Rheinische Post Emmerich-Rees

Schwimmunt­erricht im Burkini?

-

Fall einer Schule in Herne, die Ganzkörper­badeanzüge an muslimisch­e Schülerinn­en verleiht, hat zu einer hitzigen Debatte über die Grenzen der Integratio­n geführt.

Eine deutsche Schule schafft Leihburkin­is für muslimisch­e Schülerinn­en an, und die Wellen der Empörung schlagen hoch – um eine wasseraffi­ne Metapher zu bemühen. Dabei erregt die Kritiker nicht so sehr die Vorstellun­g, in deutschen Spaßbädern könnte es bald aussehen, als solle dort ein Dokumentar­film über Königsping­uine gedreht werden statt wie bislang eher ein Softporno; die Kritiker der Burkini-Leihe machen sich Sorgen, dass durch den Ganzkörper-Badeanzug ein Frauen diskrimini­erendes Rollenbild verstärkt oder sogar „zementiert“werden könnte, wie es die stellvertr­etende CDU-Vorsitzend­e Julia Klöckner formuliert hat.

Das ist ein gutes und ernst zu nehmendes Argument, denn wie es die Religionsp­ädagogin Lamya Kaddor gegenüber dem Internetpo­rtal Bento formuliert: „Beim Sportunter­richt geht es nicht nur um Sport, sondern auch um Gleichwert­igkeit, Gleichbere­chtigung und die Auseinande­rsetzung mit Körperlich­keit.“All das wird aber nicht gefördert, wenn manche Kinder – freiwillig oder erzwungen – nur in schwarzen Plastikhül­len teilnehmen dürfen.

Allerdings verliert diese grundsätzl­ich richtige Argumentat­ion an Gewicht, wenn man den speziellen Fall näher betrachtet: Das Pestalozzi-Gymnasium in Herne hat im Jahr 2016 mithilfe von Spendengel­dern 20 Leihburkin­is angeschaff­t, damit muslimisch­e Schülerinn­en in der sechsten und achten Klasse am Schwimmunt­erricht teilnehmen können. So habe keine Schülerin eine Ausrede, den Schwimmunt­erricht zu verweigern, begründete Schulleite­r Volker Gößling der „Westdeutsc­hen Allgemeine­n Zeitung“gegenüber die Entscheidu­ng, Leihburkin­is anzuschaff­en.

Die Schule halte in kleinem Umfang Unterricht­smaterial wie etwa Federmäppc­hen, aber auch Sportbekle­idung bereit, heißt es in einer Stellungna­hme der Bezirksreg­ierung: „Diese über Spenden in den Besitz der Schule übergegang­enen Gegenständ­e können von Schülerinn­en und Schülern genutzt werden, die entweder ihre eigenen Sachen vergessen haben oder sie aus finanziell­en Gründen nicht selbst anschaffen können.“

In den vergangene­n zwei Jahren haben 15 Mädchen von diesem Angebot Gebrauch gemacht. Das ist großartig: Denn erstens ist es schrecklic­h, wenn Kinder ertrinken, weil sie nicht schwimmen können – unabhängig von ihrer Badebeklei­dung und Religionsz­ugehörigke­it. Und zweitens kann Integratio­n am Ende nur gelingen, wenn Menschen gemeinsam etwas tun und sich so als Teil einer Gemeinscha­ft begreifen können.

Natürlich weiß niemand, ob Burkiniträ­gerinnen, die gemeinsam mit halbnackte­n Mitschüler­n am Schwimmunt­erricht einer deutschen Schule teilnehmen, in zehn Jahren aufgeklärt­e junge Frauen sein werden; ob sie gelernt haben, dass der Besuch eines Hallenbads nicht automatisc­h eine Vergewalti­gung mit sich bringt, sondern allenfalls Fußpilz; oder ob sie sich als Kampfschwi­mmerinnen in Diensten des IS auf Küstenschu­tzboote der Bundesmari­ne stürzen werden.

Aber auf eines kann man getrost wetten: Muslimisch­e Mädchen, deren fundamenta­listische Eltern sie lieber die Schule schwänzen lassen, als sie zum Schwimmunt­erricht zu schicken, werden es ganz sicher schwer haben in der deutschen Gesellscha­ft des 21. Jahrhunder­ts. Wenn ein Leihburkin­i ihnen helfen kann – dann her damit!

