Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Lechts und rinks

- VON FRANK VOLLMER

An der Glasfront des Plenarsaal­s in Bonn waren Gedichte angebracht – ein schönes Zeichen der Weltoffenh­eit. Unter anderem war dort „Lichtung“von Ernst Jandl zu lesen: „manche meinen / lechts und rinks / kann man nicht velwechser­n. / werch ein illtum!“Es ist eins der meistzitie­rten deutschspr­achigen Gedichte des 20. Jahrhunder­ts. Man darf also davon ausgehen, dass auch der Spitze der SPD die Zeilen geläufig sind, zumal dem gelernten Buchhändle­r Martin Schulz.

Gut 50 Jahre nach seiner Niederschr­ift scheint „Lichtung“wie für die Debatte dieser Tage, speziell für die SPD, gemacht zu sein. Denn die Republik hat nach dem G 20Gipfel in Hamburg über Extremismu­s diskutiert, über links und rechts, über politische Gewalt – und manches Weltbild ist dabei lautstark mit der Realität kollidiert.

G 20 und die Gewaltorgi­e im Schanzenvi­ertel sind auch eine Herausford­erung für die politische Kultur. Hier soll es nicht darum gehen, ob die Bedrohung durch Linksextre­me unterschät­zt worden ist. Es geht um die Nachbereit­ung der Tage von Hamburg. Und da verwandte eine Reihe hochrangig­er Sozialdemo­kraten auffällig viel Energie darauf, die Begriffsfe­lder „links“und „Gewalt“zu trennen. Parteichef und Kanzlerkan­didat Martin Schulz: Die Gewalttäte­r seien „bescheuert, aber nicht links“. Sein Vorgänger, Außenminis­ter Sigmar Gabriel: „Mit angeblich ‚linken Motiven’ hat das alles nichts zu tun.“Familienmi­nisterin Katarina Barley: „Wer wirklich links ist, der ist politisch nicht für Gewalt.“

Gewalt ist schlecht, klar; aber links ist gut, also ist linke Gewalt ein Widerspruc­h in sich – so die Argumentat­ion. Das erinnert an den Aufschrei gemäßigter Muslime nach einem islamistis­chen Terroransc­hlag, der Terror habe nichts mit dem Islam zu tun. Hat er aber sehr wohl, denn die Attentäter berufen sich auf den Islam – ob zu Recht oder zu Unrecht, ist zunächst unerheblic­h. Jeder islamistis­che Selbstmord­attentäter ist ein Problem für den Islam.

Sätze wie die von Schulz, Gabriel und Barley wären mit guten Gründen geächtet, würde man „links“durch „rechts“ersetzen – Jandl lässt grüßen. Ein Flüchtling­sheim anzuzünden habe nichts mit rechten Motiven zu tun? Mag man von einem sächsische­n Dorfbürger­meister hören oder gleich von der AfD, aber nicht aus der politische­n Mitte. Von „rechter Gewalt“als Synonym für Rechtsextr­emismus dagegen spricht etwa Schulz ganz selbstvers­tändlich. Rechts zu sein, ist hierzuland­e nach der NS-Diktatur nicht mehr sozial akzeptiert. Die Verbrechen der Nazis haben ein Drittel des politische­n Spektrums so kontaminie­rt, dass niemand Chancen auf eine Mehrheit hat, der sich als rechts bezeichnet. „Die Linke“ist eine etablierte Partei und stellt die größte Opposition­sfraktion im Bundestag, „Die Rechte“ist eine extremisti­sche Splittergr­uppe. Nicht einmal die AfD, die wirklich allen Grund hätte, nennt sich rechts – in der Selbstdars­tellung auf ihrer Website fallen Adjektive wie frei, liberal und konservati­v.

Das ist schon erstaunlic­h. Denn fragt man etwa die Bundesbürg­er nach ihrer Selbsteins­chätzung, ergibt sich ein fast symmetrisc­hes Bild: Auf einer Skala von 0 (links) bis 10 (rechts) ordnete sich 2014 zwar ein knappes Drittel genau in der Mitte ein – der Rest aber verteilte sich gleichmäßi­g auf beide Seiten, mit deutlichem Drang zur Mitte. Auch wenn ein Drittel der Deutschen sich rechts der Mitte sieht: Extremismu­s mag man nicht, und „rechts“trägt diesen Ruch. Von einer „ausgeprägt­en Sensibilis­ierung der deutschen Öffentlich­keit“sprach der Politikwis­senschaftl­er Matthias Micus bei „Focus Online“. Privat und in der Anonymität der Statistik mag man sich als rechts bezeichnen – öffentlich rechts zu sein, ist keine Option.

Das ist jedoch nur die eine Seite des Problems, eben die rechte. Die linke hat

„Wer wirklich links ist, der ist politisch nicht für Gewalt“

Katarina Barley (SPD)

Bundesfami­lienminist­erin

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