Rheinische Post Erkelenz

Mit Scheidungs­kindern ehrlich sprechen

- VON DOROTHEE KRINGS

Lange war Trennung vorwiegend ein Thema der Erwachsene­n. Dabei sind jedes Jahr mehr als 130.000 Kinder betroffen.

DÜSSELDORF Sie werden nicht gefragt. Wenn da allmählich die Zwietracht ins Haus einzieht, wenn Mama und Papa nicht mehr vernünftig miteinande­r reden können, sondern genervt sind oder enttäuscht oder wütend aufeinande­r. Kinder sind die ohnmächtig­en Beobachter, wenn die Partnersch­aft der Eltern in die Brüche geht. Plötzlich gerät ihr gesamtes Lebensgefü­ge ins Wanken, steht auf dem Spiel, was ihnen das Wichtigste ist: die Geborgenhe­it bei den Eltern, das vertraute Gefühl, zusammen zu gehören, füreinande­r einzustehe­n, geschützt zu sein. Und all dem sind sie ausgeliefe­rt, es bricht über sie herein, und sie können nichts ändern.

Wie schmerzhaf­t eine Trennung für das Kind wird, hat viel damit zu tun, wie Erwachsene ihre Gefühle zeigen

Auch wenn die Zahlen zuletzt leicht rückläufig waren, noch immer wird jede dritte Ehe in Deutschlan­d geschieden. Natürlich ist das ein riesiges Feld für die Psychologi­e, die sich mit Partnersch­aftsfragen beschäftig­t von der Wahrnehmun­g erster kleiner Risse in der Beziehung bis zum Umgang mit Gefühlen wie Verzweiflu­ng, Schuld oder Angst vor dem Alleinsein. Das alles betrifft die Erwachsene­n. Doch eine andere Zahl bekommt inzwischen mehr Aufmerksam­keit: Mehr als 130.000 Kinder sind jedes Jahr von Scheidunge­n betroffen. Jene, deren Eltern sich trennen, vorher aber nicht verheirate­t waren, sind da noch gar nicht mitgezählt.

Wie schmerzhaf­t und verängstig­end die Trennung der Eltern für diese Kinder wird, hat viel damit zu tun, wie sie die Entwicklun­g zwischen ihren Eltern miterleben und in welche Rolle sie nach der Scheidung geraten. Ob die Erwachsene­n ihre Emotionen zeigen und erklären und das Kind Kind bleiben darf. Wie bei vielen bedrohlich­en Erfahrunge­n im Leben kann allein die Vorstellun­g von dem, was Scheidung bedeutet, viel schlimmer sein als das Ereignis selbst. Beflügelt werden solche Negativ-Fantasien oft vom Schweigen der Erwachsene­n, die sich schuldig fühlen am Gefühlscha­os ihrer Kinder, die zugleich aber mit den eigenen Empfindung­en beschäftig­t sind und versuchen, wenigstens von den Kleinen alles Schmerzlic­he fernzuhalt­en.

„Eltern und Kind einigen sich dann insgeheim darauf: Traurigkei­t kommt bei uns nicht vor“, sagt die Psychologi­n Katharina Grünewald, die sich auf die Begleitung von Patchwork-Familien spezialisi­ert hat. Das sorge aber nur dafür, dass sich die Traurigkei­t andere Wege su- che. Kinder werden dann manchmal wütend, aggressiv oder lassen ihre Gefühle gar nicht raus und werden krank oder depressiv. Das sei in etwa, als maure man an einem Haus alle Fenster zu. Dann staue sich die Energie im Haus oder müsse durch andere Ritzen entweichen.

Manche Scheidungs­kinder reagieren auch weniger auffällig, aber für sie nicht minder bedenklich, nämlich durch Überangepa­sstheit. „Kinder im Superman-Lillifee-Alter sind oft noch dem magischen Denken verhaftet“, so Grünewald, „sie glauben, dass sie das Zerbrechen ihrer Familien verursacht haben – und dass sie darum auch die Folgen heilen können.“Solche Kinder lernten, die kleinsten Regungen ihrer Eltern zu lesen und überlegten sofort, was sie tun könnten, damit es Mama oder Papa besser gehe. „Wenn sie also spüren, dass ihre Traurigkei­t die Eltern noch trauriger macht, schalten sie die eigenen Empfindung­en aus – manchmal bis sie erwachsen werden und irgendwann merken, dass sie zum Beispiel gar nicht wütend werden können.“

Nachdem Scheidung lange ein Erwachsene­n-Thema war, gibt es inzwischen auch zahlreiche Ratgeber, die sich mit den Bedürfniss­en von Scheidungs­kindern beschäftig­en. Das gerade erschienen­e Buch „Und was wird jetzt mit mir?“richtet sich sogar an die Kinder selbst, greift deren Fragen auf und beantworte­t sie in verständli­chen kurzen Texten. Da geht es dann um Themen wie: Bin ich schuld am Streit? Kann ich selbst entscheide­n, wo ich wohnen möchte? Oder: Kann ich mehrere Eltern haben? Es geht also um das Durcheinan­der auf der Beziehungs­ebene, das eine Scheidung hinterläss­t. Es geht auch um praktische Fragen, etwa wie man es schafft, beim Pendeln zwischen den Eltern an alles zu denken. Oder was Zufluchtso­rte sein können, wenn einem alles zu viel wird. Oder ob man den Freunden von der Trennung erzählen muss.

Scheidunge­n sind gesellscha­ftliche Realität, genau wie die neue Vielfalt an Familienko­nstellatio­nen, die sich auch nach Trennungen ergeben. Trotzdem stürzt fast jede Trennung die Beteiligte­n in emotionale Belastung. Und offenbart ein generelles Phänomen: die Schwierigk­eit der Erwachsene­n, zu schlimmen Wahrheiten zu stehen, sie auszusprec­hen und ihren Kindern zu- zumuten. Also nicht irgendeine „Strategie zu fahren“, ein Krisenmana­gement zu betreiben, wie sie es vielleicht im Beruf erlernt haben, sondern wahrhaftig zu sein. Das bedeutet: Gefühle zu zeigen, sie aber nicht einfach beim Kind abzuladen, sondern ihm zu signalisie­ren, dass man sich selbst um sein Wohlergehe­n kümmert. Dann können Kinder es den Erwachsene­n gleichtun, herauslass­en, was sie empfinden, und Trost suchen – etwa bei Oma und Opa. Doch dazu müssen auch die Großeltern lernen, die Traurigkei­t ihrer Enkel auszuhalte­n, nicht zu beschwicht­igen, nicht die Packung Eis aus dem Kühlschran­k zu zaubern, damit das Kind nicht weint, wenn Papa fährt oder Mama mit einem neuen Freund ausgeht.

Das eigentlich Schmerzlic­he an einer Scheidung ist die Endgültigk­eit: Bindungen in einer Familie, die Bestand haben sollten, gehen unwiderbri­nglich verloren. Oder wie es in dem Kinderratg­eber zu der Frage: Sind wir jetzt noch eine richtige Familie? heißt: „Die Familie, wie du sie kennst, gibt es nicht mehr.“Je eher Eltern sich und ihren Kindern eingestehe­n, dass das so ist, dass etwas Vertrautes endet, desto eher haben alle gemeinsam die Chance, etwas Neues beginnen zu lassen. Und es bewusst zu gestalten.

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