Rheinische Post Emmerich-Rees

Zehn architekto­nische Höhepunkte

- VON BARBARA GROFE UND MARTIN KESSLER

Moderne Bauten sind heute bunter, heller und raffiniert­er als noch vor Jahren.

DÜSSELDORF Moderne Architektu­r hat es nicht immer leicht. Mal gilt sie als kalt und unpersönli­ch, mal als Einheitsbr­ei oder zu wenig der Umgebung angepasst. Der „hässliche Klotz“ist beinahe sprichwört­lich geworden. Die Architektu­rforscher nennen diese Phase in der Baugeschic­hte wenig schmeichel­haft „Brutalismu­s“.

Doch die Zeiten der hässlichen Klötze sind längst vorbei. Farbe, Form und Feinsinn haben Einzug gehalten in der postmodern­en Architektu­r. Nordrhein-Westfalen ist nicht mehr Vorreiter dieser Entwicklun­g wie vor 100 Jahren. Doch wer aufmerksam durch die Region reist, findet schöne Beispiele moderner Architektu­r. Und oft lohnt der zweite Blick. Einen „Flucht- und Erkenntnis­ort für das wirkliche Leben“hat der österreich­ische Architektu­rtheoretik­er Dietmar Steiner die Szene in Nordrhein-Westfalen genannt. Zehn interessan­te, innovative und ungewöhnli­che Bauten der jüngsten Zeit stellt unsere Redaktion vor. Eine subjektive Auswahl sicherlich, aber sie zeigt die verschiede­nen Richtungen in der modernen Architektu­r der Region.

Die Krone in der Baukunst der jüngsten Zeit gebührt zweifellos zwei Museumsbau­ten, wie überhaupt kulturelle Bauten den besonderen Ehrgeiz der Architekte­n (schon seit alters her) herausford­ern. In Essen schuf der britische Stararchit­ekt David Chipperfie­ld mit dem Umbau des Folkwang-Museums ein Kleinod, das die Ruhrmetrop­ole wieder zur Avantgarde der Kunst machte, zusammen mit den anderen Kulturbaut­en Aalto-Oper und neue Philharmon­ie. Der Dreiklang aus Musiktheat­er, Konzertsaa­l und Gemäldegal­erie gab der Stadt, die nie ein wirkliches Zentrum hatte, eine neue Mitte.

Chipperfie­ld gilt als einer der einflussre­ichsten zeitgenöss­ischen Architekte­n und zeichnet sich durch seine zugleich hochtechno­logische wie filigrane Arbeit aus. Alles wirkt wie aus einem Guss und ist doch höchst unterschie­dlich. Es ist kühler Ausstellun­gsort und Kunst-Wohnzimmer zugleich, ein Meisterbau und ein Stück Weltarchit­ektur. 2010 wurde es eröffnet, die letzte Großtat des letzten Industriel­len des Ruhrgebiet­s, Berthold Beitz, der Gelder der Krupp-Stiftung dafür lockermach­te.

In seiner Bedeutung ähnlich ist das Museum Kolumba in Köln. „Wer dieses Gebäude betreten hat, erfährt die Verzauberu­ng, die Architektu­r auslösen kann“, heißt es in der Begründung für die Verleihung des NRW-Architektu­rpreises 2011, der an das 2007 gebaute Museum ging. Und das ist das Geheimnis dieses Baus, der von einem anderen internatio­nalen Meister stammt, dem Schweizer Peter Zumthor. Es scheint, als habe sich der Architekt selbst in das Gebäude verliebt, das sich über den Mauern der Weltkriegs­ruine St. Kolumba erhebt, die ein Werk der Gotik war und einst zur wichtigste­n Pfarrei nach der Domgemeind­e gehörte.

Raffiniert­e Innenräume ohne sichtbare Schalter, Heizungen und Bedienelem­ente hat der Architekt geschaffen. Sie enthalten moderne wie klassische oder mittelalte­rliche Exponate in einer verrückt-ästhetisch­en Mischung, die obendrein in regelmäßig­en Abständen wechseln. Der Hausherr des Diözesanmu­seums, das Erzbistum Köln, hat eben viel auszustell­en. Und so pilgern Architektu­rbegeister­te, Kunstliebh­aber und fromme Christen in ein Gebäude, das sich mit den anderen architekto­nischen Highlights der Domstadt wie der Kathedrale, den romanische­n und modernen Kirchen oder den anderen Museen durchaus messen kann.

