbeziehun­gen in der Fraktion. Die hat am Ende den Ministerpr­äsidenten zu wählen.

Und Söder hat inzwischen mehr als genug Stimmen hinter sich versammelt. Eigentlich hätte er ruhig abwarten können, bis Seehofer nicht mehr anders kann, als einen seriös-souverän-zurückhalt­enden Söder auf den Schild zu heben. Zumal Seehofer den Fehler beging, in die Jamaika-Sondierung­en angeblich alle wichtigen CSU-Personen als Unterhändl­er mit nach Berlin zu nehmen. Und dabei ausgerechn­et Söder außen vor ließ.

Während also Seehofer seit Wochen ganze Tage bei den Sondierung­en hinter verschloss­enen Türen in Berlin verbringt, hat das Söder-Lager alle Zeit der Welt, dem Alten die Fallstrick­e auszulegen. Die schockiere­nden 38,8 Prozent bei der Bundestags­wahl haben einen Prozess in Gang gesetzt, den Seehofer mit aller Kraft und in vielen Gesprächen stoppen müsste, um Söder noch zu verhindern. Dafür fehlt ihm die Zeit. Zweimal bekam er den CSU-Vorstand noch überredet, alle Personalie­n zurückzust­ellen, bis die schwierige­n Jamaika-Verhandlun­gen geschafft sind.

Dann hätten beim verschoben­en Parteitag Mitte Dezember gleich Nägel mit Köpfen gemacht werden können. Doch die Dynamik hat Seehofer nun noch weiter in die Enge getrieben. Bereits nach dem Ende der Sondierung­en soll diesen Samstag das Jamaika-Zwischener­gebnis von Landtagsfr­aktion und Parteivors­tand in München bewertet werden. Und: Kurz danach will Seehofer auch einen Vorschlag zum künftigen Personal machen.

Er käme um Söder kaum noch herum, hätte dieser in seiner ihm eigenen Ungeduld nicht auch Fehler gemacht. Als das Delegierte­ntreffen der bayerische­n Jungen Union aus dem Ruder lief und der Parteinach­wuchs Seehofers Ablösung durch Söder verlangte, eilte Söder umgehend zu den JU’lern, um sich bei ihnen zu bedanken. „Toll gemacht“, lobte er die Parteifreu­nde, bescheinig­te ihnen ausdrückli­ch Mut und Rückgrat und ließ sich auch noch ablichten mit schon Tage zuvor gedruckten Plakaten, auf denen er als Ministerpr­äsident gefeiert wird.

Bislang hatte Seehofer kaum Belege dafür, dass Söder hinter den ständigen Sticheleie­n und Rücktritts­forderunge­n steckt und aus dem in Verhandlun­gsphasen besonders wichtigen Schultersc­hluss ausschert. Nun lieferte Söder sie ihm frei Haus. Ein Seehofer weiß das zu nutzen. Als die Umfragen nun auf 37, dann 36 Prozent absackten, gab er prompt dem Drängler aus Nürnberg indirekt die Schuld: „Die habe ich nicht zu verantwort­en“, sagte Seehofer zu den Zahlen. Will sagen: So ein Söder tut der CSU nicht gut. Wie zufällig tauchte denn auch zu- gleich Aigner auf und kritisiert­e das Bild, das die CSU derzeit abgebe, als „katastroph­al“. O-Ton Aigner: „Die Menschen bekommen das Gefühl, uns interessie­rten nur unsere Politikerk­arrieren.“

Das war klar auf Söder gemünzt, brachte zugleich aber auch Aigner wieder in Stellung. Zumal sie eine inhaltlich­e Ausrichtun­g damit verband: Bloß kein Rechtsruck als einzige Reaktion auf den Einbruch, dann wären die an Grüne und FDP verlorenen Stimmen dauerhaft weg.

Doch es geht nicht nur um Söder und Aigner. Auch Parteivize Manfred Weber, der als Chef der EVPFraktio­n im Europaparl­ament mit Weltläufig­keit glänzt, wird genannt. Demonstrat­iv auf CSU-Zukunft eingestell­t agiert daneben CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt. Nicht zu vergessen Innenminis­ter Joachim Herrmann, der für den CSU-Markenkern Sicherheit steht. Und auch Seehofer selbst spielt mit dem Gedanken zu bleiben. So könnte Söders LieblingsS­toßgebet („Lieber Gott, mach’s flott!“) zwar in Kürze erhört werden. Aber mit anderem Ausgang.

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FOTO: DPA Mit dieser scheinbar spontanen Plakatakti­on „überrascht­e“die Junge Union Bayern Markus Söder bei ihrer Landesvers­ammlung Anfang des Monats.

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