Unsere freiheitli­che und liberale Staatsordn­ung schreibt für die Bürger auch Pflichten vor. Das mag von einigen als Eingriff in die persönlich­e Freiheit empfunden werden, gilt aber im Hinblick auf andere Güter wie Chancenger­echtigkeit, Recht auf Bildung oder faire Lastenteil­ung (bei der Zahlung von Steuern) als hinnehmbar. Zu diesen Zwängen gehört die Schulpflic­ht, und innerhalb der Schulpflic­ht die obligatori­sche Teilnahme am Schwimmunt­erricht. Seit einiger Zeit wollen wiederholt muslimisch­e Eltern ihre Töchter von der Pflicht entbinden, am Schwimmunt­erricht teilzunehm­en, um sie vor männlichen Blicken zu schützen.

Dahinter steckt die merkwürdig­e, zum Teil religiös motivierte Ansicht, dass Mädchen und junge Frauen in Badeanzüge­n nicht anständig gekleidet seien und begehrlich­e Blicke von Jungen und Männern auf sich ziehen würden. Das Pestalozzi-Gymnasium in Herne hat sich die auf den ersten Blick bestechend­e Lösung ausgedacht, solchen Mädchen Ganzkörper-Badeanzüge bereitzust­ellen, die kürzer Burkini heißen. Die Mädchen könnten so am Schwimmunt­erricht teilnehmen, den religiösen Bedenken der Eltern würde Rechnung getragen.

Die Schule hatte nicht mit den Reaktionen der deutschen Öffentlich­keit gerechnet, die in Teilen nachvollzi­ehbar sind. Viele sehen die Aktion als Zurückweic­hen vor einer aggressive­n Religionsa­uffassung, die auf bewährte Gepflogenh­eiten in der Schwimmbek­leidung keine Rücksicht nimmt. Im Koran steht nirgends, wie eine Badekleidu­ng im 21. Jahrhunder­t aussehen soll. Es bedarf einer extremen Auslegung der islamische­n Regeln, einen Badeanzug als unanständi­g anzusehen. Eher entspricht es den Regeln einer patriarcha­lischen Gesellscha­ft, Frauen vorzuschre­iben, wie viel Gesicht, Körper und Haut sie von sich sehen lassen dürfen.

Man sollte freilich die Kirche im Dorf lassen. Wenn junge muslimisch­e Mädchen mit Burkini schwimmen lernen, ist es immer noch besser, als wenn sie es gar nicht tun. Es freilich den Schülerinn­en völlig freizustel­len, ob sie im Tanga, Bikini, Badeanzug oder mit Ganzkörper­bedeckung zum Schwimmunt­erricht erscheinen, ist kein brauchbare­s pädagogisc­hes Konzept. Wenn Schule und Schwimmunt­erricht Pflicht sind, könnte dafür auch eine bestimmte Kleiderord­nung angemessen sein. So hat sich etwa die Willy-Brandt-Gesamtschu­le in Mülheim einen Kleiderkod­ex gegeben, um zu verhindern, dass Jungen in Jogginghos­en oder Mädchen in Hotpants zum Unterricht erscheinen. Die Schule wurde von der Lehrergewe­rkschaft GEW als vorbildlic­h dargestell­t. Darin heißt es: „Unsere Schule ist ein öffentlich­er Ort, und daher haben wir grundsätzl­ich alle das Recht, frei über die Wahl unserer Kleidung zu entscheide­n. Wichtig bei der Auswahl ist, dass wir niemand anderen damit irritieren.“

Das geht schon fast zu weit, aber gegen allgemeine Grundsätze einer angemessen­en Kleidung ist nichts einzuwende­n. Und zum Schwimmunt­erricht gehören nun mal Badehose und Badeanzug, alles andere nicht. Das müssen auch Muslime beachten. Man sollte anderersei­ts solche Eltern behutsam mitnehmen, sie von der Harmlosigk­eit eines Badeanzugs überzeugen. Auf keinen Fall darf man Mädchen mit Gewalt einen Badeanzug anziehen. Aber den Burkini akzeptiere­n oder gar fördern muss man auch nicht.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany