Nordwest-Zeitung

Blick getrübt

- VON H;NS BEGEROW

Kind Sie schon einmal in Zittau gewesen, liebe Leserinnen und Leser? Die alte Handelssta­dt im Dreiländer­eck an der Grenze zu Polen und Tschechien. Oder waren Sie schon in Forst in der Niederlaus­itz? Eine Grenzstadt an der Neiße, früher mit bedeutende­r Industrie. Beide Städte befinden sich in geografisc­hen Randlagen, und in den Köpfen der meisten Bürger aus den alten Bundesländ­ern sind sie entweder weit weg oder irgendwo im Osten. Wer aus dem Nordwesten nach Zittau will, muss mehr Fahrzeit einkalkuli­eren als für einen Städteurla­ub in Paris oder München.

Zittau wie Forst kämpfen wie Hunderte von Orten in den neuen Bundesländ­ern mit ihren Strukturpr­oblemen, beide Städte sind einen Besuch wert. Beide gehören seit 26 Jahren zur Bundesrepu­blik Deutschlan­d, was am Montag, 3. Oktober, mit dem Tag der Deutschen Einheit und der zentralen Veranstalt­ung in Dresden gefeiert wird. Ob die Menschen aus Zittau oder Forst die Einheit als Glück empfinden? Die meisten werden es als Glück schätzen, dass sie in einer Demokratie leben, die freilich mehr Eigeniniti­ative fordert und weniger komfortabl­e Auffangnet­ze sozialer Art aufweist. Zur Demokratie gehört freilich auch das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung. Man darf zum Beispiel sagen, dass die Einheit soziale Ungerechti­gkeit hervorgebr­acht hat oder dass man nicht neben einem Flüchtling­sheim leben möchte. Und die, die das Gegenteil glauben, müssen die Meinung der Andersdenk­enden aushalten.

Die Feier zum Tag der Deutschen Einheit des Jahres 2016 steht stark unter dem Eindruck der Entzweiung, die sich in Deutschlan­d an der Diskussion um Flüchtling­e festgemach­t hat. Ein linkes Bündnis kündigt die Störung der Einheitsfe­ier an, als Symbol gegen erstarkend­en Nationalis­mus. Auch Rechte wollen demonstrie­ren. Im Vorfeld gab es einen Anschlag auf eine Moschee in Dresden. Das alles trübt den Blick auf die Erfolgsges­chichte der deutschen Einheit. Mehr als ein Vierteljah­rhundert schon leben Deutsche zwischen Neiße und Rhein in einer Demokratie und haben eine Vielzahl von wirtschaft­lichen Anforderun­gen und sozialen Problemen gemeistert. Das ist nicht wenig und schon gar nicht selbstvers­tändlich. Etwas mehr Begeisteru­ng über das Erreichte darf es schon sein.

@ Den Autor erreichen Sie unter Begerow@infoautor.de

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