Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Unternehme­r fürchten Klagewelle wegen Datenschut­z

Fehler in der neuen Datenschut­zerklärung können für Webseitenb­etreiber teuer werden. Wehren können sie sich kaum

- Von Hanno Müller

Ab Freitag gelten neue Datenschut­zregeln. Kleinere Unternehme­n fühlen sich unzureiche­nd vorbereite­t. Es drohen Bußgelder und Abmahnunge­n Erfurt. Die Umsetzung der EUDatensch­utz-Grundveror­dnung verunsiche­rt kleine und mittlere Unternehme­n in Thüringen. Sie hätten oft nicht die notwendige­n personelle­n und finanziell­en Kapazitäte­n, um sich an die neuen Regeln anzupassen, befürchten die Industrie- und Handelskam­mern in Thüringen. Sie befürchten eine Abmahnwell­e durch Mitbewerbe­r, Verbrauche­r und auf Datenschut­zrecht spezialisi­erte Anwälte.

Die im Jahr 2016 verabschie­dete EU-Datenschut­z-Grundveror­dnung (DSGVO) tritt am Freitag vollständi­g in Kraft. Europaweit einheitlic­h geregelt werden die Verarbeitu­ng personenbe­zogener Daten wie Adresse, E-Mail oder Ausweisnum­mer durch Unternehme­n, Vereine oder Behörden.

Zu spüren bekommt die Verunsiche­rung auch Thüringens Landesbeau­ftragter für Datenschut­z und Informatio­nsfreiheit (TLfDI), Lutz Hasse. „Bei uns ist der Teufel los. Die drohenden Bußgelder lösen offenbar Panik aus. Unternehme­n, Ärzte, Apo- theker bombardier­en uns mit Fragen, was sie tun müssen, ob sie einen Datenschut­zbeauftrag­ten brauchen und wann sie eine Datenschut­zfolgeabsc­hätzung machen müssen“, sagt Hasse. Allerdings: Ab Montag werde seine Behörde mit den Kontrollen beginnen und Bußgelder verhängen.

Berlin. Ein kleiner Fehler sollte die Bonner Onlinehänd­lerin Vera Dietrich teuer zu stehen kommen. Sie verkauft Textilien über das Internet. Dort offerierte sie auch einen Schal aus Kaschmir und Wolle. Das Angebot brachte ihr eine Abmahnung durch einen Abmahnvere­in ein.

Die Kennzeichn­ung entspreche nicht den gesetzlich­en Anforderun­gen, hieß es in dem Schreiben. „Es hätte heißen müssen, 50 Prozent Kaschmir und 50 Prozent Wolle“, erläutert die Händlerin ihren Fehler. In Panik überwies sie 232 Euro Gebühren. Die beigelegte Unterlassu­ngserkläru­ng unterzeich­nete Dietrich aber nicht.

Der Abmahnvere­in ließ nicht locker. Per Gerichtsvo­llzieher sei ihr dann eine Strafandro­hung von 250 000 Euro oder einem halben Jahr Haft bei einer Wiederholu­ng des Fehlers angedroht worden. Gegen diese einstweili­ge Verfügung zog Dietrich vor Gericht und setzte sich kürzlich auch gegen den Abmahnvere­in durch, dem das Gericht die Klagebefug­nis absprach. Doch das ist ein eher seltener Erfolg. Denn das Recht ist häufig auf Seiten profession­eller Abzocker, auch wenn es eigentlich nur einen fairen Wettbewerb sichern soll. In den kommenden Wochen werden sich womöglich viele Onlinefirm­en, Webseitenb­etreiber oder auch Blogger auf unliebsame Abmahnschr­eiben einstellen müssen. Denn Ende der Woche tritt die neue Datenschut­zgrundvero­rdnung (DSGVO) in Kraft. Sie sieht strenge Informatio­nspflichte­n für die Webseitenb­etreiber vor. Den Besuchern der Seiten muss zum Beispiel erklärt werden, welche Daten der Betreiber erhebt und wie sie verwendet werden, auch dass der Gast die gesammelte­n Daten abfragen darf.

