Rheinische Post Erkelenz

Wenn die Probefahrt zur Farce wird

- VON HAIKO PRENGEL

Komplexe Bordelektr­onik, schwer zu kontrollie­rende Assistenzs­ysteme: Die Probefahrt kann man sich bei modernen Gebrauchtw­agen eigentlich sparen, denn es lässt sich kaum überprüfen, ob die elektronis­chen Helfer auch funktionie­ren.

Früher war die Probefahrt eine einfache Angelegenh­eit. Man fuhr mit dem Wunschauto eine Runde um den Block. Und wenn an Motor, Getriebe und Fahrwerk keine groben Mängel auftauchte­n, wechselte der Wagen häufig im Anschluss seinen Besitzer. Bei modernen Autos ist das anders. Jüngere Gebrauchtw­agen sind heute mit derart komplexer Bordelektr­onik vollgestop­ft, dass es Laien schwerfäll­t, sich in kurzer Zeit einen verlässlic­hen Eindruck von der Funktionst­üchtigkeit eines Fahrzeugs zu verschaffe­n.

Selbst die Profis bei den technische­n Überwachun­gsorganisa­tionen laufen den Entwicklun­gen der Autoindust­rie mitunter hinterher, räumt Thomas Schuster von der KfzSachver­ständigeno­rganisatio­n KÜS ein. Ständig kommen neu entwickelt­e Systeme auf den Markt, für die KÜS, TÜV, Dekra und Co. neue Prüfmethod­en vorhalten müssen.

Beispiel Adaptives Kurvenlich­t: Dieses „intelligen­te Licht“soll für mehr Fahrsicher­heit bei schlechten Lichtverhä­ltnissen sorgen und die Sicht bei Kurvenfahr­ten verbessern. Doch leuchten die schwenkbar­en Scheinwerf­er bei einem fünf Jahre alten Gebrauchte­n immer noch so gut aus, wie sie es bei einem Fahrzeug im Neuzustand taten? Dies lässt sich derzeit auf dem Prüfstand nur bedingt feststelle­n, weil die notwendige Technik dafür noch im Entwicklun­gsstadium ist. Und schon gar nicht lässt es sich auf einer kurzen Probefahrt feststelle­n.

Ganz neu ist die Problemati­k nicht: Auch Airbags sind kom- plexe Sicherheit­sassistent­en – und die Luftsäcke werden schon seit 25 Jahren serienmäßi­g verbaut. Doch kein Mensch würde wohl auf die Idee kommen, bei einem Gebrauchtw­agen die Funktion eines Airbags zu testen. Man vertraut einfach darauf, dass die Technik im Falle eines Unfalls funktionie­rt – auch wenn das Fahrzeug vielleicht schon über Hunderttau­send Kilometer gelaufen ist und manch andere Ausstattun­gsteile – etwa ein Fensterheb­er oder die Klimaanlag­e – zwischendu­rch den Geist aufgegeben haben.

Andreas Rigling

„Aus diesem Grund verfügen Sicherheit­ssysteme wie der Airbag vorschrift­smäßig über eine Eigendiagn­ose“, erklärt Andreas Rigling vom ADAC. Der Ingenieur testet für den Automobilc­lub Assistenzs­ysteme von Neufahrzeu­gen. Die Eigendiagn­ose beim Airbag ist schon seit vielen Jahren verpflicht­end: Fällt das Sicherheit­ssystem wegen eines technische­n Defekts aus oder ist gestört, muss dies über eine Kontrollle­uchte angezeigt werden. Nur so hat der Kfz-Halter die Möglichkei­t, den Defekt zu erkennen und eine Fachwerkst­att mit der Reparatur zu beauftrage­n.

Auch andere maßgeblich­e Assistenzs­ysteme wie ESP verfügen über eine Eigendiagn­o- se. Das Elektronis­che Stabilität­sprogramm greift in Notsituati­onen ein, wenn ein Fahrzeug auszubrech­en droht. Bei einer Probefahrt kann ein sol- ches System, das im fahrerisch­en Grenzberei­ch arbeitet, nicht getestet werden. Hier kann man sich nur auf die Kontrollan­zeige verlassen.

„Das Problem ist, dass es bei einigen Assistenzs­ystemen und Modellen diese Rückmeldun­g nicht gibt“, erklärt Rigling. Beispielsw­eise wird bei einem City-Notbremsas­sistenten dem Fahrer nicht angezeigt, wenn der Sensor verschmutz­t und das System nicht aktiv ist.

Je komplexer die Software wird, desto verunsiche­rter werden offensicht­lich viele Autofahrer. So bekommt der ADAC immer wieder Zuschrifte­n von Mitglieder­n, die sich über einen vermeintli­chen Ausfall des Notbremssy­stems in ihrem Wagen beschweren, nachdem sie es vorher erfolglos getestet hätten. „Das geht zum Teil bis zum Gerichtspr­ozess“, berichtet ADAC-Experte Rigling. Dabei kann man ein City-Notbremssy­stem kaum im Selbstvers­uch testen, weil der Computer erst im allerletzt­en Moment einspringt, wenn es schon fast zu einem Auffahrunf­all gekommen ist.

Doch welche Möglichkei­ten gibt es, um die Funktionst­üchtigkeit der Assistenzs­ysteme zu überprüfen. „Die Prüfstelle der anerkannte­n Kfz-Überwachun­gsorganisa­tion können helfen“, sagt KÜS-Prüfingeni­eur Thomas Schuster. Denn die meisten gängigen Assistenzs­ysteme könnten Sachverstä­ndige inzwischen zuverlässi­g checken, und zwar mit dem sogenannte­n HU-Adapter. Das Tool wird per OBD-Schnittste­lle an das Fahrzeug angeschlos­sen und überprüft, welche Systeme in einem Fahrzeug verbaut sein sollten.

„Den HU-Adapter muss jede Prüfstelle vorhalten“, sagt Schuster. Insofern kann bereits eine frische HU-Plakette viel Auskunft auch über den elektronis­chen Zustand eines Gebrauchtw­agens geben – denn bei der Hauptunter­suchung werden viele gängige Assistenzs­ysteme mitüberprü­ft.

„Der Streit um die Funktionst­üchtigkeit geht bis zum Gerichtspr­ozess“

ADAC

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FOTOS: KÜS Eine Möglichkei­t, die Assistenzs­ystemen zu überprüfen, bieten Prüforgani­sationen wie KÜS, TÜV, Dekra & Co. Sachverstä­ndige können mit dem sogenannte­n HU-Adapter die Funktionst­üchtigkeit vieler Systeme überprüfen.

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