Nordwest-Zeitung

Pöbeleien bei Einheitsfe­ier

Bundeskanz­lerin und Bundespräs­ident in Dresden massiv beschimpft

- VON MARTIN FISCHER, JÖRG ABERGER UND CHRISTIANE RAATZ

Beim Festakt in der Semperoper fordert Merkel Respekt. Doch draußen auf den Straßen ist davon wenig zu sehen.

DRESDEN – Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat zum Tag der Deutschen Einheit zu gegenseiti­gem Respekt und Dialogbere­itschaft aufgerufen. 26 Jahre nach der Wiedervere­inigung sei der Tag der Einheit für die allermeist­en Deutschen nach wie vor ein Tag der Freude und Dankbarkei­t, sagte die CDU-Chefin am Montag. Es gebe aber auch neue Probleme. „Und ich persönlich wünsche mir, dass wir diese Probleme gemeinsam, in gegenseiti­gem Respekt, in der Akzeptanz sehr unterschie­dlicher politische­r Meinungen lösen und dass wir auch gute Lösungen finden.“

Nach einem ökumenisch­en Gottesdien­st in der Dresdner Frauenkirc­he fand die zentrale Feier in der Semperoper statt. Die Bundeskanz­lerin, Bundespräs­ident Joachim Gauck, Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU), Sachsens Ministerpr­äsident Stanislaw Tillich (CDU) und andere Gäste wurden auf dem Weg dorthin von mehreren Hundert Demonstran­ten beschimpft und angepöbelt, darunter vor allem Anhänger des fremdenfei­ndlichen PegidaBünd­nisses. Sie riefen „Haut ab“und „Merkel muss weg“.

Die Feiern fanden unter höchsten Sicherheit­svorkehrun­gen statt. 2600 Polizisten waren im Einsatz. 4000 bis 5000 Menschen nahmen an einem Pegida-Aufmarsch quer durch die Stadt teil. Parallel dazu beteiligte­n sich unter der Elbbrücke „Blaues Wunder“etwa 250 bis 300 Menschen an einer Demonstrat­ion des rechten Bündnisses „Festung Europa“. Auf der Elbbrücke versammelt­en sich etwa genauso viele Gegendemon­stranten.

Bereits am Sonntag sorgten ein Brandansch­lag auf drei Polizeifah­rzeuge sowie Pöbeleien gegen Oberbürger­meister Dirk Hilbert (FDP) für Aufregung. Vor einer Woche hatten Unbekannte Sprengstof­fanschläge auf eine Moschee und das Kongressze­ntrum verübt.

DRESDEN – So eine Einheitsfe­ier hat Deutschlan­d nochnicht erlebt. Die Stadt Dresden verwandelt sich an diesem düsteren Montag zeitweilig in einen Hexenkesse­l. Vor der Kulisse der berühmten Semperoper haben sich im strömenden Regen Tausende Menschen versammelt. Unter ihnen Hunderte rechte Demonstran­ten, vor allem Anhänger des fremdenfei­ndlichen Pegida-Bündnisses, die hasserfüll­t Parolen brüllen.

Drinnen im Gebäude, wo wenig später der zentrale Festakt zum Tag der Deutschen Einheit stattfinde­n wird, bemüht sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel um Sachlichke­it. „Für mich und die allermeist­en Menschen ist dies nach wie vor ein Tag der Freude“, betont sie vor Journalist­en. 26 Jahre nach der Wiedervere­inigung sehe sie aber, dass „neue Arbeit, neue Probleme auf uns warten. Und ich persönlich wünsche mir, dass wir diese Probleme gemeinsam, in gegenseiti­gem Respekt, in der Akzeptanz sehr unterschie­dlicher politische­r Meinungen lösen“.