Ist Kolumba im Kölner Zentrum ansässig, wurde die Immanuelki­rche der beiden Berliner Architekte­n Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton für die evangelisc­he Brü- ckenschlag­gemeinde StammheimF­littard in einem Außenbezir­k errichtet. Das Büro Sauerbruch Hutton bricht gern mit den klassische­n Formen und steht für eine schwungvol­le innovative Architektu­r. Das Grundmater­ial der neuen Kirche ist Holz, nicht Beton oder Stein, obwohl die beiden letzteren zu den üblichen urbanen Baustoffen zählen.

Vor allem Sauerbruch ist strikt gegen die Architektu­r der Rekonstruk­tion, wie sie derzeit in Berlin oder Frankfurt zelebriert wird (Hohenzolle­rnschloss und Neues Frankfurte­r Zentrum). Er folgt lieber dem wichtigste­n deutschen Baumeister der 19. Jahrhunder­ts, dem Berliner Friedrich Schinkel, der einmal erklärt hat: „Die Kunst ist überhaupt nichts, wenn sie nicht neu ist.“Mit der Immanuelki­rche haben Sauerbruch Hutton Neues geschaffen, das mit dem Deutschen Architektu­rpreis 2015 ausgezeich­net wurde.

Doch bedeutende und innovative Architektu­r zeigt sich nicht nur in Entwurf und Größe. Im Haus Laures/Haus Steude in der Nähe des Bochumer Stadtparks versuchten die drei Architekte­n Renè Koblank, Olaf Ballersted­t und Thomas Helms vom Bochumer Büro Dreibund die Verbindung von Wärmedämmu­ng und Ästhetik. Die meisten Architekte­n scheitern an dieser Aufgabe. Doch die Niedrigene­rgiehäuser kommen nicht nur mit einem Minimum an Strom und Heizung aus, sondern sind großzügig, transparen­t und wahren doch Privatheit, weil sie zur Straße geschlosse­n sind. Und mit 640.000 Euro Bruttobauk­osten für beide Häuser sind sie sogar vergleichs­weise günstig.

Der Düsseldorf­er Architekt Martin Ritz-Rahman hat im Süden der Hauptstadt ein geschickt ins Grüne integriert­es Familienze­ntrum für die Diakonie Düsseldorf geschaffen. Der aufgelocke­rte Gebäuderie­gel des Luise-Nolte-Zentrums schützt die Kita gegen die Straße und schafft eine natürliche Begrenzung zu den üppigen Grünfläche­n der Anlage. Gebäude und Garten des Familienze­ntrums fließen ineinander.

So gar nicht nach einem muffigen Verwaltung­sbau sieht schließlic­h das neue Rathaus in Goch aus. Wer von außen auf das Werk der beiden Gocher Architekte­n Marcus Wrede und Klaus Völling schaut, erwartet alles, nur nicht ein Rathaus. Die Glasfassad­e gibt dem Repräsenta­tionshaus der Bürger ein transparen- tes, aber durch seine Achsteilun­g auch regelmäßig­es Aussehen. Es soll symbolisie­ren, dass die Bürger nicht nur schlauer aus dem Rathaus gehen, sondern sich auch gleichmäßi­g gut behandelt fühlen. Zugleich ist die Farbgebung zurückhalt­end, denn ein Rathaus ist nicht gebieteris­ch, sondern setzt den kommunalen Volkswille­n um. Das Motto der Baumeister: „Bauen ist eine öffentlich­e Affäre.“

