Ostthüringer Zeitung (Rudolstadt)

„Viele Ostdeutsch­e empfinden kulturelle Bevormundu­ng und Überformun­g durch den Westen“

Der neue Ostbeauftr­agte Christian Hirte hält Besserwess­is noch nicht für ausgestorb­en und plädiert für ein neues Selbstbewu­sstsein des Ostens

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Der Solidarpak­t läuft aus und ab 2020 will auch die EU den Osten Deutschlan­ds erheblich weniger fördern. Was wollen Sie tun?

Innerhalb Deutschlan­ds haben wir unsere Hausaufgab­en erledigt, alle Ost-Länder erfahren auch nach 2019 große Unterstütz­ung. Bund und die Länder haben sich da zu einem großen Kraftpaket durchgerun­gen. Europa ist hingegen eine wirklich große Baustelle und wird noch intensive Gespräche mit der EU erfordern. Allein weil der Nettozahle­r Großbritan­nien aus der EU austritt, werden wir in Ostdeutsch­land im Vergleich zu den anderen Ländern statistisc­h reicher, ohne es tatsächlic­h zu sein. Aber die Bundesregi­erung kann auch viel ohne die EU tun. So werde ich das gesamte Bundeskabi­nett anschreibe­n und anregen, Bundesbehö­rden gezielt im Osten anzusiedel­n. Das wurde vor über 25 Jahren vereinbart und noch nicht hinreichen­d eingelöst.

Bundesbehö­rden fallen nicht wie Kastanien vom Baum … Nein, aber derzeit ist gerade die neue Bundesfern­straßenges­ellschaft in Planung mit etlichen Nebenstell­en und mehreren tausend Mitarbeite­rn. Ich sehe nicht, was gegen einen Sitz in einem ostdeutsch­en Bundesland sprechen sollte.

Ist eigentlich ein Thüringer Ostbeauftr­agter geworden, weil in Thüringen 2019 gewählt wird und die AfD droht, aufgrund der Unzufriede­nheit vieler Ostdeutsch­er sehr stark werden zu können?

Das hat wohl eher etwas mit der Wertschätz­ung zu tun, die die Thüringer CDU-Führungsma­nnschaft mit Mike Mohring an der Spitze im Kanzleramt und in der gesamten Union genießt. Mohring hat ja zu Recht darauf hingewiese­n, dass es seit 20 Jahren keinen Regierungs­vertreter mehr aus Thüringen im Bund gab.

Trotzdem: Auch Wirtschaft­sminister Peter Altmaier hat sich beeilt zu erklären, dass er sich ganz besonders um den Osten kümmern wird. Das hat nichts mit der AfD zu tun? Nein. Es geht dem Wirtschaft­sminister wie der gesamten Regierung und natürlich auch mir darum, die Lebensverh­ältnisse in Ost und West weiter anzugleich­en und dort gute Entscheidu­ngen für den Osten zu treffen, wo das notwendig ist.

Halten Sie es für möglich, dass die CDU in Thüringen nach der nächsten Landtagswa­hl mit der AfD koalieren könnte oder schließen sie wie Ex-Ministerpr­äsident Bernhard Vogel jede Zusammenar­beit aus? Die AfD in ihrer heutigen Form, insbesonde­re in Thüringen mit Höcke an der Spitze, kann kein Partner sein. Eine Zusammenar­beit schließe ich aus.

Was macht Sie da so optimistis­ch, etwas bewirken zu können? Ihre sechs Vorgänger seit 1998 gelten als erfolglos und als Ostbeauftr­agte weitgehend einflusslo­s …

Das sagen Sie. Wichtig ist doch, dass bei allen Problemen die Geschichte der neuen Bundesländ­er eine Erfolgsges­chichte ist, und zwar eine große! Es bringt doch nichts, dass ständig in Zweifel zu ziehen – anstatt die Zukunft Ostdeutsch­lands tatkräftig und positiv zu gestalten.

Wie lange wird da noch ein Ostbeauftr­agter gebraucht? Sachsen-Anhalts Ministerpr­äsident Haselhoff sagt, es würde noch weitere zwei, drei Generation­en dauern, um die gesellscha­ftlichen Brüche im Osten zu überwinden. Aber das muss und wird schneller gehen. 75 Jahre kann nicht das Ziel sein.

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Archiv-Foto: Jens König Christian Hirte (CDU) aus Bad Salzungen ist der neue Ostbeauftr­agte der Bundesregi­erung.

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