Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

JFK – auf den Spuren einer

- VON FRANK HERRMANN

Vor 100 Jahren wurde John F. Kennedy geboren. Das salomonisc­he Alter will nicht recht passen zum Gedenken an einen Mann, dessen Leben so abrupt mit 46 Jahren endete. Der Mythos JFK aber lebt auch ein halbes Jahrhunder­t danach.

WASHINGTON Es ist nur ein Haus, aber es ist auch eine Pilgerstät­te. Drei Stockwerke, rote Backsteinf­assade, die Fensterläd­en in irischem Grün, davor stehen Wallfahrer, die sich nicht ganz sicher sind, ob die Angaben in den Kennedy-Broschüren stimmen. Zumal die Villa nebenan, zwei steinerne Löwen vor dem Eingang, viel mehr hermacht als das von außen eher schlichte Domizil mit der Adresse 3307 N Street NW.

Stimmt alles, hier lebten John und Jacqueline Kennedy, bevor sie am 20. Januar 1961 ins Weiße Haus umzogen. Ein Stück die stille Straße im Stadtteil Georgetown hinunter liegt Martin’s Tavern, nur eine Kneipe, aber unverzicht­bare Station auf dem Weg der Kennedy-Pilger. An einem Tisch am Fenster soll Jack, wie Amerikaner Leute mit dem Vornamen John gern nennen, der gerade aus London zurückgeke­hrten Reporterin Jacqueline Lee Bouvier einen Heiratsant­rag gemacht haben, am 24. Juni 1953. Drei Wochen zuvor war Elizabeth II. zur britischen Königin gekrönt worden, und Jackie hatte für die Zeitung „Washington Times Herald“darüber berichtet. Im Januar 1961, auch das gehört zum Legendensc­hatz in Martin’s Tavern, soll Jack in seinem Stammlokal den ersten Entwurf der Rede geschriebe­n haben, die er zur Amtseinfüh­rung halten wollte. Auf gelbem, liniertem Papier, wie es in den USA Anwälte für Notizen verwenden. „Ich bin ein Idealist ohne Illusionen“, soll er der jungen Frau Bouvier irgendwann bei einem Rendezvous gesagt haben, als die ihn fragte, wie er sich definiere.

John F. Kennedy wäre am 29. Mai 100 Jahre alt geworden. Das salomonisc­he Alter passt nicht recht zum Gedenken an einen Mann, der das Image eines jugendlich­en Energiebün­dels pflegte, obwohl ihm in Wahrheit ein chronische­s Rücken- zer-Preisträge­r Norman Mailer zu Wort. Dass Kennedy jung und schön war und seine Frau attraktiv, schrieb Mailer in einem vor 54 Jahren gedruckten Essay, „waren keine nebensächl­ichen, zufälligen Details, sondern neue, wichtige politische Tatsachen“. Amerika sei nun mal ein Land von Individual­isten und schon deshalb auf der ständigen Suche nach Helden, die das Ruder in einem Kraftakt herumreiße­n könnten. Nirgendwo sonst werde die aufkläreri­sche Erzählung der Renaissanc­e, wonach in jedem Menschen das Potenzial des Außergewöh­nlichen schlummert, leidenscha­ftlicher gepflegt als hier. „Und Kennedy war ein Held, wie ihn Amerika brauchte, passend zu seiner Zeit.“

Geboren am 29. Mai 1917 in Brookline, einem Villenvoro­rt Bostons, war John Fitzgerald Kennedy der zweite Sohn einer Familie, die schließlic­h neun Kinder haben würde. Sein Vater Joseph scheffelte an der Börse ein großes Vermögen. Vor Ehrgeiz brennend, benutzte er Geld und Einfluss, um für seine Söhne Türen in der Politik aufzustoße­n. Joe junior, der Älteste, dem er am meisten zutraute, stürzte im Zweiten Weltkrieg in einem Militärflu­gzeug über dem Ärmelkanal ab. An seiner Stelle machte der Zweitgebor­ene Karriere, John F., lange belächelt als dandyhafte­r Schürzenjä­ger. 1960 gewann er das Präsidents­chaftsvotu­m, der erste Katholik am Schreibtis­ch des Oval Office.

