Rheinische Post Emmerich-Rees

James Baldwin wird wiederentd­eckt

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Die Kino-Dokumentat­ion „I Am Not Your Negro“porträtier­t den US-Autor.

DÜSSELDORF Der amerikanis­che Schriftste­ller James Baldwin lebt in Paris, als er 1957 die erschütter­nden Bilder sieht. Alle Zeitungen drucken sie, Nachrichte­nsendungen strahlen sie aus, und dieser Film holt sie nun zurück ins Gedächtnis. Sie zeigen die 15-jährige Dorothy Counts. Ihr Vater ist Professor, sie trägt ein Kleid, und es ist ihr erster Tag an der Harding-Highschool in Charlotte, North Carolina. Counts ist die erste schwarze Schülerin dort, und auf ihrem Weg zum Unterricht wird sie bespuckt und mit Steinen beworfen. Drei Tage geht das so; schließlic­h verlässt das Mädchen die Schule. „Jemand hätte ihr beistehen müssen“, denkt Baldwin in seinem Exil. Dann kehrt er heim in die USA.

„I Am Not Your Negro“heißt der sehenswert­e und bedrückend­e Dokumentar­film, der diese Geschichte erzählt. Regisseur Raoul Peck war mit der Produktion soeben für den Oscar nominiert. Er porträtier­t darin den schwarzen Autor Baldwin und dessen vergeblich­en Kampf gegen Ungleichhe­it. Baldwin gehörte von den 50er bis 70er Jahren zu den großen Intellektu­ellen des Landes, seine Romane „Gehe hin und verkünde es vom Berge“und „Eine andere Welt“waren Bestseller, seine Stimme wurde gehört, und immer wieder mahnte er zur Vernunft: „Es geht nicht um die Schwarzen. Es geht um unser Land.“

Der Rapper Samy Deluxe spricht in der deutschen Fassung Texte von Baldwin, sie stammen zumeist aus den Notizen seines unvollende­ten Werks über die Bürgerrech­tler Martin Luther King, Malcolm X und Medgar Evers. Baldwin war mit ihnen befreundet, auch wenn er ihre Positionen nicht vollends teilte, und alle drei wurden in den 60er Jahren ermordet. In historisch­en Aufnahmen sieht man Baldwin in Talk- shows reden, an Universitä­ten sprechen. Es ist fasziniere­nd, ihm zuzusehen, so charmant und bestimmt agiert er, so elegant und klar argumentie­rt er. Baldwin war ein intellektu­eller Aktivist. Einmal sagt er, der so fürs Kino schwärmte, wie ihm als Kind beim Schauen eines Westerns eine Erkenntnis kam: „Während ich Gary Cooper beim Töten von Indianern zusah, merkte ich, dass ich selbst der Indianer bin.“

1948 war der Mann aus Harlem fortgegang­en, weil er nicht länger angegriffe­n werden wollte wegen seiner Hautfarbe und Homosexual­ität. Außerdem wollte er als USSchrifts­teller wahrgenomm­en werden, nicht als schwarzer Autor. Nach seiner Heimkehr schrieb er stilistisc­h brillante Essays, die derzeit in den USA wiederentd­eckt werden. Denn auch das zeigt der Film: Trotz acht Jahren mit einem schwarzen Präsidente­n hat sich wenig geändert am Konzept der „White Supremacy“: Einmal liegen Baldwins Texte über Bildern der Rassenunru­hen von 2014. Da wird der Autor plötzlich zum Zeitgenoss­en.

Baldwin starb 1987. Die „Black Lives Matter“-Bewegung, die sich gegen Rassismus engagiert, beruft sich auf ihn. Junge Intellektu­elle wie Teju Cole und Ta-Nehisi Coates verehren ihn als Vorbild. Baldwins Texte bleiben dringlich. Leider.

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FOTO: VERLEIH James Baldwin (1924-1987)

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