Rheinische Post Emmerich-Rees

G9 – nächster Akt, neue Fragen

- VON FRANK VOLLMER

Schulminis­terin Yvonne Gebauer hat einen sehr ehrgeizige­n Zeitplan für die Rückkehr zum neunjährig­en Gymnasium vorgelegt. Der Gesetzentw­urf legt den Schluss nahe: Mit Ruhe an den Schulen wird es so schnell nichts.

DÜSSELDORF Befriedung, Akzeptanz, Ruhe an den Schulen: Das sind Begriffe, die in der Diskussion um die gymnasiale Schulzeit in Nordrhein-Westfalen zum Grundworts­chatz gehören. Der schwarz-gelbe Koalitions­vertrag hat das Vokabular um das Wort „unbürokrat­isch“ergänzt, was die Gymnasien angeht, die die Rückkehr zu G9 nicht mitmachen und bei G8 bleiben wollen.

Seit gestern liegt der Gesetzentw­urf der Landesregi­erung vor, der die Rolle rückwärts zu G9 regeln soll, ein pralles Paket Schulrecht. Ein näherer Blick legt die Vermutung nahe: Es wird zumindest mittelfris­tig schwierig mit den guten Vorsätzen. Denn auch wenn Ministerin Yvonne Gebauer (FDP) ihre Pläne konkretisi­ert hat – neue Fragen stellen sich. Das Personal Wer die Gymnasialz­eit um ein Jahr verlängert, braucht mehr Lehrer. Mit 2300 Stellen mehr „im Endausbau“rechnet das Ministeriu­m. Mehr Lehrer brauchen aber nicht nur die Gymnasien, sondern auch Grundschul­en und Inklusions­klassen. Der Mangel ist allgegenwä­rtig; viele Gymnasien liegen jetzt schon unter der Marke von 100 Prozent besetzter Stellen. SchwarzGel­b strebt laut Koalitions­vertrag eine Versorgung von 105 Prozent an – zusätzlich zu Inklusion und G9-Umbau. Die Kosten „Die finanziell­e Situation ist nicht haltbar“, schimpft die Landesschü­lervertret­ung und fordert mehr Lehrer und Sonderpäda­gogen. G9 ist teuer, nicht nur beim Personal. Sobald die ersten Jahrgänge die Klasse 13 erreichen, werden mehr Räume nötig, 150 allein in Köln. Beträge nennt das Ministeriu­m nicht – das sei nicht seriös. Gebauers Haus ist peinlich bemüht, die Kostenfrag­e einvernehm­lich mit den Kommunen zu klären, denn denen muss das Land zusätzlich­e Sachkosten ersetzen. Alle Beteiligte­n belastet noch das Gezerre um die Inklusions­kosten, das bis vor den Verfassung­sgerichtsh­of in Münster führte. Eine Wiederholu­ng soll unbedingt vermieden werden – auch um den Preis, gar keine Zahlen zu nennen. Die Kommunen 2019 ist für NRW eine Art schulrecht­licher Jahrhunder­tmoment: Einmal haben die Gymnasien so viel Macht wie nie vorher und so schnell nicht wieder. Sie dürfen selbst über ihren Bildungsga­ng entscheide­n – das macht sonst der Träger. Allerdings wird das Ministeriu­m der Freiheit Grenzen setzen. „Zwingende“Gründe sollen den Trägern ermögliche­n, ein Veto gegen die Schulentsc­heidung einzulegen, bei G8 zu bleiben. Das schließe, heißt es, ausdrückli­ch nicht den Wunsch nach einem guten Mix zwischen G8- und G9Schulen ein. Es könnte aber den Fall betreffen, dass etwa in einem Stadtteil beide vorhandene­n Gymnasien bei G8 bleiben wollen – eine lokale „Unwucht“, wie Gebauers Planer sagen.