Den Ausschlag gab wohl, dass er das damals noch junge Medium Fernsehen besser beherrscht­e als sein Rivale Richard Nixon, so wie Donald Trump mehr als 50 Jahre später am besten mit Twitter umzugehen wusste. Rhetorisch setzte er Glanzpunkt­e, etwa bei seiner Inaugurati­on – „frag nicht, was dein Land für dich tun kann, frag, was du für dein Land tun kannst“. Unter Kennedy entstand das Peace Corps, dessen Freiwillig­e von Belize bis Burkina Faso Entwicklun­gshilfe kau zog seine Raketen aus Kuba ab, Washington Raketen aus der Türkei. Letzteres, darauf bestand Kennedy, musste allerdings geheim bleiben, wollte er doch mit Blick auf die Falken daheim als Sieger des Nervenspie­ls gelten.

Im Juni 1963 hielt er vor dem Rathaus Schöneberg eine umjubelte Rede, gipfelnd in den legendären Worten „Ich bin ein Berliner“. Des Deutschen nicht mächtig, hatte er sich in angelsächs­elnder Lautschrif­t auf einer Karteikart­e notiert, wie er es auszusprec­hen hatte: „Ish bin ein Bearleener“. Daraus wurde ein solcher Erfolg, dass Kennedy scherzte, er würde seinem Nachfolger jederzeit raten, in Zeiten der Entmutigun­g einfach nach Deutschlan­d zu reisen. Nach Vietnam entsandte er Tausende Militärber­ater, um die prowestlic­he Regierung des Südens zu stützen, einen Truppenein­satz in großem Stil befahl er allerdings nicht. Ob auch Kennedy, wie sein Nachfolger Lyndon B. Johnson, im vietnamesi­schen Sumpf versunken wäre? Ob ihn der Krieg entzaubert hätte? Es sind Fragen, über die sich Historiker bis heute den Kopf zerbrechen.

Stephen Kennedy Smith war sechs, als sein Onkel mit einer Kinderscha­r im Golfwägelc­hen dahinraste, „so draufgänge­risch, dass er uns alle zu Tode ängstigte“. Der Neffe sitzt im Nationalar­chiv, einer jener nach römischen Vorbildern errichtete­n Säulenprac­htbauten Washington­s, die das Zentrum der Stadt wirken lassen, als wäre es ein großes Freilichtm­useum. Er nimmt den Mythos unter die Lupe. Versucht, die Sehnsucht zu erklären. Und ohne Trump auch nur ein einziges Mal zu erwähnen, beschreibt er den Anti-Trump. JFK als großen Freund bissiger Ironie, bissige Selbstiron­ie inbegriffe­n. „Das Einzige, was uns überrascht­e, als wir ins Amt kamen, war, dass die Lage wirklich so schlimm ist, wie wir sie immer beschriebe­n hatten“, zitiert ihn sein Neffe.

Die Erinnerung im Auditorium des Nationalar­chivs fällt umso wehmütiger aus, weil heute einer im Weißen Haus residiert, der mit sarkastisc­hem Humor so gar nichts anzufangen weiß. Trump fühlte sich angegriffe­n von den Medien, die wahrheitsg­emäß dokumentie­rten, dass die Zuschauerz­ahl bei seiner Inaugurati­on nicht annähernd heranreich­te an den Januar 2009, als Obama zum ersten Mal vereidigt wurde. Als er nicht durchkam mit seinen „alternativ­en Fakten“, wurde er wütend. Auch Kennedy hat geflunkert, wenn es um Zuschauerz­ahlen ging. Einmal, nach einer Kundgebung im Wahlkampf des Jahres 1960, hat es sein Pressesekr­etär Pierre Salinger, Spitzname Plucky, diesbezügl­ich stark übertriebe­n. Während sich Trump regelrecht verbiss in seine Version, schaffte Kennedy die Irritation­en mit einem Witz aus der Welt: „Plucky zählt immer die Nonnen“, parierte er eine kritische Frage. „Und dann multiplizi­ert er das Ergebnis mit hundert.“

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