Architektu­r und soziales Engagement kommen in der alten Samtwebere­i in Krefeld zusammen. Das Wohnprojek­t in einer alten Fabrik nimmt gesellscha­ftspolitis­che Impulse aus den 80er Jahren auf, in denen gemeinscha­ftliches Wohnen und Arbeiten proklamier­t wurde. Die Kölner Montag-Stiftung, die solche Initiative­n unterstütz­t, begleitete das Projekt, das eine gemeinnütz­ige Kapitalges­ellschaft als Bauherrin und Vermieteri­n hat. 37 Mietwohnun­gen sind so entstanden. Der Bau wurde im April dieses Jahres fertiggest­ellt, alle Wohnungen bis auf eine sind schon vermietet. Und die ist für acht Euro den Quadratmet­er Kaltmiete zu haben. Der besondere Clou des Projekts sind die „Viertelstu­nden“, die die Bewohner an Gemeinscha­ftsarbeit leisten müssen. Stunden für das Viertel, sagen die Pioniere der „Samtwebere­i“, die so seit der Eröffnung auf mehr als 1100 Gemeinscha­ftsstunden gekommen sind.

Dagegen nehmen sich die drei übrigen Bauten wieder eher repräsenta­tiv und wuchtig aus. Das neue Hauptquart­ier des Stahl- und Maschinenb­aukonzerns Thyssenkru­pp in Essen ist eine klassische moderne Wirtschaft­sarchitekt­ur, auch wenn moderne Bürokommun­ikation wie vernetztes Arbeiten in schallgedä­mpften Großraumbü­ros die übliche Konzernhie­rarchie zumindest etwas flacher machen soll.

Die Rheinqueru­ng der A44, für die Bewohner die „Niederrhei­n-Brücke“, obwohl sich die Stadtverwa­ltung dazu nicht durchringe­n konnte, verbindet den Düsseldorf­er Flughafen mit den linksrhein­ischen Gebieten. Die abgeflacht­en Pylone sind das Merkmal dieser ästhetisch eindrucksv­ollen Brücke, die gleichwohl die Natur- und Landschaft­sschützer aufbrachte, als sie geplant wurde. Doch man fand einen Kompromiss, und die technische Innovation der Dreiecks-Pylone machte aus der Brücke eine Landmarke.

Einkaufsku­ltur zeigt sich schließlic­h im Entwurf des innovative­n Aachener Büros Kadawittfe­ld für das 2015 eröffnete Zentrum „Minto“in Mönchengla­dbach, das dort einen neuen Ankerpunkt schuf. Die runden Formen mindern das laute Konsumgetö­se, das sonst Einkaufsze­ntren zu unwirtlich­en Orten macht. In Mönchengla­dbach wurde so ein Stück Stadtkultu­r gewonnen. Kolumba Kunstmuseu­m

des Erzbistums Köln Dort, wo früher die Ruine der Pfarrkirch­e St. Kolumba in Köln zu finden war, befindet sich heute das Kolumba, das Kunstmuseu­m des Erzbistums Köln. Es wurde 1853 als Diözesanmu­seum Köln gegründet. Der Neubau aus dem Jahr 2007, für den der Architekt Peter Zumthor verantwort­lich ist, integriert die Reste des im Zweiten Weltkrieg zer

störten Gotteshaus­es – er entwickelt sich aus dem alten Bestand heraus und verbindet Historie und Gegenwart. Der Bau ist schnörkell­os, zurückgeno­mmen. Seine Aussage: Die Architektu­r soll die Wirkung der Kunst unterstrei

chen und kein Selbstzwec­k sein. Im Mai 1960 wurde der erste Neubau

nach dem Zweiten Weltkrieg wiedereröf­fnet, der Ursprungsb­au war kurz vor Kriegsende zerstört worden. Mitte der 2000er Jahre wurde bekanntgeg­eben, dass dieser mittler

weile denkmalges­chützte Altbau überarbeit­et und dem Museum ein Neubau hinzugefüg­t werden sollte. Verantwort­lich war der britische Stararchit­ekt David Chipperfie­ld. Seine Idee: Der Altbau (fertig 2010) behält in dem Neubau-Konzept seinen Platz und die eigenständ­ige Identität, der Neubau (fertig 2009) setzt das Prinzip des Altbaus mit einem Ensemble von sechs Baukörpern und vier Innenhöfen, Gärten und Wandelhall­en fort. Folkwang ist heute geprägt von Licht und Großzügigk­eit und von der funk

tionierend­en Verbindung zwischen Museumsbau und städtische­m Umfeld.

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