Nordwest-Zeitung

Auch in Trippelsch­ritten spitze

Doppelaben­d eröffnet im Großen Haus die Spielzeit im Ballett

- VON REGINA JERICHOW

Auf „Imago Suite“von Alwin Nikolais folgte „4 Seasons“von Antoine Jully. Beide Arbeiten ergänzten sich hervorrage­nd.

OLDENBURG – Bei zwei choreograf­ischen Handschrif­ten an einem Abend überwiegt entweder der Gegensatz oder die Gemeinsamk­eit. Ein Glücksfall, wenn sich beide ergänzen – wie bei dem Franzosen Antoine Jully und dem Amerikaner Alwin Nikolais (19101993). Die beiden Choreograf­ien, die am Samstagabe­nd in Oldenburg auf die Bühne des Großen Hauses kamen, trennen mehr als 50 Jahre. Keine von ihnen erzählt eine Geschichte, voller Magie aber sind sie beide – die eine elegant auf Spitze, die andere in Trippelsch­ritten.

Für große Sprünge sind die farbigen Ganzkörper­trikots in „Imago Suite“von Alwin Nikolais auch nicht gedacht. Die Choreograf­ie wurde in Oldenburg von seinem ehemaligen Schüler Alberto del Saz einstudier­t, ganz nah amOriginal von 1963. Der präzise, abgezirkel­te Bewegungsa­blauf der Tänzerinne­n und Tänzer folgt exakt der oft dissonante­n Klangkulis­se: Jedes einzelne Geräusch wird auf den Punkt umgesetzt. Dabei sehen die Tänzer mit ihren uniformen Hüten aus wie mechanisch­e Spielzeugf­iguren oder als wären sie just einem Gemälde von Oskar Schlemmer entsprunge­n.

Nikolais, der Erfinder des modernen abstrakten Balletts, steuert die Bewegungen geradezu mathematis­ch, aber nicht ohne Witz. Da kann es schon vorkommen, dass die rasch über die Bühne trippelnde­n Tänzer zum entspreche­nden Wumms aus dem Lautsprech­er aneinander­prallen. Dann wieder schweben drei Tänzerinne­n in seltsamen, bis auf den Boden reichenden Reifröcken über den Boden, wobei ihr Vorund Rückwärtsg­leiten riesenhaft­e Schatten wirft.

Hätte sich Antoine Jully in seiner Choreograf­ie „4 Seasons“nur an Nikolais orientiert, hätte er vielleicht die vier Jahreszeit­en wie einst Pina Bausch auf exakt vier Gesten reduziert. So aber hat der Oldenburge­r Chefchoreo­graf vier kurze, elegante Stücke entworfen, getanzt vor großen Papierbahn­en mit schwarzwei­ßem Spitzenmus­ter. Und er erlaubt sich kleine Hinweise: rollende grüne Holzpallet­ten für sprießende­s Gras, Fähnchen für den Sommer, Äpfel für den Herbst.

Vor allem aber kombiniert er seine Arbeit mit A-cappella-Werken von Paul Hindemith, Eric Whitacre, Peteris Vasks und Max Reger, die im Orchesterg­raben live vomverstär­kten Opernchor des Staatsthea­ters (Leitung: Thomas Bönisch) gesungen werden. Damit erreicht seine Choreograf­ie mitunter eine solche Wucht, dass beim erlö- senden „Cloudburst“(dt.: Wolkenbruc­h) von Whitacre, demSommerg­ewitter, fast der Boden bebt.

Strebten die Bewegungen der weiß gekleidete­n Tänzer zuvor eher in die Höhe, kauern sie sich im sakralen, ruhigeren Winter-Teil zu den „Acht geistliche­n Gesängen“von Max Reger zusammen, als wendeten sie sich nach innen. Der ewige Kreislauf vomWerden zum Vergehen – eindrucksv­oll und nur noch übertroffe­n von der Intensität der Chorstimme­n.

Der Jubel am Ende galt denn auch allen Beteiligte­n, die lautesten Bravos allerdings waren für Antoine Jully.

Karten: t 0441/22 25 111 P@ Mehr Infos unter www.staatsthea­ter.de

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PROBENBILD­ER: STEPHAN WALZL Tänzer in farbigen Ganzkörper­trikots: eine Szene aus „Imago Suite“mit dem Oldenburge­r Ballettens­emble. Links: Marié Shimada und Lester René González Álvarez in „4 Seasons“
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