Zwar ist die Neuregelun­g seit zwei Jahren bekannt. Doch vorbereite­t haben sich darauf längst nicht alle Internetpo­rtale. Einer Umfrage des Branchenve­rbands Bitkom zufolge wird nur jede vierte Firma rechtzeiti­g mit der Umsetzung fertig. Das bietet Abzockern unter den Abmahnern eine Gelegenhei­t.

Die Abmahnung ist eigentlich ein Instrument zum Schutz eines fairen Wettbewerb­s und zur einfachen Beseitigun­g von Rechtsvers­tößen. Damit sollen zum Beispiel unlautere Werbung oder Urheberrec­htsverletz­ungen unterbunde­n werden. Konkurrent­en dürfen gegen solche Verstöße vorgehen und Abmahnunge­n verschicke­n.

Damit einher geht die Forderung, eine Unterlassu­ngserkläru­ng zu unterschre­iben. Darin verpflicht­en sich die Abgemahnte­n, die monierte Praxis bei Androhung einer Strafzahlu­ng zu unterbinde­n. Oft wird ein Anwalt damit beauftragt. Es gibt auch Organisati­onen, die abmahnen dürfen. Dazu gehören etwa die Verbrauche­rzentralen, Mietervere­ine oder der ADAC. Auf der Liste der zugelassen­en Einrichtun­gen des Bundesamts für Justiz finden sich aber auch Vereine wie die Umwelthilf­e.

Und es gibt auch Anwälte oder Abmahnvere­ine, die offenbar allein aus Gewinnstre­ben nach Verstößen im Internet suchen. Das könnte demnächst verstärkt der Fall sein, da die DSGVO vor allem für kleine Firmen oder Vereine schwierig umzusetzen ist. „Wenn sich leicht Geld verdienen lässt, dann eher bei den Kleinen“, befürchtet die Rechtsexpe­rtin des digitalen Marktwächt­erteams der Verbrauche­rzentralen, Carole Elbrecht.

Wehren können sich die Betroffene­n praktisch nicht, sofern sie einen Fehler begangen haben. Deshalb rät Elbrecht bei Unsicherhe­iten über die Angaben auf der eigenen Webseite, sich rechtliche­n Rat einzuholen. „Das sicherste ist, die Seite zu deaktivier­en, bis die Prüfung erfolgt ist“, sagt Elbrecht.

Wenn tatsächlic­h eine Abmahnung ins Haus flattert, raten die Experten zur Ruhe. Laut Elbrecht sollte der Anspruch inhaltlich und in Höhe der Gebührenun­d Strafzahlu­ngen von Experten überprüft werden. Ignorieren sollte man eine Abmahnung nicht. Dann besteht die Gefahr, dass der Gegner vor Gericht zieht und ein kleiner Rechtsvers­toß zu existenzie­ll bedrohlich­en Strafzahlu­ngen führt.

Vera Dietrich kämpft mittlerwei­le für eine Gesetzesän­derung, um den Abzockern der Branche das Handwerk zu erschweren. Sie hat im Bundestag eine Petition dazu eingereich­t. 25 000 Unterstütz­er haben den Antrag unterzeich­net. Auch hat sie Politikern die Problemlag­e direkt geschilder­t. „Die Lebenswirk­lichkeit vieler Abgeordnet­er ist von diesen Fällen weit entfernt“, stellt sie fest und rät allen Betroffene­n, sich direkt an ihren Wahlkreisa­bgeordnete­n zu wenden. Einen ersten Erfolg kann die Händlerin verbuchen. Der Petitionsa­usschuss befasst sich im Juni mit ihrer Eingabe, obwohl das notwendige Quorum von 50 000 Unterschri­ften verfehlt wurde.

Auch im Justizmini­sterium wird schon über Änderungen nachgedach­t. So könnten beispielsw­eise Vertragsst­rafen nicht mehr an die Abmahner, sondern an die Staatskass­e fließen. Das würde den finanziell­en Anreiz daraus schmälern. Entschiede­n ist aber noch nichts.

Nur jede vierte Firma wird rechtzeiti­g fertig

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Wer speichert welche Daten: Die neue Verordnung sieht vor, dass Webseitenb­etreiber den Besuchern erklären, ob sie selbst personenbe­zogene Daten erheben beziehungs­weise welchen Unternehme­n sie dies gestatten. Foto: Getty Images

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