Fehlgeleitet
Seit Jahr und Tag ist dieser Satz in Berlin Dogma: „Deutsche Außenpolitik ist werteorientiert und interessengeleitet.“Keins von beidem trifft gegenwärtig zu. Deutsche Außenpolitik ist vielmehr affektgesteuert und inkonsistent. Nichts illustriert das besser als ein Blick auf die beiden heißesten Konflikte unserer Tage – in Syrien und im Jemen.
In Syrien kämpfen ein halbes Dutzend Groß- und Regionalmächte und Hunderte Räuberbanden um Einfluss und Kontrolle. Das Land geht vor die Hunde, es gibt keine „Guten“sondern ausnahmslos nur Schweinehunde. Im deutschen Interesse wäre es, dass dieser Krieg so schnell wie möglich beendet wird – vor allem wegen des Flüchtlingsstroms. Es würde nun Realpolitik darstellen, denjenigen freie Hand zu lassen, die im Stande sind, ihn zu beenden. Nach Lage der Dinge sind das die Zentralregierung und Russland. Das wäre moralisch fragwürdig, aber realpolitisch effektiv. Eine moralisch „richtige“Politik ist in Syrien ohnehin nicht möglich, weil dort jeder blutige Hände hat. Die deutsche Außenpolitik simuliert allerdings eine solche Möglichkeit, indem sie hochemotional und einseitig das russische Engagement in Syrien kritisiert – und damit ihr Interesse an einem Ende des Krieges hintan stellt.
Wollte man aber wirklich „moralisch“handeln, dann müsste man alle anderen Seiten ebenso vehement kritisieren: Saudi-Arabien und Katar, die Milizen mit Waffen versorgen und den Konflikt anheizen. Die sogenannten „gemäßigten Rebellen“, die auch schon mal gern einem Kind vor laufender Kamera den Kopf abschneiden und fast alle islamistisch indoktriniert sind. Vor allem aber die Türkei und ihre brutale Expansionspolitik.
Ähnliches gilt für den Jemen. Dass die Saudis hier das gleiche tun, wie die Russen in Syrien, ist kein Thema. Da handelt es sich schließlich um einen Verbündeten des Westens! Genau hier liegt nun der Hase im Pfeffer. Es stellt sich nämlich die Frage, ob der Westen die richtigen Verbündeten hat. Wer Sanktionen gegen Russland will, der muss – will er moralisch handeln – auch Sanktionen gegen Saudi-Arabien und die Türkei verhängen. Vor allem aber ist das Handeln dieser beiden Mächte längst nicht mehr im Interesse Deutschlands. Zeit also, darauf zu reagieren.
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