Wie paukt man viel Text? Was halten Nachbarn vom lauten Sprechen? Ochlast, einziger Darsteller im Drei-StundenStück „Unterwerfung“, erklärt, wie es geht – und wo es Probleme gibt.
FRAGE: Wie viele Textseiten mussten Sie für Ihre Rolle als François im Staatstheater auswendig lernen? OCHLAST: Es waren genau 94 Seiten. FRAGE: Haben Sie ein Talent zum Auswendiglernen? OCHLAST: Ich habe das Glück, dass es mir relativ leichtfällt. Ich kenne Kollegen, für die ist es eine pure Qual. Aber es ist trotzdem der ungeliebteste Teil unserer Schauspielerarbeit. Die meisten Menschen fragen uns Schauspieler ja gern: Wie schaffen Sie das? FRAGE: Und wie schaffen Sie das? OCHLAST: Jeder kennt das aus der Schule: Wenn man ein Gedicht lernt, helfen einem Versmaß und Reim. Schlicht gesagt: Man muss beim Auswendiglernen einen Satz an den anderen hängen. Die ersten zwei Sätze sind naturgemäß die leichtesten. FRAGE: Schöner Trost bei 94 Seiten… OCHLAST: Wenn ich es mit einer Sportart vergleichen würde, dann würde ich bei „Unterwerfung“von einem Marathonlauf sprechen. Mein Inspizient hat es ausgerechnet: Es sind 15 699 Worte. FRAGE: Wird Auswendiglernen in Schauspielschulen gelehrt? OCHLAST: Nein, nicht dass ich wüsste. Übrigens plant man am Theater dafür keine Zeit ein. Man muss seine Texte extra lernen, natürlich außerhalb der Proben. „Unterwerfung“war mit weitem Abstand der längste Text, den ich je gelernt habe. FRAGE: Warum hat das gut geklappt? OCHLAST: Weil der Text von Michel Houellebecq auch eine gute Vorlage liefert zum Lernen, er erzählt eine durchgehende Geschichte. Im Text gibt es Hinweise, die helfen, man reiht natürlich exakt die Wörter aneinander, aber man braucht auch die inhaltliche Sicherheit – ist es ein „Aber“im Text oder steht da im Text „doch“? Bei diesem Text brauchte ich die genaueste Sicherheit, da kann man nix überspielen, sonst kommt man in Teufels Küche. FRAGE: Wie nehmen Sie gedanklich so einen Text wahr? OCHLAST: Das ist wie bei einer sehr langen Wanderung, wie ein Weg. Und je öfter man die Wanderung macht, desto besser kennt man die Landschaft, den Weg, die Stolperfallen. FRAGE: Wo sind Sie denn mal gestolpert? OCHLAST: In der zweiten Vorstellung, auch bei mir lässt irgendwann die Konzentration nach. Und da gibt es eine Stelle, da wird François ein Wein offeriert, ein ganz exquisiter Weißwein, ein Meursault. Und da habe ich einmal statt Meursault einfach Merlot gesagt. In einer Zehntelsekunde musste ich entscheiden: korrigieren? Ich habe es so gelassen und wollte das weiter verwenden, aber die innere Alarmglocke war an. Und dann kam die Stelle: „Und nun im Eiskübel der versprochene Merlot…“Und da fiel mir ein: Weißwein kühlt man, Rotwein Merlot nicht! Ich habe es dann so gelassen, obwohl es falsch war. FRAGE: Wie oft muss die Souffleuse in der dreistündigen Aufführung eingreifen? OCHLAST: In der Premiere nicht, bei einer späteren Aufführung einmal. Ich sagte: „am nächsten Morgen wachte ich gegen 8 Uhr auf“und zur Souffleuse gleich gewandt: „Und was machte ich da?“Die hat wie aus der Pistole heraus das Richtige gesagt und weiter ging es. FRAGE: Wie lange behält man solche enormen Textmengen? OCHLAST: Das kommt auf den Text an, aus dem „Faust“werde ich ewig zitieren können, andere Texte aus dem letzten Jahr hab ich längst vergessen. Je besser die Qualität eines Textes ist, desto besser behält man ihn. Und vor Vorstellungen muss ich die Texte immer wieder und wieder reklamieren. Ich muss das auffrischen, mindestens einmal die Woche muss ich das laut durchgehen. FRAGE: Wo lernen Sie überhaupt Ihre Texte? OCHLAST: Ich brauche Ruhe, Konzentration. Zu Hause lerne ich gut. Alles muss ausgeschaltet sein, auch das Telefon. Meist ziehe ich die Vorhänge zu und gehe mit dem Textbuch auf und ab. Manchmal mache ich mir dann extra künstlichen Stress, ziehe die Vorhänge auf und öffne die Fenster. FRAGE: Und die armen Nachbarn? OCHLAST: Ach, die wissen, was ich beruflich mache.
„Alles muss ausgeschaltet sein, auch das Telefon“JENS OCHLAST