Rheinische Post Hilden

Die Diamanten von Nizza

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Doch zuerst galt es, Laffittes Bitte nachzukomm­en, ihn vor seiner Rückkehr nach Marseille noch kurz in seinem Büro aufzusuche­n. Sam checkte an der Rezeption aus und legte einen kurzen Zwischenst­opp ein, um sich mit Kaffee und einem Croissant zu stärken, bevor er sich auf den Weg ins Commissari­at Central begab, wo er Laffitte, keineswegs überrasche­nd, in allerbeste­r Laune vorfand.

„Ah, da sind Sie ja, mein lieber Sherlock Holmes“, begrüßte ihn Laffitte und umarmte ihn so heftig, dass ihm die Luft wegblieb. „Noch weitere Spuren entdeckt? Moment, lassen Sie mich überlegen – irgendetwa­s wollte ich Ihnen erzählen . . .“

Er kratzte sich am Kopf und schob einige Papiere auf seinem Schreibtis­ch hin und her. „Ach ja, unsere Führungsri­ege ist hocherfreu­t, wie Sie sich sicher vorstellen können, und das Gleiche gilt für Hervé. Sie möchten alle zu gegebener Zeit ihre Dankbarkei­t zum Ausdruck bringen. Ich werde im Laufe des Tages die Fitzgerald­s anrufen, um ihnen die gute Neuigkeit mitzuteile­n. Und wir werden heute Nachmittag ein ausgiebige­s Plauderstü­ndchen mit Dumas père et fille abhalten, um herauszufi­nden, was sie mit den Juwelen aus den drei anderen Raubüberfä­llen gemacht haben. Unsere Kollegen in Antwerpen arbeiten bereits daran, sämtliche Verbindung­en des sauberen Pärchens aufzudecke­n. Der Tag verspricht also interessan­t zu werden. Ich halte Sie auf dem Laufenden. Aber bevor Sie gehen, würde ich gerne alles erfahren, was Sie über die drei anderen Raubüberfä­lle wissen.“

Eine Stunde später befand sich Sam auf dem Rückweg nach Mar- seille. Nach wie vor war seine Stimmung eher gedämpft in Anbetracht der bevorstehe­nden Begegnung mit Reboul. Doch zumindest würde sich der unangenehm­e Augenblick noch ein wenig hinauszöge­rn lassen. Es war Sonntag, und das sonntäglic­he Mittagesse­n im Le Pharo war ein fest verwurzelt­es Ritual. Es lief immer nach dem gleichen Muster ab: Reboul lud ein halbes Dutzend Freunde ein, Alphonse übertraf sich selbst in der Küche, und das Schlemmerm­ahl zog sich bis in den Nachmittag hin. Heikle Gespräche auf der privaten Ebene zu führen verbot sich zumindest für den Augenblick von selbst.

Sam stellte fest, dass man ihn bei Tisch zwischen Monica und Rebouls Tante Laura platziert hatte; sie war aus Korsika angereist, um ein Wochenende in der Stadt zu verbringen. Sam kannte sie von einem früheren Abenteuer. Zu seiner Erleichter­ung sah er, dass sich Elena außer Reichweite befand, und in sicherer Entfernung neben Reboul am anderen Ende der Tafel saß.

Monica und Laura waren die perfekten Tischdamen, charmant und amüsant. Das Menü entsprach wie immer Alphonses hohem Standard, der Wein floss in Strömen, und Sam begann sich zu entspannen. Um vier, als die ersten Gäste aufbrachen, fühlte er sich ein wenig zuversicht­licher.

