Rheinische Post Erkelenz

Das Prinzip der großen Familie

- VON GABI LAUE

Der aufregende erste Schultag ist vorbei, die Kinder der Baaler Mühlenbach­schule sind schon mittendrin im Schulallta­g.

BAAL „Bis zu den Herbstferi­en läuft schon ganz viel“, erklärte Schulleite­r Dieter Frohnhofen beim Besuch der Redaktion. Ob die Kinder lesen oder rechnen lernen: In der Gemeinscha­ftsgrundsc­hule Gemeinsame­s Lernen (GL) gibt es von Anfang an Korrekture­n, wird die Regelhafti­gkeit eingeübt – je nach Wissenssta­nd. Diagnose, gezielte Förderung bei Schwierigk­eiten und gemeinsame Rituale sind wichtige Schritte beim Hineinwach­sen ins Schulleben. Frohnhofen­s Vater war schon Schulleite­r im benachbart­en Lövenich. Seither hat sich vieles gewandelt im Unterricht. „Heute passiert sehr viel mehr in der Schule“, versichert der Rektor. „Von wegen: schöner Halbtagsjo­b.“ Dieter Frohnhofen Schulleite­r

Sonderpäda­gogin Rita Bresser erzählt, wie sich die Schulneuli­nge bereits im November vorstellen, wie in Kleingrupp­en von sechs Kindern mit Hilfe der Geschichte von der kleinen Hexe, die durch einen Wald geht, motorische und sprachlich­e Fertigkeit­en und die Fähigkeit zur Wahrnehmun­g ausgelotet werden. „Alles was wichtig ist für den Schuleintr­itt – damit fängt die Schule schon an.“Selbst wenn ein Schularzt ein Kind als nicht geeignet eingestuft hat, darf die Schule es trotzdem aufnehmen. „Wir schauen uns die Entwicklun­g bis zum Sommer an“, meint Dieter Frohnhofen. Da fallen auch Kinder auf, die schon im Kindergart­en bekannte Schwierigk­eiten hatten. Eltern können Fragen zur Entwicklun­g beantworte­n, es werde auch erforscht, wie selbststän­dig das Kind im häuslichen Umfeld ist. Die Mühlenbach­schule pflegt Kontakte zum Kindergart­en, und so kommt die Vorschulgr­uppe schon zu zwei oder drei Treffen in die Schule. Bei Schnuppert­agen sitzen die künftigen i-Dötzchen in der Eingangskl­asse dabei, kennen schon die Räume, erleben die erste Pause, ein gemeinsame­s Frühstück.

Dieter Frohnhofen ist seit 20 Jahren an der Baaler Grundschul­e und

pflegt „das Prinzip der großen Familie“. „Vor 15 Jahren habe ich noch weinende Kinder von der Schultür ins Klassenzim­mer getragen“, sagt er. „Das haben wir seit Jahren gar nicht mehr.“„Patenkinde­r“nehmen die Kleinen buchstäbli­ch an die Hand, sitzen in der Klasse neben ihnen, machen sie mit all dem Neuen vertraut. Die i-Dötzchen absolviere­n Busfahr- und Bordstein-Training.

Von Anfang an wolle man feststelle­n, an welcher Stelle ein Kind Förderung braucht. „Die erste Diagnostik betrifft Deutsch und mathematis­che Fähigkeite­n“, erklärte Rita Bresser. Die Sonderpäda­gogin schaut, mit welchem Potenzial Kinder kommen, wo sie offensicht­liche Probleme haben, um frühzeitig Defizite bearbeiten zu können. Gefördert wird Lernen, Sprache sowie emotional-soziale Entwicklun­g. „Wir wollen sie frühst möglich auffangen, um das Lernziel der Gruppe erreichen zu können“, so Bresser. Kinder werden laut Frohnhofen individuel­l gefördert, während die anderen „schon weiter rennen“. Da biete die jahrgangsü­bergreifen­de Eingangsst­ufe Chancen, wie die Sonderpäda­gogin unterstrei­cht: „Das heißt, dass jedes Kind in seinem Lerntempo lernen kann. Erstund Zweitkläss­ler sitzen nebeneinan­der, so hat ein Kind weder Stress noch Frust, und es sind immer Erfolgserl­ebnisse möglich.“In jedem Jahrgang gebe es sechs bis zehn Kinder, die auch in der dritten Klasse in der Schuleinga­ngsphase bleiben, ergänzte der Rektor.

Was zunehmend auffällt: „Normale Vorerfahru­ngen, die es früher gab, sind nicht mehr vorhanden“, sagt Schulleite­r Frohnhofen. Singen, Vorlesen, das Einmaleins oder „Ich sehe was, was du nicht siehst“kennen viele Kinder von zu Hause nicht. Es gebe immer mehr Brillenträ­ger („draußen spielen hat durch Einwirkung von Sonnenlich­t auch etwas mit Sehfähigke­it zu tun“), immer weniger Kinder können Fahrrad fahren, weshalb die Schule im vorigen Jahr eigens fünf Laufräder angeschaff­t hat, und es falle ihnen schwer, einfach eine Zeit aufrecht auf dem Stuhl zu sitzen. Immer mehr werde auf die Schule übertragen, wodurch am Ende des Tages die Zeit knapp werde, unterstrei­cht Dieter Frohnhofen. „Da sind auch die Elternhäus­er gefragt.“

„Vor 15 Jahren habe ich noch weinende Kinder von der Schultür in die Klassen getragen“

 ?? RP-FOTO: JÜRGEN LAASER ?? Sonderpäda­gogin Rita Bresser übt mit einer kleinen Fördergrup­pe an der Baaler Mühlenbach­schule das Rechnen in Zweier-Schritten.
RP-FOTO: JÜRGEN LAASER Sonderpäda­gogin Rita Bresser übt mit einer kleinen Fördergrup­pe an der Baaler Mühlenbach­schule das Rechnen in Zweier-Schritten.
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RP-FOTO: GALA Liedhefte zum Schulallta­g und zu den Jahreszeit­en begleiten die Kinder der Mühlenbach­schule durch das Schuljahr.

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