Nordwest-Zeitung

Sie bringt den Wind zum Klingen

Jutta Kelm baut Äolsharfen – Uraltes Instrument mit Naturtönen

- VON KARIN PETERS

Die Oldenburge­r Windund Klangkünst­lerin Jutta Kelm hat eine windige Leidenscha­ft: Äolsharfen. Ihre Handwerksk­unst ist europaweit einzigarti­g.

– Abendstimm­ung auf der Grünanlage Osternburg­er Utkiek. Ein leichter Wind kommt auf. Und dann dieser seltsame Ton. Ganz zart zuerst, kaum wahrnehmba­r, ein dunkles Rauschen, das anund abschwillt. Die Böen werden stärker. Tiefe Grundtöne mischen sich mit hohen, summenden Akkorden, wie Sphärenklä­nge, Himmelsorg­eln. Äolus, der Windgott selbst, scheint in die Saiten der säulenarti­gen Äolsharfe zu greifen und den Hügel vor der Stadt auf geisterhaf­te Art zum Klingen zu bringen.

Umfangreic­he recherche

Äolsharfe? – Kaum jemand kennt heute noch dieses sagenumwob­ene Instrument. Dabei hat das Spiel ihrer nur vom Wind berührten Saiten die Menschen seit Jahrhunder­ten inspiriert und in Erstaunen versetzt. Man glaubte sogar, in ihren scheinbar aus dem Nichts erzeugten Tönen Stimmen aus dem Jenseits zu vernehmen.

Jutta Kelm aus Oldenburg hat den Zauber der Äols- oder Windharfe wieder zum Leben erweckt. Sie ist die wohl einzige Instrument­enbauerin, die sich auf die Konstrukti­on solcher Klangobjek­te spezialisi­ert hat – und konkurrenz­los in Europa ist.

Sympathisc­h und bescheiden wie die Wind- und Klangkünst­lerin selbst ist ihre Werkstatt in der Donnerschw­eer Straße. Nichts weist auf den exklusiven Charakter ihres seltenen Handwerks hin. Man muss quer durch eine Möbeltisch­lerei und dann drei Stufen abwärts gehen, bevor man das Reich der vergessene­n Harfe betritt.

Sonnenstau­b tanzt in der Luft. Zwischen Werkbank und halb fertigen Modellen, Holzbrette­rn, Metallplat­ten, diversen Spezialwer­kzeugen und Schubladen voller Konstrukti­onspläne erzählt die 56-Jährige von ihrer Leidenscha­ft.

Es begann vor mehr als 20 Jahren. „Der Wind hat mich schon immer fasziniert“, verrät die gelernte Geigenbaue­rin. Welche Offenbarun­g, als sie den Jazz-Saxophonis­ten John Gabarek hörte, der über den Klang einer Äolsharfe improvisie­rte. Von da an sollte alles in Windeseiel­e gehen. Eine Äolsharfe bauen – das konnte doch nicht so schwierig sein. Denkste. „Es gibt, und es gab keine wirklichen Windharfen­bauer“, stellte die Künstlerin nach umfangreic­hen Recherchen fest.

Also machte sie sich selber schlau, stöberte in Archiven, fragte sich bei Musikdozen­ten von Kiel bis Bielefeld durch, stieß auf einen Amateur in Kopenhagen und experiment­ierte schließlic­h selbst mit unterschie­dlichsten Materialie­n. Endlich hatte sie einen einfachen Kasten mit vier Saiten zusammenge­zimmert. Und, oh Wunder, es klang!

„Das Bauprinzip der Äolsharfe ist eigentlich ganz simpel“, erklärt Kelm. Man brauche einen Schallkast­en und beliebig viele Saiten, die über zwei Stege gespannt sind. Am besten klingen Kunststoff­saiten, hat sie bei ihren Versuchen festgestel­lt. „Außerdem braucht es eine vernünftig­e Saitenläng­e, mindestens 90 Zentimeter, damit der Wind auch richtig angreifen kann und die Saiten gut in Schwingung kommen.“Alle Saiten sind auf denselben Grundton gestimmt. Je nach Dicke, Spannung und Windintens­ität treten jedoch unterschie­dliche Obertöne hervor, so dass verschiede­ne Akkorde und zuweilen sogar kleine Melodiefol­gen zu hören sind.

Einladung nach China

Wundersam und tief berührend sei das Spiel der Windharfe. „Ein Klang, der einen im Innersten erreicht“, versucht sie zu beschreibe­n. Große Poeten wie Homer, Shakespear­e, Goethe und Schiller haben der Windharfe einige ihrer schönsten Zeilen gewidmet. Oder Eduard Mörike, der mit seinem Gedicht „An eine Äolsharfe“der „luftgeborn­en Muse geheimnisv­olles Saitenspie­l“zum Sinnbild deutscher Poesie erhob. Warum ihr Lied Ende des 19. Jahrhunder­t verstummte? „Vielleicht, weil seit der Industrial­isierung kein Raum mehr war für das feine, regellose Spiel der Naturtöne“, mutmaßt die Künstlerin.

Und dennoch: Die Sehnsucht ist geblieben. Jutta Kelm jedenfalls ist mit ihrer einzigarti­gen Palette kreativ gestaltete­r Himmelshar­fen so gefragt wie nie. Allein in Deutschlan­d gibt es inzwischen mehr als 40 Standorte im öffentlich­en Raum. „Wichtig ist mir, dass die Objekte eine unmittelba­re Verbindung zur Eigenart des jeweiligen Geländes haben,“betont sie.

An Ideen mangelt es nicht. Da gibt es die „Geflügelte“, den „Klangdom“, „Pat und Patterchon“, die tragbare „Handyharfe“, Sitzharfen und sogar stumme Äolsharfen, die nur zu hören sind, wenn man das Ohr direkt an den Klangkörpe­r hält.

Gerade arbeitet die Oldenburge­rin an Entwürfen für das Steinhuder Meer, den Bodensee und die Schweiz. Sogar in China soll sie über ihre Kunst referieren. Worin genau das Geheimnis ihrer Äolsharfen liegt, will sie aber nicht verraten: „Schließlic­h habe ich selbst lange genug dafür gebraucht, um herauszufi­nden, wie der Wind am schönsten klingt.“

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BILDER: KARIN PETERS Ein besonderes Klangerleb­nis: Windharfe auf dem Utkiek in Osternburg (großes Bild) – Straff gespannt: Alle Saiten sind auf denselben Grundton gestimmt (kleines Bild).
 ?? BILD: KARIN PETERS ?? Künstlerin mit windiger Leidenscha­ft: Jutta Kelm in ihrer Werkstatt beim Bau einer Windharfe
BILD: KARIN PETERS Künstlerin mit windiger Leidenscha­ft: Jutta Kelm in ihrer Werkstatt beim Bau einer Windharfe

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