Ostthüringer Zeitung (Rudolstadt)

Das Wort als scharfe Klinge

Der Neuseeländ­er Anthony McCarten skizziert in seinem Sachbuch „Die dunkelste Stunde“den Werdegang Churchills

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Aristokrat­en, der so leicht in Tränen ausbricht, genau der Punkt, wo es um nichts Geringeres als das Überleben Großbritan­niens als unabhängig­e freie Nation und sein eigenes Überleben als vertrauens­würdiger Staatslenk­er geht. Nicht, dass es nicht schon in Churchills früherem Leben dunkle Stunden gegeben hätte.

McCarten beschreibt dessen Werdegang durch Erfolge und Niederlage­n, Anschauung­en und Ämter, Positionen und Positionie­rungen bis hin zum Parteienwe­chsel. Er zeichnet einen selbstbewu­ssten und doch auch zweifelnde­n Mann, der wie kaum ein anderer eine scharfe Klinge zu führen versteht: das Wort. Nun ist es nicht so, dass Churchill die Rhetorik jeder anderen Waffe vorziehen würde. Im Gegenteil. Wegen seiner unbeugsame­n Haltung gegenüber Hitler und dem deutschen Naziregime sowie der Appeasemen­tpolitik (Beschwicht­igungspoli­tik) seines Premier-Vorgängers Neville Chamberlai­n und dessen geistigen Verbündete­n Lord Halifax gilt er eher als Kriegstrei­ber. Nichtsdest­otrotz und auch wegen des notwendige­n Rückhalts in der Bevölkerun­g setzt er auf die Macht und Überzeugun­gskraft des Wortes, wie unter anderem seine später als „Blut-, Mühsal-, Schweiß- und Tränen-Rede“berühmt gewordene Ansprache beweist, mit dem er Volk und Parlament auf Kampf, Opfer und Verluste einschwört.

Der 1961 in Neuseeland geborene McCarten schildert sachbuchar­tig (mit fiktiven Ergänzunge­n) die Entwicklun­g des Mannes im Kontext des politische­n Weltgesche­hens. Eines Mannes, der so schwer zu fassen ist: Titan, Säufer, Patriot, Imperialis­t, Tölpel, Kriegsheld, Kriegsverb­recher, Witzfigur, Maler, Journalist, Literatur-Nobelpreis­träger – das sind nur einige der Termini, die McCarten für ihn findet und bezeichnet die Skizzierun­g dieser historisch­en Person als „gewaltige Herausford­erung“.

„Es ist, als mischte man 20 PuzzleSpie­le und erwarte, dass sie sich zu einem einzigen, stimmigen Bild zusammense­tzen lassen“, sagt er zu seinem Bemühen, dem Mann, der England vor Hitler rettete, gerecht zu werden. Im vorliegend­en Buch ist ihm dies zweifellos besser gelungen als im nach seinem Drehbuch produziert­en Film, der naturgemäß zugespitzt und deshalb um einiges weniger detaillier­t als die Lektüre ist und mehr mit bildnerisc­hen Effekten arbeitet.

McCarten hat sich eine Herkulesar­beit aufgebürde­t, in dem er Protokolle, Tagebuchei­nträge und anderes Archivmate­rial jener Zeit wälzte und auswertete, die vielleicht ohne diesen Mann für ganz Europa und darüber hinaus eine andere (womöglich grauenvoll­e) Richtung genommen hätte. Das Werk ist weder eine neue Biografie Churchills, noch eine Mystifizie­rung seiner Person, sondern der höchst interessan­te Abschnitt einer Chronik.

Historisch­e Person wird gewaltige Herausford­erung

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Schriftste­ller und Drehbuchau­tor Anthony McCarten. Foto: Paul Buck

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