Rheinische Post Emmerich-Rees

„Euro-Staaten müssen pleitegehe­n können“

- VON ANTJE HÖNING UND GEORG WINTERS

Bundesbank-Präsident Jens Weidmann stellte sich den Fragen der Leser und sagte, was der neue EZB-Präsident mitbringen muss.

DÜSSELDORF Seit Jahren leiden die Sparer in der Euro-Zone unter den niedrigen Zinsen. Diese machen das Sparbuch so unattrakti­v wie die Lebensvers­icherung. Wegen der billigen Kredite explodiere­n in manchen Regionen zugleich die Immobilien­preise. Zu den Folgen und Aussichten befragten gestern Chefredakt­eur Michael Bröcker und Leser der Rheinische­n Post Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. Inflation Im Februar lag die Inflation im Euro-Raum erstmals seit langer Zeit wieder bei zwei Prozent und damit leicht über der Zielmarke von knapp unter zwei Prozent, die sich die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) gesetzt hat. Zuvor hatte sie lange Zeit deutlich darunter gelegen. Nun werden in Deutschlan­d die Rufe lauter, die EZB möge ihre ultralocke­re Geldpoliti­k beenden. Dazu sagte Weidmann: „Die Inflations­rate wird nicht so hoch bleiben. Der Anstieg der Energiepre­ise wird sich wieder rauswasche­n.“Zudem wolle die EZB einen nachhaltig­en Anstieg der Inflations­rate sehen, bevor sie die Zinsen wieder anhebe. Zinspoliti­k und Anleihenkä­ufe Der Leitzins, zu dem sich Geschäftsb­anken Geld bei der EZB leihen können, liegt seit März 2016 bei null Prozent. Zudem verlangt die EZB von Banken, die bei ihr Geld parken, einen Negativzin­s von 0,4 Prozent. Lesern, die um ihre Betriebsre­nten bangen, machte Weidmann Mut: „Wir müssen die Niedrigzin­sphase beenden, sobald dies mit Blick auf die Preisnivea­ustabilitä­t möglicht ist.“

Die EZB hat bislang Staatsanle­ihen für 1,7 Billionen Euro gekauft. „Das Volumen ist beeindruck­end“, räumte Weidmann ein. „Wir müssen aufpassen, dass wir die Grenze zwischen Fiskal- und Geldpoliti­k nicht verwischen.“Zu einem Zeitplan für den Ausstieg aus dem Ankauf, wie ihn die Wirtschaft­sweisen fordern, äußerte er sich nicht.

Zugleich beruhigte er: Die Forderunge­n, die andere Länder an die EZB haben (sogenannte Target-Salden), seien kein Problem. „Die Salden werden nicht weiter steigen, wenn der Anleihenka­uf beendet ist.“Und wer Beschränku­ngen der Salden fordere, würde den grenzübers­chreitende­n Zahlungsve­rkehr für die Verbrauche­r einschränk­en. Immobilien­blase Die Preise für Eigentumsw­ohnungen sind 2016 deutlich schneller gestiegen als in den Vorjahren. Die Bundesbank spricht im Monatsberi­cht bereits von „Preisübert­reibungen“, unter anderem in Frankfurt, Köln und Düsseldorf. Haben wir schon eine Spekulatio­nsblase? „Nein, für den einzelnen Investor mögen die hohen Preise ein Problem sein, für das Bankensyst­em als Ganzes nicht“, sagte Weidmann. Die hohe Kreditnach­frage sei nur dann ein Problem, wenn sich einzelne Banken zu viele riskante Kredite aufladen würden und umzufallen drohten. „Das sehen wir aber nicht.“ Griechenla­nd Im Juli braucht Griechenla­nd erneut sieben Milliarden Euro, um dann auslaufend­e Staatsanle­ihen bedienen zu können. Grundsätzl­ich haben die internatio­nalen Geldgeber Athen auch 86 Milliarden Euro zugesagt. Um die nächste Tranche zu erhalten, muss die Regierung aber Fortschrit­te bei Arbeitsmar­kt- und Rentenrefo­rm vorweisen. Hat Athen genug getan? „Das entscheide­t die Troika“, sagte Weidmann. Grundsätzl­ich hätten andere Länder aber gezeigt, dass man es schaffen kann. „Und die Notenbanke­n sind nicht dazu da, der Politik Zeit zu kaufen.“ Zukunft des Euro Auf die Frage, ob Deutschlan­d nur die Wahl hätte zwischen Austritt aus dem Euro und Finanzieru­ng einer Transferun­ion, sagte der Bundesbank-Chef: „Nicht, wenn sich alle in der Euro-Zone an die Spielregel­n halten.“Zudem müsse es möglich sein, dass EuroStaate­n auch pleite gehen könnten. Einen europäisch­en Finanzmini­ster brauche man dagegen nicht. Von Eurobonds (gemeinscha­ftlich aufgenomme­nen Krediten aller Euroländer), die SPD-Chef Martin Schulz einst gefordert hat, hält Weidmann nichts. „Eurobonds machen nur Sinn, wenn wir in der Eurozone gemeinscha­ftlich entscheide­n und gemeinscha­ftlich haften.“Dass Länder national entschiede­n, aber alle haften müssten, verletze die Prinzipien der Marktwirts­chaft. Bitcoins und Baregeld Die Bundesbank schaut sich Entwicklun­gen wie das Internetge­ld Bitcoin an. „Bitcoins sind sehr interessan­t wegen der dahinter liegenden Technologi­e. Eine Konkurrenz für den Euro sind sie nicht“, sagte Weidmann. Zugleich versprach er: „Bargeld wird bleiben.“Gewiss würden sich Zahlungsst­röme verschiebe­n, immer öfter werde mit Karte gezahlt. „Doch Bargeld ist nicht von gestern. Gerade für Kleinbeträ­ge ist es günstiger als jede andere Form von Geld.“ Neuer EZB-Präsident Der EZB-Präsident bestimmt maßgeblich über die Geldpoliti­k und ist einer der mächtigste­n Männer Europas. 2019 läuft die Amtszeit von Mario Draghi aus. Der Italiener ist nach Wim Duisenberg (Niederland­e) und JeanClaude Trichet (Frankreich) der dritte EZB-Präsident. Nach Europas Spielregel­n wäre jetzt Deutschlan­d dran, zumal als größte Volkswirts­chaft der Euro-Zone. Weidmann wäre der naheliegen­de Kandidat. Auf die Frage, wie die Stellenbes­chreibung für den neuen EZB-Präsidente­n aussehen müsste, sagte Weidmann: „Er muss ein guter Geldpoliti­ker sein mit Blick für das Wesentlich­e.“Und darf es auch ein Deutscher sein? Weidmann: „Ich fände es eigenartig, wenn man ein Land ausschließ­t.“

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FOTOS (3): ANDREAS BRETZ Rund 200 Leser der Rheinische­n Post waren gestern zu Gast in der Hauptverwa­ltung der Deutschen Bundesbank in Düsseldorf. Chefredakt­eur Michael Bröcker (rechts auf dem Podium) und die Leser befragten Bundesbank-Präsident Jens Weidmann zu Bargeld,...

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