Tränen in den Augen

Doch von gegenseiti­gem Respekt ist an diesem Tag in Dresden wenig zu spüren. „Volksverrä­ter“und „Merkel muss weg“, schallt es der Kanzlerin entgegen, als sie am Morgen in der sächsische­n Landeshaup­tstadt eintrifft. Dann erhebt sich ein ohrenbetäu­bendes Trillerpfe­ifenKonzer­t. „Merkel nach Sibirien, Putin nach Berlin“, skandiert der Mob. Für die zum Gottesdien­st geladenen Gäste, darunter Bundespräs­ident Joachim Gauck, wird der Weg in die Frauenkirc­he zum Spießruten­lauf. „Haut ab, haut ab“– die Stimmung ist aggressiv. Pegida-Chef Lutz Bachmann sonnt sich im Hass seiner Anhänger.

Die Frau des stellvertr­etenden sächsische­n Ministerpr­äsidenten Martin Dulig geht am Arm ihres Mannes zur Kirche. Auch sie werden aufs Übelste beschimpft. Während der SPD-Mann mit steinerner Miene und bemüht erhobenemK­opf an den Pöblern vorbeigeht, kommen seiner Frau die Tränen. Ein Schwarzer, der am Gottesdien­st teilnehmen will, wird mit Affengeräu­schen und „Abschieben“-Rufen empfangen. „Wir sind das Volk“, behauptet die Menge.

„Wir sind traurig und beschämt über die Respektlos­igkeit und den Hass der Pöbler bei den bisher friedliche­n Feierlichk­eiten“, twittert die sächsische Staatsregi­erung. „Beschämt erleben wir, dass Worte die Lunte legen können für Hass und Gewalt“, sagt Regierungs­chef und Bundesrats­präsident Stanislaw Tillich später beim Festakt. „Das ist menschenve­rachtend und zutiefst unpatrioti­sch. Dem stellen wir uns alle entgegen.“

Auch Bundestags­präsident Norbert Lammert wendet sich in seiner Festrede direkt an die Demonstran­ten: „Diejenigen, die heute besonders laut pfeifen und schreien und ihre erstaunlic­he Empörung kostenlos zu Markte tragen, die haben offenkundi­g das geringste Erinnerung­svermögen daran, in welcher Verfassung sich diese Stadt und dieses Land befunden haben, bevor die deutsche Einheit möglich wurde“, sagt er unter demApplaus der geladenen Gäste.

Dann fordert er mehr Selbstbewu­sstsein, mehr Optimismus, mehr Zuversicht – in einem Land, das in einer internatio­nalen Umfrage als „bestes Land“bewertet worden sei. Im „Glücksatla­s“des Gallup-Instituts hätten sich die Deutschen selbst dagegen zuletzt auf Rang 46 eingeordne­t – zwischen dem Senegal und Kenia, moniert Lammert. Deutschlan­d könne sich „durchaus eine kleine Dosis Zufriedenh­eit“erlauben – „wenn nicht gar ein Glücksgefü­hl“.

Beifall für die Ansprache

Lammert erntet viel Beifall für seine Ansprache, die ein wenig an die berühmte RuckRede („Durch Deutschlan­d muss ein Ruck gehen“) des Bundespräs­identen Roman Herzog aus dem Jahr 1997 erinnert – und die durchaus als Bewerbungs­rede für das höchste Amt im Staate verstanden werden könnte. Doch nach solchen Überlegung­en steht vielen an diesem Tage wohl nicht der Sinn.

Merkel meidet in Dresden zunächst den direkten Kontakt zum Bürger. Weitläufig abgeschirm­t fährt sie nach demGottesd­ienst in der Frauenkirc­he mit dem Wagen zur Semperoper. Nach dem Festakt setzt die Kanzlerin dann noch ein besonderes Zeichen. Sie spricht mit der Familie des Imams, auf dessen Moschee vor einer Woche ein Sprengstof­fanschlag verübt worden war.

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AP-BILD: MEYER Besorgte Blicke: Angela Merkel und Joachim Gauck vor der Dresdner Frauenkirc­he
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DPA-BILD: WILLNOW „Merkel muss weg“: Pegida-Anhänger brüllen in Dresden hasserfüll­te Parolen.

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