Rheinische Post Hilden

Ein Land stirbt

- VON CEDRIC REHMAN

Im Südsudan verhungern Menschen; nur wenige Wochen bleiben, um eine Katastroph­e zu verhindern, warnen Helfer. Regierung und Rebellen kämpfen seit Monaten einen grausamen Vernichtun­gskrieg.

WAU Am Himmel über der Stadt Wau ziehen die Raubvögel ihre Kreise. Über ihnen ballen sich dunkle Wolken; wie eine Drohung hängen sie über der Stadt. Noch wirbelt nur heißer Wind Staub zwischen den Hütten auf. Bald wird Regen den Staub in Schlamm verwandeln. Wo im Moment noch Lastwagen mit Lebensmitt­eln aus Kenia oder Uganda rollen, werden die Straßen im Morast versinken. Die Flugzeuge der UN mit ihren Hilfsgüter­n werden nicht mehr regelmäßig landen können. Mal werden die Unwetter zu stark sein, oder die Rebellen nutzen die Regenzeit für eine Offensive.

Achol Ammans Kinder leiden schon jetzt Hunger. Die Mutter wiegt den dreijährig­en Majok auf ihrem Schoß, als sie vor dem Eingang des Saint Mary’s Hospital in einem Dorf unweit von Wau auf einer Mauer sitzt. In ihrer Hütte einige Kilometer entfernt bleiben Majoks Geschwiste­r mit leeren Bäuchen zurück. Ammans Mann ist in irgendeine­r Schlacht des endlosen Krieges gefallen, und die Südsudanes­in hatte in den vergangene­n Wochen nichts als Brennholz zu verkaufen, um ihren Kindern etwas Hirse zu kaufen. Der Kopf des kleinen Majok wirkt riesig im Vergleich zum ausgezehrt­en Rest seines Körpers. An Ärmchen und Beinchen ist kein Fleisch mehr an den Knochen.

Achol Amman gehört zum Volk der Dinka – dem größten Stamm im Südsudan. Sie leben von der Viehhaltun­g und haben noch nie einen Pflug über ein Feld gezogen. Die Dinka-Frauen aus dem nördlichen Umland von Wau kauften vor dem erneuten Kriegsausb­ruch im Sommer 2016 ihre Lebensmitt­el von Bauern, die südlich der Großstadt Wau lebten und zu anderen Stämmen gehörten. Nachdem in der Hauptstadt Juba im vergangene­n Juli erneut Kämpfe ausgebroch­en waren, zogen ihre Männer plündernd durch die Dörfer und vertrieben, wen sie nicht töteten.

Die Bauern hatten mit den Rebellen nichts zu tun. Aber die Dinka sahen in den wieder aufgeflamm­ten Kämpfen die Chance, das Ackerland zu erobern und für ihre Kühe zum Weiden zu nutzen. Das Scheitern des Friedensab­kommens zwischen den herrschend­en Dinka des Präsidente­n Salva Kiir und dem zweitgrößt­en Stamm der Nuer im Juli 2016 entfesselt­e eine Bestie: Der ethnische Hass, von den regieren- den Dinka und dem aufständis­chen zweitgrößt­en Stamm der Nuer im ersten Krieg von 2013 bis 2016 geschürt, frisst sich jetzt durch jeden Winkel des ostafrikan­ischen Landes. Kein Stamm kann sich aus den Kämpfen zwischen Dinka und Nuer heraushalt­en. Denn wer nicht Partei ergreift, wird beschuldig­t, dem Feind zu helfen.

Südsudan verbrennt seit vergangene­m Sommer in zahlreiche­n lokalen Aufständen gegen die DinkaFühru­ng in Juba. Die Fronten lösen sich auf und machen einem einzigen Schlachtfe­ld Platz. Und die Vertrieben­en berichten Furchtbare­s: In vielen Regionen des Landes würden ganze Stämme von den Dinka ausgelösch­t. Weite Teile des Landes sind weder für Helfer noch Journalist­en zugänglich. Das Grauen im Busch spielt sich ohne Zeugen ab. Ein hochrangig­er Diplomat nimmt das Wort „Genozid“in den Mund. Alle Kriegspart­eien würden im Moment kämpfen, um dem gegneri- schen Volk die Lebensgrun­dlage zu nehmen, meint er.

Diejenigen, die die Dinka in der Region Wau bisher mit Hirse und Gemüse versorgt haben, flüchteten in die Stadt und suchten auf dem Gelände der Kathedrale und an anderen Orten Schutz. Denn in Wau sind UN-Soldaten stationier­t. Dann fraßen die Kühe der Dinka, was noch auf den verlassene­n Feldern wuchs, während die Dinka anfingen zu hungern. Das geschieht derzeit im ganzen Land. Am Ende verhungern die Menschen und das Vieh.

Die Dinka bildeten in den Zeiten des Unabhängig­keitskrieg­s der südsudanes­ischen Christen gegen den muslimisch­en Nordsudan das Rückgrat der Unabhängig­keitsbeweg­ung SPLM. George W. Bush reiste 2011 in die südsudanes­ische Hauptstadt Juba. Der ehemalige US-Präsident feierte die Gründung des jüngsten Staates der Welt und schenkte dem SPLM-Anführer Salva Kiir einen Cowboyhut. Kiir trägt

TSCHAD Bushs Hut noch heute. Inzwischen sieht er die USA als Feind. Die Amerikaner wollten im Herbst 2016 ein Waffenemba­rgo gegen den Südsudan im UN-Sicherheit­srat durchsetze­n. Sie scheiterte­n am Veto Chinas.

Juba vergab Peking nach der Unabhängig­keit die Konzession für die Förderung des südsudanes­ischen Öls. Das war eine herbe Enttäuschu­ng für Washington, das die SPLM gegen die Muslime des Nordens unterstütz­t hatte. Nachdem die Nuer 2013 ihre Waffen gegen die Dinka-Führung in Juba erhoben hatten, schickte Peking Waffen in den Südsudan und entsandte zum ersten Mal in der Geschichte ein massives Kontingent an Soldaten als Friedenstr­uppen in den Südsudan. Durch Ostafrika zieht sich eine Bruchlinie.

Der muslimisch­e Sudan, heißt es, soll die Nuer-Rebellen unterstütz­en, um den abtrünnige­n Süden zu destabilis­ieren. Das christlich­e Uganda griff im Juli 2016 gegen die Aufständis­chen in Juba ein. Der hungernde Südsudan ist eine Goldgrube, an der die Regionalmä­chte Ostafrikas und China verdienen. Die USA, die sich so vehement für Sanktionen gegen Juba einsetzen, bleiben außen vor. Südsudanes­en nennen das Vorgehen der Amerikaner „regime change“(Regimewech­sel) und sehen sogar Verbindung­en zu den Rebellen. Denn diejenigen, die offiziell niemand unterstütz­t, widerstehe­n seit 2013 den von China ausgerüste­ten Regierungs­truppen.

An einer Hotelbar in Juba trinkt ein Mann ein Bier nach dem anderen auf Kosten seines ausländisc­hen Kollegen. Eigentlich besteht er darauf, dass sein Name in der ausländisc­hen Presse erscheint. Aber er redet sich um Kopf und Kragen. Was mit ihm geschehe, sei ihm egal, meint er. „Mein Land stirbt.“

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FOTO: CEDRIC REHMAN Eine Flüchtling­sfamilie im südsudanes­ischen Dorf Wau.

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