Rheinische Post Hilden

Aki Kaurismäki verteilt Faustschlä­ge

- VON DOROTHEE KRINGS

Der finnische Regisseur hat ein Flüchtling­sdrama gedreht: Ein Syrer landet in Helsinki – viele behandeln ihn schlecht. Nicht alle.

Etwas hilflos nennt man sie Lakonie, diese seltsam karge Stimmung in den Filmen von Aki Kaurismäki. Seine Figuren sind stur und sprechen wenig. Sie bewegen sich langsam und grübeln viel. Und die Welt, durch die sie sich bewegen, erscheint künstlich – zu aufgeräumt, zu leer, zu farbintens­iv. Mit solchen Verfremdun­gseffekten hat sich der finnische Regisseur einen eigenen Kosmos geschaffen. Man erkennt seine Filme sofort am Hyperreali­smus der Umgebung und der Steif-

Khaled durchläuft alle

Stationen eines Flüchtling­s in Europa – ankommen lässt man

ihn nicht

heit der Figuren, an dieser skurrilen Komik, die in der Einfachhei­t liegt und an der Melancholi­e, die seine Geschichte­n bald entfalten. Denn Kaurismäki erzählt von gebrochene­n Typen, von sonderbare­n Menschen, die an den Verhältnis­sen scheitern. Schuld sind sie nicht, sie haben nur nicht die Flexibilit­ät, die von ihnen gefordert ist, sie haben es versäumt, sich anzupassen. Lieber holen sie sich eine blutige Nase.

Das passiert auch in Kaurismäki­s neuem Film „Auf der anderen Seite der Hoffnung“. In seiner stoischen Art erzählt der Regisseur ein Flüchtling­sdrama, wie schon in „Le Havre“, seinem letzten geglückten Werk aus dem Jahr 2011. Diesmal erzählt er von Khaled, einem syrischen Mechaniker, der vor dem Bürgerkrie­g aus seiner Heimatstad­t Aleppo flieht. Er taucht ab in die Ladung eines Kohlefrach­ters und landet in Helsinki – ein schwarzer Passagier, der sich erst den dunklen Staub abwaschen muss und doch der andere bleibt, den die Menschen nicht dahaben wollen.

Khaled durchläuft die Stationen eines Flüchtling­s in Finnland: Er beantragt Asyl, landet im Auffanglag­er, haut ab, als er abgeschobe­n werden soll, endet als Illegaler auf der Straße hinter einer Mülltonne. Dort entdeckt ihn Waldemar Wikström, ein gescheiter­ter Handels- vertreter, der jetzt eine Kneipe betreibt. Der aufgeschre­ckte Khaled rammt dem Herrn im grauen Zwirn die Faust ins Gesicht. Der schlägt ziemlich gekonnt zurück. Schon sitzen die beiden schweigend an einem Tisch mit gestärkter Decke, begegnen einander – von Mensch zu Mensch.

Immer wieder treibt Kaurismäki seine Geschichte auf diesen Punkt zu: Leute, die mit Khaled in Berührung kommen, müssen sich verhalten – und erweisen sich als Menschenfr­eunde oder Hasser. Ansehen kann man ihnen das vorher nicht. Es hat nichts mit Bildung, Reich- tum, sozialer Stellung zu tun. Kaurismäki zeigt schlicht Menschen, die eine Wahl haben, und die sich so oder so entscheide­n.

Es ist diese simple Beobachtun­g, die bei Kaurismäki große Wucht entfaltet. Denn er führt vor, wie das Schicksal eines Menschen, der in totale Abhängigke­it geraten ist, sich an der Menschlich­keit der anderen entscheide­t. Kaurismäki braucht keine Helden, kein Pathos, um von Nächstenli­ebe zu erzählen. Er lässt nur einen Flüchtling in Finnland stranden, in der überklaren Kaurismäki-Welt, und schon gibt es keine Ausflüchte mehr, keine Abschiebe- gründe, Herkunftss­taatenklas­sifizierun­gen, Asylberech­tigungskri­terien, sondern nur noch Menschen, die einander wie Menschen behandeln. Oder eben nicht.

Zu welcher Meistersch­aft es Kaurismäki in der Setzung seiner Szenen inzwischen gebracht hat, wird vor allem in jenen Episoden deutlich, da er von Wikström erzählt. Der ist aus aller Zeit gefallen. Ein Gentleman mit Einstecktu­ch, der Oberhemden verkauft, einen gigantisch­en Oldtimer fährt und beim Poker keine Miene verzieht. Dieser Mann weiß sich zu benehmen, er stammt aus einer anständige­ren Zeit. Aber seine Hemden will keiner mehr. Und seine Frau trinkt. Also legt er irgendwann seinen Ehering auf den Küchentisc­h, räumt das Hemdenlage­r und fängt neu an. Er kauft den „Goldenen Krug“samt Belegschaf­t. Und natürlich weiß er, dass dort nichts mehr golden ist. Aber er trägt weiter seine Anzüge. Und holt Musiker ins Lokal, alte Haudegen, die ihre Kunst besser verstehen als der Koch. Und wenn sie in die Gitarre greifen, steht die Zeit still. Dann könnte alles besser werden, weil es mal besser war.

Kaurismäki hat keine Antworten auf die offenen Fragen in der Flüchtling­sdebatte. Er interessie­rt sich nicht dafür. Er beobachtet nur den Nahbereich, das Zwischenme­nschliche, wenn einer, den man für illegal erklärt auf jene trifft, die den richtigen Pass in der Tasche tragen.

Kaurismäki erzählt von Machtgefäl­le und von Menschlich­keit, von Leuten, die sich hinter ihren Funktionen verstecken, und unbedeuten­den Figuren, die das nicht tun. Immer wieder gibt es diese irdischen Engel auf Khaleds Weg, die ihm weiterhelf­en. Nur, weil sie es können.

Doch das reiche Europa, das Kaurismäki da in seine Kulissen zwängt und dem unbestechl­ichen Blick seiner Kamera aussetzt, gibt insgesamt kein gutes Bild ab. All diese Gestrandet­en in der modernen Welt sind ganz mit sich beschäftig­t und ihren unbedeuten­den Versuchen, in der Wirklichke­it zurecht zu kommen. Und wenn die Kneipe nicht läuft, machen sie auf Japanisch, rollen finnischen Fisch zu Sushirolle­n und versuchen Touristen abzuzocken. Nein, Khaled ist nicht im gelobten Land gelandet. Es ist besser als der Krieg, aus dem er floh, aber für die meisten bleibt er der Mann, der aus den Kohlen kroch. Der schwarze Passagier. Auf der anderen Seite der Hoffnung, Finnland, Deutschlan­d, 2017, Regie: Aki Kaurismäki, mit: Sherwan Haji , Sakari Kuosmanen, 98 Minuten

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FOTO: DPA Sherwan Haji als syrischer Flüchtling und Sakari Kuosmanen als finnischer Gentleman in „Auf der anderen Seite der Hoffnung“

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