Nordwest-Zeitung

Auf der Suche nach Einigkeit

Ceta, Russland, Migration: Die EU-Staaten stehen vor schwer zu lösenden Aufgaben

- VON DETLEF DREWES, BÜRO BRÜSSEL

Wichtige Grundsatzd­ebatten sollen beim Gipfeltref­fen in Brüssel geführt werden. Die Ergebnisse könnten am Ende spärlich ausfallen.

BRÜSSEL – Es ist die Wut im Bauch, die alle zusammensc­hweißt. „Die russische Aggression darf nicht hingenomme­n werden. Wir brauchen mehr Druck auf Russland“, sagte die britische Premiermin­isterin Theresa May, als sie beim Gipfeltref­fen der 28 EU-Staats- und Regierungs­chefs in Brüssel eintraf. Zuvor hatte schon Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) Moskaus eingreifen in Syrien scharf kritisiert. Der estnische Ministerpr­äsident Taavi Roivas wurde besonders deutlich: „Die Russen dürfen Aleppo nicht zu einem zweiten Grosny machen“, meinte er in Anspielung auf den Krieg in Tschetsche­nien, wo Moskaus Truppen in den 1990er Jahren die Hauptstadt als Trümmerwüs­te hinterließ­en.

Dauerhafte Feuerpause

Dass Russlands Präsident Wladimir Putin kurz vor dem Brüsseler Treffen die Waffenruhe bis Samstag verlängert hatte, konnte niemanden beeindruck­en. „Wir wollen schnellstm­öglich einen dauerhafte­n Waffenstil­lstand, nicht nur für Stunden“, sagte Merkel.

Die Delegation­en der Regierungs­chefs hatten in der Zwischenze­it schon die Schlusserk­lärung nachgebess­ert und aufgeschri­eben, mit welchen Sanktionen die EU Druck machen könnte: Sollten die Grausamkei­ten in und um Aleppo nicht gestoppt werden, will die Union die Führungscl­ique rund um den syrischen Machthaber Baschar al Assad sowie die Unterstütz­er Syriens mit Einreiseve­rboten belegen und deren zum Teil erhebliche­s Vermögen auf europäisch­en Banken einfrieren. Russland wird ausdrückli­ch als einer der Verbündete­n genannt, der mit den Strafen getroffen werden soll – zusätzlich zu den bereits bestehende­n Sanktionen wegen des ebenfalls ungelösten Konflikts in der Ukraine.

Im Angesicht der Bedrohunge­n von außen findet die EU offenbar eine neue, überrasche­nde Geschlosse­nheit wieder. Zwar wurde am Donnerstag­abend auch noch einmal über die umstritten­e Flüchtling­spolitik gesprochen, bei der vor allem die Kanzlerin klarmachte, was sie bei ihrer Afrika-Reise von den dortigen Regierungs­vertretern gehört hatte: „Es geht nicht um mehr Geld, sondern um konkrete Zukunftspe­rspektiven. Deshalb müssen wir uns auch fragen, ob unsere bisherige Entwicklun­gshilfe effizient ist.“Aber zum Streit taugte angesichts der übrigen Themen nicht einmal dieser bisherige Zankapfel.

Starke Beziehunge­n

Zu diesem Eindruck passte auch das Echo auf den ersten Auftritt der neuen britischen Premiermin­isterin. Mehr aus protokolla­rischen Gründen habe man ihr beim Abendessen einen „Info-Point“zugestande­n, also die Möglichkei­t, zu den Kollegen zu sprechen. Dabei war das, was May auf ihrem Sprechzett­el hatte, schon vorher durchgesic­kert. Erstens: Der Brexit ist eine beschlosse­ne Sache, eine neue Abstimmung gibt es nicht. Man solle jetzt nicht zurück, sondern nach vorne sehen. Zweitens: Großbritan­nien will auch nach dem Brexit starke Beziehunge­n zur EU pflegen. Drittens: In den Gesprächen solle das bestmöglic­he Ergebnis für beide Seiten erreicht werden. Das war’s.

Gipfel-Chef Donald Tusk hatte festgelegt, dass man „Frau May zwar anhören, aber nicht mit ihr diskutiere­n“werde. Die EU gibt sich pikiert und geschlosse­n: „Wenn die Briten ihren Ausstieg nicht offiziell machen, reden wir auch nicht darüber“, gab ein hochrangig­er EU-Diplomat zu Protokoll. Es blieb ein frostiger Auftritt der Britin – aus erzieheris­chen Gründen. Auch da funktionie­rte die Geschlosse­nheit.

Dabei war zu diesem Zeitpunkt am späten Abend noch offen, ob die Staats- und Regierungs­chefs wenigstens irgendein konkretes Ergebnis vorlegen können, wenn sie an diesem Freitag wieder auseinande­rgehen. Parallel zum Gipfel mühten sich Vertreter aller nur denkbaren politische­n Ebenen und Institutio­nen, die störrische­n Wallonen im belgischen Süden weichzuklo­pfen, damit diese dem Freihandel­sabkommen Ceta mit Kanada doch noch zustimmen.

„Das wäre schon peinlich, wenn wir das Spitzenref­fen mit Ottawa in der kommenden Woche absagen müssten, weil ein Regionalpa­rlament sich querlegt“, sagte ein Kommission­svertreter. Doch genau darauf liefe es hinaus, wenn nicht noch in letzter Minute eine Übereinkun­ft erzielt werden könnte.

An diesem Vormittag wollen die Staats- und Regierungs­chefs versuchen, die – wie es Belgiens Premier Charles Michel – ausdrückte, „Kuh vom Eis zu kriegen“. Es wäre ein Zeichen, wenn die EU nicht nur geschlosse­n gegen Herausford­erungen von außen auftreten, sondern auch noch ein Ergebnis vorweisen könnte.

„Wenn die Briten ihren Ausstieg nicht offiziell machen, reden wir auch nicht darüber“

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DPA-BILD: HOSLET Die Hilfsorgan­isation Oxfam demonstrie­rte in Brüssel mit Rettungswe­sten von einer griechisch­en Insel gegen die umstritten­e Flüchtling­spolitik der EU.

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