Pöbeleien bei Einheitsfeier
Bundeskanzlerin und Bundespräsident in Dresden massiv beschimpft
Beim Festakt in der Semperoper fordert Merkel Respekt. Doch draußen auf den Straßen ist davon wenig zu sehen.
DRESDEN – Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat zum Tag der Deutschen Einheit zu gegenseitigem Respekt und Dialogbereitschaft aufgerufen. 26 Jahre nach der Wiedervereinigung sei der Tag der Einheit für die allermeisten Deutschen nach wie vor ein Tag der Freude und Dankbarkeit, sagte die CDU-Chefin am Montag. Es gebe aber auch neue Probleme. „Und ich persönlich wünsche mir, dass wir diese Probleme gemeinsam, in gegenseitigem Respekt, in der Akzeptanz sehr unterschiedlicher politischer Meinungen lösen und dass wir auch gute Lösungen finden.“
Nach einem ökumenischen Gottesdienst in der Dresdner Frauenkirche fand die zentrale Feier in der Semperoper statt. Die Bundeskanzlerin, Bundespräsident Joachim Gauck, Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) und andere Gäste wurden auf dem Weg dorthin von mehreren Hundert Demonstranten beschimpft und angepöbelt, darunter vor allem Anhänger des fremdenfeindlichen PegidaBündnisses. Sie riefen „Haut ab“und „Merkel muss weg“.
Die Feiern fanden unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen statt. 2600 Polizisten waren im Einsatz. 4000 bis 5000 Menschen nahmen an einem Pegida-Aufmarsch quer durch die Stadt teil. Parallel dazu beteiligten sich unter der Elbbrücke „Blaues Wunder“etwa 250 bis 300 Menschen an einer Demonstration des rechten Bündnisses „Festung Europa“. Auf der Elbbrücke versammelten sich etwa genauso viele Gegendemonstranten.
Bereits am Sonntag sorgten ein Brandanschlag auf drei Polizeifahrzeuge sowie Pöbeleien gegen Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) für Aufregung. Vor einer Woche hatten Unbekannte Sprengstoffanschläge auf eine Moschee und das Kongresszentrum verübt.
DRESDEN – So eine Einheitsfeier hat Deutschland nochnicht erlebt. Die Stadt Dresden verwandelt sich an diesem düsteren Montag zeitweilig in einen Hexenkessel. Vor der Kulisse der berühmten Semperoper haben sich im strömenden Regen Tausende Menschen versammelt. Unter ihnen Hunderte rechte Demonstranten, vor allem Anhänger des fremdenfeindlichen Pegida-Bündnisses, die hasserfüllt Parolen brüllen.
Drinnen im Gebäude, wo wenig später der zentrale Festakt zum Tag der Deutschen Einheit stattfinden wird, bemüht sich Bundeskanzlerin Angela Merkel um Sachlichkeit. „Für mich und die allermeisten Menschen ist dies nach wie vor ein Tag der Freude“, betont sie vor Journalisten. 26 Jahre nach der Wiedervereinigung sehe sie aber, dass „neue Arbeit, neue Probleme auf uns warten. Und ich persönlich wünsche mir, dass wir diese Probleme gemeinsam, in gegenseitigem Respekt, in der Akzeptanz sehr unterschiedlicher politischer Meinungen lösen“.
Tränen in den Augen
Doch von gegenseitigem Respekt ist an diesem Tag in Dresden wenig zu spüren. „Volksverräter“und „Merkel muss weg“, schallt es der Kanzlerin entgegen, als sie am Morgen in der sächsischen Landeshauptstadt eintrifft. Dann erhebt sich ein ohrenbetäubendes TrillerpfeifenKonzert. „Merkel nach Sibirien, Putin nach Berlin“, skandiert der Mob. Für die zum Gottesdienst geladenen Gäste, darunter Bundespräsident Joachim Gauck, wird der Weg in die Frauenkirche zum Spießrutenlauf. „Haut ab, haut ab“– die Stimmung ist aggressiv. Pegida-Chef Lutz Bachmann sonnt sich im Hass seiner Anhänger.
Die Frau des stellvertretenden sächsischen Ministerpräsidenten Martin Dulig geht am Arm ihres Mannes zur Kirche. Auch sie werden aufs Übelste beschimpft. Während der SPD-Mann mit steinerner Miene und bemüht erhobenemKopf an den Pöblern vorbeigeht, kommen seiner Frau die Tränen. Ein Schwarzer, der am Gottesdienst teilnehmen will, wird mit Affengeräuschen und „Abschieben“-Rufen empfangen. „Wir sind das Volk“, behauptet die Menge.
„Wir sind traurig und beschämt über die Respektlosigkeit und den Hass der Pöbler bei den bisher friedlichen Feierlichkeiten“, twittert die sächsische Staatsregierung. „Beschämt erleben wir, dass Worte die Lunte legen können für Hass und Gewalt“, sagt Regierungschef und Bundesratspräsident Stanislaw Tillich später beim Festakt. „Das ist menschenverachtend und zutiefst unpatriotisch. Dem stellen wir uns alle entgegen.“
Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert wendet sich in seiner Festrede direkt an die Demonstranten: „Diejenigen, die heute besonders laut pfeifen und schreien und ihre erstaunliche Empörung kostenlos zu Markte tragen, die haben offenkundig das geringste Erinnerungsvermögen daran, in welcher Verfassung sich diese Stadt und dieses Land befunden haben, bevor die deutsche Einheit möglich wurde“, sagt er unter demApplaus der geladenen Gäste.
Dann fordert er mehr Selbstbewusstsein, mehr Optimismus, mehr Zuversicht – in einem Land, das in einer internationalen Umfrage als „bestes Land“bewertet worden sei. Im „Glücksatlas“des Gallup-Instituts hätten sich die Deutschen selbst dagegen zuletzt auf Rang 46 eingeordnet – zwischen dem Senegal und Kenia, moniert Lammert. Deutschland könne sich „durchaus eine kleine Dosis Zufriedenheit“erlauben – „wenn nicht gar ein Glücksgefühl“.
Beifall für die Ansprache
Lammert erntet viel Beifall für seine Ansprache, die ein wenig an die berühmte RuckRede („Durch Deutschland muss ein Ruck gehen“) des Bundespräsidenten Roman Herzog aus dem Jahr 1997 erinnert – und die durchaus als Bewerbungsrede für das höchste Amt im Staate verstanden werden könnte. Doch nach solchen Überlegungen steht vielen an diesem Tage wohl nicht der Sinn.
Merkel meidet in Dresden zunächst den direkten Kontakt zum Bürger. Weitläufig abgeschirmt fährt sie nach demGottesdienst in der Frauenkirche mit dem Wagen zur Semperoper. Nach dem Festakt setzt die Kanzlerin dann noch ein besonderes Zeichen. Sie spricht mit der Familie des Imams, auf dessen Moschee vor einer Woche ein Sprengstoffanschlag verübt worden war.