Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Der Wolf war da
Nabu-Experte stuft Tier auf Wildkamera-Foto bei Volkmannsdorf als Canis lupus ein – Offizielle Bestätigung steht aus
Volkmannsdorf/Dornburg. Zwei Fotos könnten, sollten sie tatsächlich das abbilden, wovon ihr Besitzer ziemlich überzeugt ist, nicht nur die Jäger und Landwirte im Landkreis in helle Aufregung versetzen. Und erneut die Debatte befeuern, ob die Rückkehr eines vor rund hundert Jahren hierzulande ausgemerzten Mitbewohners im menschlichen Außenlebensraum namens Wald nun Fluch ist oder Segen.
Das eine Bild, aufgenommen in der Morgendämmerung des 4. Oktober vorigen Jahres in sehr grobkörnigem Schwarz-Weiß, lässt in der rechten unteren Ecke einen hellen Schattenriss erahnen, ein Tier, das sich offenbar gerade von der Kamera entfernt. Das zweite Bild entstand Anfang dieses Jahres, bei mattem Tageslicht an einer dick beschneiten Waldkante. Wieder ein Vierbeiner, graues, dichtes Fell, das an den Seiten ins Bräunliche übergeht. Der Rumpf etwas länger als der eines Hundes, der Brustkorb hoch, großer Kopf, breite Stirn und lange Schnauze, die Ohren relativ kurz und nach vorn gerichtet. Der Schwanz buschig und etwa ein Drittel der KopfRumpf-Länge messend.
Fast so, wie es im Lexikon steht. Als Beschreibung für Canis lupus. Den Wolf. Es sind Bilder, die Nico Werner von der Speicherkarte einer seiner Wildkameras gezogen hat, rund einen Kilometer westlich von seinem Haus in Volkmannsdorf entfernt. Werner, Jäger und Forstwirt, hat bislang in einer Art unfreundlicher, aber doch friedlicher Koexistenz mit dem Wolf als nicht auszuschließendem Nachbarn gelebt und über die zwei besonderen Fotos aus seiner Wildkamera geschwiegen. „Wir brauchen hier oben alles Mögliche, aber bestimmt keinen Wolfstourismus“, findet der 37-Jährige. Die Vorstellung, dass ihm Tierschützer, Naturfanatiker und sonstige „grüne Spinner“um Haus und Hof schleichen, die Jagd und die Waldnutzung beschränken könnten, ist ihm ein Graus. Es gebe ja schon Ärger genug mit den „Ökos“, sagt Werner und erzählt von abgerissenen und gestohlenen Kameras, weil mutmaßlich Jagdgegner dem Jäger die sichere Pirsch versauen wollen. Kein Bild also, kein Wolf und also Ruhe, so dachte sich Werner das.
Bis zum Dienstag voriger Woche, als er seinem halbtoten Wapitihirsch „Manfred“im Gatter den Fangschuss setzen musste. Werner hat keinen Zweifel, dass der Hirsch von einem Wolf gehetzt wurde, der trotz Schutzzaun und Elektrolitze ins Gatter eingedrungen war. Zwar hat Thüringens Rissgutachter Uwe Müller Proben des Kadavers entnommen, die nun im Senckenberg-Institut in Frankfurt/Main auf DNA-Spuren untersucht werden. Doch droht der Nachweis daran zu scheitern, dass die Proben erst eineinhalb Tage nach dem Tod des Hirsches entnommen wurden, weil die untere Naturschutzbehörde im Landratsamt aus Werners Sicht geschlampt und nicht nach seiner Meldung dort den Rissgutachter alarmiert hat. So haben die Bilder aus der Wildkamera an Gewicht gewonnen für den Wildzüchter – denn sie könnten zwar nicht direkt den Missetäter in Werners Hirschgatter zeigen, aber doch immerhin belegen, dass der Wolf unterwegs ist auf der Saalfelder Höhe. OTZ hat die Bilddateien an Silvester Tamás gemailt, Wolfsexperte des Thüringer Naturschutzbundes (Nabu) aus Dornburg, der auch von Ministerien, Landwirten und Jägern immer wieder bei Sichtungen und anderen Hinweisen auf vermeintliche Wölfe hinzugezogen wird. Sein Befund: Bei der SchwarzWeiß-Aufnahme aus dem Oktober könne „jeder mögliche Canide“, also auch schlicht ein streunender Hund erwischt worden sein. Beim wesentlich besseren Foto mit dem Tier im Schnee legt sich Tamás aber fest: „Ich würde sagen, das ist ein Wolf.“Die äußeren Merkmale seien „geradezu klassisch abgebildet“, befindet Tamás, der das Bild vor dem Gespräch mit uns auch mit anderen Experten diskutiert hat.
Für die Beweisqualität gibt es im Wolfsmonitoring die Kategorien von C 3 (schwacher Hinweis) bis C 1 (de facto keine Zweifel). Tamás: „Für mich ist das C 1.“
Allerdings müsse nun von Fachleuten der TLUG wie dem Rissgutachter oder anderen Experten im Thüringer Wolfsmonitoring noch überprüft werden, ob das Foto auch authentisch, also tatsächlich an der Stelle im Wald und ohne nachträgliche Manipulation entstanden ist. Denn unter den „Unmengen“an Hinweisen, Bildern und Videos, die laut Tamas bei Nabu und TLUG sowie beim Jagdverband als Monitoring-Partner eingehen und angeblich Wölfe in Thüringen zeigen, fänden sich nicht nur so schwache und letztlich untaugliche wie etwa längst vertrockneter Kot, ausgebleichte Beuteknochen oder schemenhafte Kamerabilder. Sondern auch regelrechte und zuweilen kunstvolle Fälschungen. „Wir hatten hier schon die verrücktesten Dinger“, sagt Tamás und erinnert sich besonders an ein Video im vorigen Jahr, das zwar sehr schön den Buchenwald bei Weimar zeigte. „Aber die Wölfe im Bild sprangen irgendwie komisch“, so Tamás. Wie sich herausstellte, waren sie von einer amerikanischen Website kopiert worden – und tollten irgendwo in Wisconsin herum.
Umso mehr appelliert Tamás, etwaige Wolf-Bilder, Videos und sonstige Hinweise möglichst sofort an das Naturschutzministerium, an das Felis-Lupus-Projekt
Äußere Merkmale sind „klassisch abgebildet“
des Nabu oder den Rissgutachter bei der TLUG zu übermitteln. Schließlich gehe es nicht nur um den möglicherweise ergänzenden Beweis bei betroffenen Tierhaltern, sondern auch um die Information an andere Landwirte oder Jäger in der Region. Und um die vielen Puzzlestücke, die notwendig sind, um seriöse Kenntnis zu gewinnen, ob Wolf und Luchs nicht nur Transitreisende durch Thüringen sind, sondern wirklich hierzulande wieder heimisch werden. Allen angeblichen WolfsBeweisen stehen bislang jedenfalls nur fünf bestätigte Sichtungen oder Funde entgegen. Das Foto aus Werners Kamera könnte die sechste Wolfs-Bestätigung für Thüringen sein.