Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Neue Stoffe fürs Theater
mälde ihrer eigenen, durch Hedonismus überforderten und in bloßer Möglichkeit verharrenden Generation.
Ferdinand Schmalz, nur fünf Jahre älter als Bach, setzt sich in „der thermale widerstand“, das am Schauspielhaus Zürich Premiere feierte, mit Zeitmangel, Burn-Out und einer wiederbelebten Utopie auseinander. In einem renovierungsbedürftigen Thermalbad, dasSchmalz als Brennglas unserer Gesellschaft nutzt, will Bademeister Hannes sich der dauerhaften Optimierung unserer Zeit entgegenstellen. Ob die Kurgäste diesen Plan wohl mittragen?
Ein mindestens ebenso gesellschaftlich relevantes Thema greift Clemens Setz in seinem Stück „Vereinte Nationen“auf. Es geht darin um Datenschutz und Privatsphäre, Fiktion und Wirklichkeit, Täter und Opfer. Die Eltern der siebenjährigen Martina filmen ihre Tochter, während sie sie erziehen, und verkaufen die Clips im Netz. Je größer der Zuspruch der Internet-Community wird, desto perfider werden die Ideen der Eltern, ihr Kind mit Extremsituationen („Natural-Szenen“) zu konfrontieren. Die Uraufführung fand am Nationaltheater Mannheim statt.
Ebenfalls am Nationaltheater Mannheim war die Premiere des Stückes „Mädchen in Not“von Anne Lepper zu erleben. Hauptfigur ist die junge Baby, die sich auflehnt gegen eine patriarchalisch organisierte Welt. Mit einer Puppe als Mann will sie nach Italien reisen. Allein, so einfach lassen sie die Männer nicht gehen und verkleiden sich ebenfalls als Puppen.
Mit Wut im Bauch schreibt Elfriede Jelinek. Sie lässt IS-Terroristen oder „Wutbürger“sich in Rage reden, oft geschickt verdeckend, wer genau gera- de spricht. Jelinek ist bereits zum 18. Mal Gast der Theatertage. Ihr diesjähriges Stück „Wut“– uraufgeführt an den Münchener Kammerspielen – entstand zunächst unter dem Eindruck der Terroranschläge auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“und einen jüdischen Supermarkt in Paris.
Milo Rau lässt in „Empire“, zuerst aufgeführt am Zürcher Theater Spektakel, vier Personen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammentreffen. Die individuellen Biografien der Schauspieler aus Ländern wie Syrien und Rumänien verdichten sich bei ihm zu einem Panorama unserer Zeit.
Mit Schauspielern des E T A Hoffmann Theaters Bamberg macht Konstantin Küspert den sarkastischen Versuch Europa zu verteidigen. Sein gleichnamiges Stück hat drei Erzählstränge. Der erste Strang setzt sich mit populärer Europa-Kritik auseinander, während der zweite die gewaltvolle Geschichte des Kontinents ergründet. Der dritte Erzählstrang, der antike Gründungsmythos Europas, macht in dieser Geschichte auch nicht unbedingt Mut. Warum wir Europa verteidigen sollten, müssten wir nach Küsperts Ansicht selbst wissen.
Mit diesen sieben Stücken erweist sich das Theater einmal mehr als Pulsmesser unserer Zeit.
Im Zentrum der Mülheimer Theatertage
steht der dramatische Text, nicht
die Inszenierung