Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Leseförderung wird immer wichtiger
Beim NGZ-Kulturtreff schilderten Experten, wie sie junge Menschen für Bücher begeistern und „lesefit“machen.
NEUSS Für das diesjährige Kulturforum der Neuß-Grevenbroicher Zeitung war der Ort ideal: Unter dem Motto „Lesen heißt leben“trafen sich die Gesprächspartner und ihre Gäste in der Stadtbibliothek. Für den Hausherrn Alwin Müller-Jerina war es der letzte offizielle Termin, bevor er sich in den Ruhestand verabschiedet. Weitere Teilnehmer der Runde, die von der NGZ-Kulturredakteurin Helga Bittner moderiert wurde, waren die pensionierte Lehrerin Dagmar Schüttler und Heinz Mölder von der Kinderstiftung „Lesen bildet“. Das Thema des Abends: die allgemein zu beobachtende Leseschwäche bei immer mehr Kindern und jungen Erwachsenen – und was dagegen getan wird.
Seit ihrem Ruhestand engagiert sich Dagmar Schüttler als Lesementorin. Die erfahrene Grund- und Hauptschullehrerin hatte über die Jahre feststellen müssen, dass die Lesefähigkeiten ihrer Schüler immer weiter abnahmen. Statt zu klagen oder zu resignieren, nahm sie an Fortbildungen zu der Methode „Lesen lernen mit Hilfe von Fingerzeichen“teil. Bei dieser Methode hat jeder Buchstabe ein eigenes Fingerzeichen. Man beginnt die Übungen mit den Vokalen und den stimmhaften Konsonanten. Erst danach geht es an die stimmlosen Mitlaute. Das Ganze ist fast wie beim Schauspielunterricht. Bei regelmäßiger Teilnahme können die meisten Kinder nach etwa sechs Monaten flüssig lesen. Die neu erworbene Fähigkeit hilft ihnen natürlich auch in anderen Fächern wie Mathematik oder Fremdsprachen.
Auch Heinz Mölder engagiert sich seit seinem Ruhestand für Kinder mit Lese-Defiziten. Hierzu hat der ehemalige Vorstand der Sparkasse Neuss eine eigene Stiftung gegründet: „Lesen bildet“nahm ihre Arbeit während des Flüchtlingsstroms auf, der vor drei Jahren viele Tausend fremdstämmige Kinder in das deutsche Schulsystem führte. Inzwischen aber ist Mölders Stiftung in Sachen Leseförderung sehr vielfältig unterwegs.
Wie denn die Stadtbibliothek mit dem Problem der mangelnden Le- sefähigkeit bei Kindern umgehe, wollte Helga Bittner von deren Direktor wissen. Alwin Müller-Jerina stellt in seinem Haus Räume für konkrete Förderungsprojekte bereit. Zusammen mit Mitarbeiterin Natali Ochmann erläuterte er: Man wolle vor allem den Eltern die Angst vor dem Vorlesen nehmen. „Auch Kinder unter drei Jahren dürfen Bücher in die Hand nehmen“, lautete eine Aussage.
Wie sich schnell herausstellte, waren viele Gäste des Kulturforums selbst in der Leseförderung aktiv, meist als eifrige Lesementoren an einer Schule. Den wachsenden Bedarf konnte Heinz Mölder mit Zahlen belegen: Fast 20 Prozent aller Grundschüler haben erhebliche Mängel beim Leseverständnis. Die traurige Statistik setzt sich fort: 16 Prozent der Jugendlichen haben Probleme beim Lesen, und mehr als 14 Prozent aller Erwachsenen sind funktionale Analphabeten. Das Berliner Max-Planck-Institut stellt nach seinen Erhebungen hierzu fest: Grundschüler lesen jeden Tag 20 bis 25 Minuten, davon aber nur fünf Minuten in einem Buch. Bis zur sechsten Klasse ergibt das bis zu zwei Millionen gelesene Wörter. In Bildungshaushalten erreichen die Kinder im selben Zeitraum acht Millionen Wörter. So entscheidet sich ein Bildungsvorteil bereits in jungen Jahren. NGZ-Redakteurin Helga Bittner schaffte es aber, dem Abend mit einem Zitat einen positiven Abschluss zu geben: „Von seinen Eltern lernt man lieben, lachen und laufen. Doch erst, wenn man mit Büchern in Berührung kommt, entdeckt man, dass man Flügel hat.“