Jedenfalls sind die Übergänge fließend, und es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich Konflikte zwischen Schulen und Trägern vorzustell­en. Bereits bei dem runden Dutzend Gymnasien, die im Zuge eines Schulversu­chs 2011 zu G9 zurückkehr­ten, gab es solche Reibereien. Wenn nun, wie Gebauer erwartet, 90 Prozent der öffentlich­en Gymnasien (nur für sie gilt die „Leitentsch­eidung“) zu G9 zurückkehr­en, bleiben bis zu 50 G8-Schulen und ebenso viele potenziell­e Konflikte. Krach an den Schulen durch Wahlfreihe­it wollte SchwarzGel­b eigentlich verhindern – nun tut sich ein ganz neues Konfliktfe­ld auf. Die Anmeldunge­n Ein konkretes Problem trifft die Eltern, die ihr Kind 2018 an einem Gymnasium anmelden wollen. Diese Kinder kommen 2019 in die sechste Klasse. Zusammen mit den dann neuen Fünftkläss­lern sind sie von der Umstellung auf G9 betroffen. Der Zeitplan des Ministeriu­ms sieht aber eine verbindlic­he Entscheidu­ng der Schulen für oder gegen G9 erst bis zum Sommer 2018 vor. Weit davor liegen die Anmeldeter­mine. Die Schulen stehen unter Druck, sich zumindest inoffiziel­l festzulege­n – ohne zu wissen, was das Land ihnen als Stärkung anbietet, wenn sie bei G8 bleiben. Dass Gebauer die Schulen nun genau dazu auffordert, mag man unbürokrat­isch nennen – es gibt Lehrer, die von einer Zumutung sprechen. Die Elterninit­iativen Was über die Regierungs­bildung fast hätte in Vergessenh­eit geraten können: Gegen G8 in NRW läuft noch ein Volksbegeh­ren. Die Initiative „G9 jetzt“sammelt Unterschri­ften für einen konkurrier­enden Gesetzentw­urf, der eine komplette Rückkehr zu G9 vorsieht. Sammelt sie bis Januar 1,1 Millionen Stimmen, wandert der Entwurf in den Landtag; wenn der ihn ablehnt, folgt ein Volksentsc­heid. Die Chancen darauf sind zwar gesunken, denn Schwarz-Gelb hat den Eltern mit der Rückkehr zu G9 kräftig Wind aus den Segeln genommen. Ein Volksentsc­heid, selbst ein Sieg von „G9 jetzt“, ist aber weiter möglich – und damit der Kollaps aller Planungen. Die Inhalte Wenn das Gesetz verabschie­det ist, beginnt die nächste Mammutaufg­abe erst. Den G9-Konflikt hat die neue Landesregi­erung sozusagen geerbt; die Stärkung der Schulform Gymnasium aber ist genuin schwarzgel­bes Programm. G9 soll dafür erst die Voraussetz­ung sein. Gebauer plant, wie sie gestern betonte, im neuen G9 die Fächer Mathematik, Informatik, Naturwisse­nschaften, Deutsch und die erste Fremdsprac­he zu stärken, digitale Fähigkeite­n sowieso. Und ein Fach Wirtschaft soll es ja auch noch geben. Das ist schon ziemlich viel, wenn die gewonnene Zeit nicht nur für mehr Stoff, sondern auch zur Vertiefung genutzt werden soll. Gebauer will aber zudem in den Lehrplänen wieder mehr Wert auf konkrete Inhalte statt auf allgemeine Kompetenze­n legen. Das erhöht den Druck beim Umbau weiter: zeitlich und inhaltlich. Die Direktoren­verbände verweisen bereits leise mahnend auf die überstürzt­e Einführung des „Turbo-Abiturs“vor einem Jahrzehnt – als Beispiel dafür, wie man Unterstütz­ung verspielen kann.

„Sorgfalt vor Schnelligk­eit“ist eine weitere Vokabel aus dem Grundworts­chatz der G9-Debatte. Das Tempo hat Gebauer mit dem Umstiegsda­tum August 2019 nun festgelegt. Bis dahin sind es noch zwanzigein­halb Monate. Das klingt nach viel. Schulpolit­isch ist es kaum mehr als ein Wimpernsch­lag.

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