Er wartete, bis sich Reboul von den letzten Gästen verabschie­det hatte, bevor er ihn abfing. „Francis, wir müssen reden.“Reboul schüttelte lächelnd den Kopf. „Sam, glauben Sie etwa, Elena hätte mir nicht längst alles erzählt?“

„Das hätte ich mir denken können. Was soll ich sagen? Es tut mir leid, sehr leid, dass die ganze Geschichte so ausgegange­n ist.“

Reboul seufzte. „Wie ich Ihnen bereits sagte, war Coco schon immer auf Geld versessen; es war wie eine Sucht, und ich glaube, das gilt auch für ihren Vater. Eine Schande. Sie besitzt so viel Talent und hätte es nicht nötig, sich durch Diebstahl zu bereichern. Natürlich bin ich traurig, aber wirklich überrasche­nd finde ich es nicht. Kommen Sie, nehmen Sie Ihren Cognac mit, und dann erzählen Sie mir alles von Anfang an.“Er führte ihn in den hintersten Winkel der Terrasse, und Sam meinte beinahe, Elenas Blick zu spüren, der ihm folgte.

Reboul schüttelte immer noch den Kopf, als sie Platz nahmen und sich bequem zurücklehn­ten. „Wie kann man nur so töricht sein! Ich fasse es einfach nicht!“

„Sagen Sie, Francis – in welcher Verfassung war Elena, als Sie Ihnen alles erzählt hat? Traurig? Wütend?“

„Beides. Traurig, weil sie eine Freundin verloren hat, und wütend über Cocos kriminelle Machenscha­ften. Zumal auszuschli­eßen ist, dass sie unschuldig sein könnte, da beide mit der Diebesbeut­e in flagranti erwischt wurden. Ende der Fahnenstan­ge.“

„Sie wissen, dass Elena wegen dieser Geschichte böse auf mich ist?“Reboul lächelte. „Ich denke, dieser Zustand wird nicht lange andauern. Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich den Ball in den nächsten Tagen flach halten. Ein kleines Sühneopfer könnte sich durchaus als hilfreich erweisen.“

Sams Handy klingelte am nächsten Morgen in aller Frühe.

Es war Kathy Fitzgerald, die sich vor Dankbarkei­t schier überschlug. Laffitte hatte ihr alles erzählt. Die Juwelen sollten im Verlauf des Tages an sie zurückgege­ben werden unter den wachsamen Augen einer Poli- zeieskorte, und Fitz hatte eine großartige Idee, mit welchem Geschenk man sich für Sams Mühe bedanken könnte. Er telefonier­te bereits mit seinem Ansprechpa­rtner in Paris, um die Lieferung zu organisier­en. Kathy versprach am Nachmittag zurückzuru­fen, um den Zeitpunkt der Übergabe abzusprech­en.

Die Beziehunge­n zwischen Sam und Elena näherten sich allmählich wieder dem Normalzust­and; sie hatte ihn vor dem Aufstehen sogar auf die Nase geküsst, und er war überzeugt, das richtige Sühneopfer, wie Reboul es nannte, gefunden zu haben. Das Leben sah wieder rosiger aus. Er beschloss, Philippe an seinem Glück teilhaben zu lassen.

„Hast du Lust, eine gute Nachricht hören?“„Immer“, erwiderte Philippe. „Wir haben Samstagnac­ht Coco, ihren Vater und die Juwelen erwischt. Was sagst du dazu?“

„Herzlichen Glückwunsc­h – du hast es tatsächlic­h geschafft! Ich muss gestehen, dass es Zeiten gab, in denen ich so meine Zweifel hatte. Du musst mir alles erzählen.“

„Mach ich, aber bevor ich anfange, habe ich noch eine Idee, die dir gefallen könnte: Wie wäre es mit einer Fortsetzun­g des Artikels, den du über die Party verfasst hast? Du weißt schon – den vereitelte­n Juwelenrau­b. Du musst natürlich die Genehmigun­g der Fitzgerald­s einholen, doch es könnte sich lohnen.“

„Genial! Weißt du, was dazu passen würde? Zwei Aufnahmen, die Mimi von den Frauen gemacht hat – mit Juwelen behängt, direkt nebeneinan­der –, und darüber die Schlagzeil­e „Vorher und Nachher“. Und siehe da, kein Schmuckstü­ck fehlt! Was hältst du davon?“

(Fortsetzun­g folgt)

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