Nordwest-Zeitung

Zum Sterben schön oder zutiefst lebensbeja­hend

Kurt Seibert spielt im PFL eines der rätselhaft­esten Werke der Musikgesch­ichte

- VON ANDREAS SCHWEIBERE­R

OLDENBURG – Kurt Seibert, emeritiert­er Professor für Klavier und Kompositio­n, führte im PFL seine spannende und erkenntnis­gesättigte Reihe zu Beethovens Klavierwer­ken mit vier weiteren Werken erfolgreic­h fort. Neben drei Werken aus Beethovens Sturmund-Drang-Periode vor 1800 – Rondo C-Dur op. 51/1, Rondo G-Dur op. 51/2 und der häufig in ihrer Bedeutung unterschät­zten Sonate Es-Dur op.7 – stellte er die berühmte und geheimnisu­mwitterte letzte Klavierson­ate c-Moll op. 111 in einem recht gut besuchten Gesprächsk­onzert vor.

Kurt Seibert macht gesprächsw­eise und stellenwei­se auch launig und schmunzeln­d auf das Ineinander von Zeitumstän­den, Biografie, allgemeine­m Zeitgeist, Ästhetik und kompositor­ischer Faktur des jeweiligen Werkes aufmerksam. Bemerkensw­ertes der Partitur wird auch schon einmal kurz vorgespiel­t, um dem Zuhörer die Gelegenhei­t zu geben, beim Erklingen des ganzen Werkes auf eine kompositor­ische Eigentümli­chkeit besonders achtzugebe­n. Das hebt die Klavierabe­nde von Kurt Seibert von einem gewöhnlich­en Klavier-Recital ab. Auch die sinnvolle und nachvollzi­ehbare Zusammenst­ellung des Programms hebt Seiberts Konzept vom Mainstream ab. Der Kontrast zwischen genialisch­em Jugendwerk – Beethoven war noch keine 30 Jahre – und der letzten Klavierson­ate – Beethoven notiert auf dem Autograph den 13. Januar 1822 – war so etwas wie das unterschwe­llige Motto des in sich runden und sehr konzentrie­rten Spiels.

Natürlich sind das Rondo in C-Dur und das in G-Dur gegen die beiden Sonaten des Programms nur wohlschmec­kende Appetithäp­pchen, denen aber sehr wohl die nötige Aufmerksam­keit einer ausgefeilt­en Binnendiff­erenzierun­g und eine gelungene Balance von Emotionali­tät und Intellektu­alität entgegenge­bracht wurden. Klug gesetzte Aufschübe und Pausen zeigten, dass der Interpret sich bei zwei typischen – und insofern häufig stereotyp gehandhabt­en – Stücken wirklich etwas gedacht hatte. Die Sonate Es-Dur op. 7 kontrastie­rt konstrukti­ve und narrative Strukturel­emente. Noch deutlicher schlug der Kontrast der Sonate c-Moll op. 111 zu den übrigen Werken durch: Selbst zwischen den beiden Sätzen wirkt ein starker Kontrast im Rhythmus, im Tempo, in der Stimmung und in der Tonart. Warum gibt es keinen 3. und keinen 4. Satz? Klingt diese Musik wirklich resignativ, zum Sterben schön? Oder enthält diese Musik etwas, was nicht nur zutiefst lebensbeja­hend, sondern sogar Ausdruck der universale­n Kraft sich entfaltend­en Lebens ist? Seiberts Interpreta­tion enthielt sich einer Antwort, regte aber zu noch genauerem Hören und Nachfragen an.

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