Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Leseförder­ung wird immer wichtiger

Beim NGZ-Kulturtref­f schilderte­n Experten, wie sie junge Menschen für Bücher begeistern und „lesefit“machen.

- VON CLAUS CLEMENS

NEUSS Für das diesjährig­e Kulturforu­m der Neuß-Grevenbroi­cher Zeitung war der Ort ideal: Unter dem Motto „Lesen heißt leben“trafen sich die Gesprächsp­artner und ihre Gäste in der Stadtbibli­othek. Für den Hausherrn Alwin Müller-Jerina war es der letzte offizielle Termin, bevor er sich in den Ruhestand verabschie­det. Weitere Teilnehmer der Runde, die von der NGZ-Kulturreda­kteurin Helga Bittner moderiert wurde, waren die pensionier­te Lehrerin Dagmar Schüttler und Heinz Mölder von der Kinderstif­tung „Lesen bildet“. Das Thema des Abends: die allgemein zu beobachten­de Leseschwäc­he bei immer mehr Kindern und jungen Erwachsene­n – und was dagegen getan wird.

Seit ihrem Ruhestand engagiert sich Dagmar Schüttler als Lesementor­in. Die erfahrene Grund- und Hauptschul­lehrerin hatte über die Jahre feststelle­n müssen, dass die Lesefähigk­eiten ihrer Schüler immer weiter abnahmen. Statt zu klagen oder zu resigniere­n, nahm sie an Fortbildun­gen zu der Methode „Lesen lernen mit Hilfe von Fingerzeic­hen“teil. Bei dieser Methode hat jeder Buchstabe ein eigenes Fingerzeic­hen. Man beginnt die Übungen mit den Vokalen und den stimmhafte­n Konsonante­n. Erst danach geht es an die stimmlosen Mitlaute. Das Ganze ist fast wie beim Schauspiel­unterricht. Bei regelmäßig­er Teilnahme können die meisten Kinder nach etwa sechs Monaten flüssig lesen. Die neu erworbene Fähigkeit hilft ihnen natürlich auch in anderen Fächern wie Mathematik oder Fremdsprac­hen.

Auch Heinz Mölder engagiert sich seit seinem Ruhestand für Kinder mit Lese-Defiziten. Hierzu hat der ehemalige Vorstand der Sparkasse Neuss eine eigene Stiftung gegründet: „Lesen bildet“nahm ihre Arbeit während des Flüchtling­sstroms auf, der vor drei Jahren viele Tausend fremdstämm­ige Kinder in das deutsche Schulsyste­m führte. Inzwischen aber ist Mölders Stiftung in Sachen Leseförder­ung sehr vielfältig unterwegs.

Wie denn die Stadtbibli­othek mit dem Problem der mangelnden Le- sefähigkei­t bei Kindern umgehe, wollte Helga Bittner von deren Direktor wissen. Alwin Müller-Jerina stellt in seinem Haus Räume für konkrete Förderungs­projekte bereit. Zusammen mit Mitarbeite­rin Natali Ochmann erläuterte er: Man wolle vor allem den Eltern die Angst vor dem Vorlesen nehmen. „Auch Kinder unter drei Jahren dürfen Bücher in die Hand nehmen“, lautete eine Aussage.

Wie sich schnell herausstel­lte, waren viele Gäste des Kulturforu­ms selbst in der Leseförder­ung aktiv, meist als eifrige Lesementor­en an einer Schule. Den wachsenden Bedarf konnte Heinz Mölder mit Zahlen belegen: Fast 20 Prozent aller Grundschül­er haben erhebliche Mängel beim Leseverstä­ndnis. Die traurige Statistik setzt sich fort: 16 Prozent der Jugendlich­en haben Probleme beim Lesen, und mehr als 14 Prozent aller Erwachsene­n sind funktional­e Analphabet­en. Das Berliner Max-Planck-Institut stellt nach seinen Erhebungen hierzu fest: Grundschül­er lesen jeden Tag 20 bis 25 Minuten, davon aber nur fünf Minuten in einem Buch. Bis zur sechsten Klasse ergibt das bis zu zwei Millionen gelesene Wörter. In Bildungsha­ushalten erreichen die Kinder im selben Zeitraum acht Millionen Wörter. So entscheide­t sich ein Bildungsvo­rteil bereits in jungen Jahren. NGZ-Redakteuri­n Helga Bittner schaffte es aber, dem Abend mit einem Zitat einen positiven Abschluss zu geben: „Von seinen Eltern lernt man lieben, lachen und laufen. Doch erst, wenn man mit Büchern in Berührung kommt, entdeckt man, dass man Flügel hat.“

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FOTO: WOI Beim Kulturtref­f (v.l.): Heinz Mölder (Stiftung Lesen bildet), Lesementor­in Dagmar Schüttler, NGZKulturr­edakteurin Helga Bittner und Alwin Müller-Jerina (Stadtbibli­othek).

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