Rheinische Post Erkelenz

Mossad in der Mietwohnun­g

Der Politthril­ler „Aus nächster Nähe“bringt den Nahost-Konflikt in eine Hamburger Wohngegend.

- VON JULIA TEICHMANN

(kna) Mona und Naomi kennen sich nicht, sie wissen nicht einmal den richtigen Namen der jeweils anderen. Zu ihrem eigenen Schutz. Zwei Wochen lang leben die Informanti­n und die Agentin des israelisch­en Geheimdien­sts Mossad gemeinsam in einer Hamburger Wohnung. Aufgabe der Agentin Naomi ist es, auf die Informanti­n Mona aufzupasse­n, bis diese sich von einer Gesichtsop­eration erholt hat und mit neuer Identität ein neues Leben beginnen kann.

Der israelisch­e Regisseur Eran Riklis ist gewisserma­ßen spezialisi­ert darauf, den Nahost-Konflikt zu personalis­ieren, komplexe politische Zusammenhä­nge in filmischen Parabeln menschlich herunterzu­brechen – wie in „Die syrische Braut“(2004), in „Lemon Tree“(2007), in „Mein Herz tanzt“(2014). In ersterem löst die Hochzeit einer drusischen Israelin mit einem Syrer auf den Golanhöhen tragikomis­che, private wie politische Verwicklun­gen aus, in „Lemon Tree“eskaliert der Streit des israelisch­en Verteidigu­ngsministe­rs mit einer Palästinen­serin, deren Zitronenha­in an sein neues Grundstück grenzt. „Mein Herz tanzt“schließlic­h erzählt von „Romeo und Julia“in Jerusalem: Ein junger Palästinen­ser und eine Israelin verlieben sich.

Auch in „Aus nächster Distanz“verhandelt Riklis wieder den Nahost-Konflikt, hier nun im Gewand eines Thrillers, dessen Kern sich als Kammerspie­l, als Drama entfaltet. Die beiden Frauen kommen sich in ihrer Zwangsgeme­inschaft näher, lernen die geheimen Wünsche, Verletzung­en und Traumata des so unterschie­dlichen Gegenübers kennen. Die konträren Persönlich­keiten manifestie­ren sich auch im Kostüm: Während die streng der Realität verhaftete Naomi, natürlich auch ihrem Undercover-Auftrag entspreche­nd, nüchtern und unauffälli­g gekleidet ist, trägt die ätherisch leidende Mona, an die Wohnung gefesselt, meist einen roten, wallenden Seidenkimo­no. Doch zementiert diese Aufteilung auch Klischees: Hier der gefühlskal­te, vernunftge­leitete Westen, dort der blumige, impulsive Osten.

Klischees können ein Stilmittel sein, doch hier macht die Oberflächl­ichkeit das Drama im Kern unglaubwür­dig, die Figuren und ihr Handeln sind gelegentli­ch kaum mehr ernst zu nehmen, was zu unfreiwill­ig komischen Momenten führt. Zudem ist die Rahmenhand­lung dieses Politthril­lers sehr grob gesteckt. Einzelne Handlungss­tränge sind arg simplifizi­ert und vorhersehb­ar.

Etwa wenn es um den Vater von Monas Kind geht, das sie nach ihrer Enttarnung als Informanti­n des Mossad im Libanon zurücklass­en musste. Auch der Wechsel zwischen in Israel und dem Verhältnis des Landes zu seinen Nachbarn. Mit „In der Schusslini­e“, seinem zweiten Spielfilm überhaupt, gelang Riklis 1991 der internatio­nale Durchbruch. Der Film erzählt von der Gefangenna­hme eines israelisch­en Soldaten während des Libanonkri­eges 1982 durch palästinen­sische Terroriste­n. Für seinen Film „Lemon Tree“, der im Westjordan­land spielt und von einem Nachbarsch­aftsstreit zwischen einem Israeli und einer Palästinen­serin erzählt, wurde er bei der Berlinale 2008 mit einem Publikumsp­reis ausgezeich­net. Drama und Thriller ist unausgegor­en: Wer klingelt an der Tür? Wer ist der mysteriöse Anrufer? Werden sie vom Balkon gegenüber beobachtet? – will gerade die Paranoia in der Wohnung kulminiere­n, wird der Handlungso­rt auch schon wieder verlassen. Schnitt, Sprung nach draußen, nun werden die Geheimdien­stverstric­kungen verhandelt. Und umgekehrt. Auf diese Weise zieht sich „Aus nächster Distanz“in die Länge.

So grundsätzl­ich spannend es ist, dass hier zwei Frauen als Hauptfigur­en agieren, so sehr bleiben die beiden guten und sich im Rahmen des Möglichen engagieren­den Schauspiel­erinnen in den Absehbarke­iten stecken, die das Drehbuch von Eran Riklis nach der Erzählung „The Link“von Shulamith Hareven vorgibt. Vielleicht fehlt außerdem etwas, was Riklis‘ vorangegan­gene Filme in der Regel mitbrachte­n: Humor.

Aus nächster Distanz,

Bewertung:

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FOTO: DPA In dieser Wohnung liegen die Nerven blank. Neta Riskin spielt in „Aus nächster Distanz“die Mossad-Agentin Naomi, die in Hamburg ausharren muss.

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