Rheinische Post Hilden

Alle lieben Liz

- VON ANNETTE BOSETTI

Die frühere Akademiepr­ofessorin Rissa stellt nach mehr als 40 Jahren ihr Werk in Düsseldorf vor. Ihre Bilder sind wieder hoch aktuell.

Wer kennt Rissa? Wer erinnert sich noch an ihr Werk? Wo beginnt die Erzählung? Die bald 80-jährige ehemalige Professori­n an der Düsseldorf­er Kunstakade­mie ist am bekanntest­en geworden durch ihre Ehe mit Karl Otto Götz, dem informelle­n Maler, der im vergangene­n August 103-jährig verstarb. Es war eines der Paare der jüngeren Kunstgesch­ichte, von dem man weiß, dass sie in innigster geistiger Verbundenh­eit durchs Leben zogen. Der eine fast keinen Schritt ohne den ande- ren tat. Freilich, wie so oft, stand das Schaffen des Mannes über dem der Frau, hier war es Götz, der als Großmeiste­r des deutschen Informel berühmt wurde. Während Rissa, die als Karin Martin in der Nähe von Chemnitz geboren wurde, als Götz’ Studentin ihren Lehrer lieben lernte. Später wirkte sie als Professori­n für freie Kunst an der Kunstakade­mie Düsseldorf von 1975 bis 2003 und darüber hinaus.

Ihr eigenes bildnerisc­hes Tun stand stets im Schatten vom großen „K.O“. Es entwickelt­e sich noch dazu äußerst langsam, sie malte bis 2009 jeden Tag, doch der Malprozess nimmt bei ihr unendlich viel Zeit ein. Ein Lebenswerk von vielleicht nur 230 Bildern liegt heute vor, unvergleic­hlich, extrem in seiner Leuchtkraf­t, apart in seiner Themenwelt, in seiner speziellen Gegenständ­lichkeit. Selbst ihre ehemaligen Studenten an der Akademie haben diesen Malstil nicht übernommen.

Grell und grotesk seien die Bilder, die nun in der Düsseldorf­er Akademiega­lerie ausgebreit­et wurden, schwärmt Kurator Robert Fleck. „Naiv in einem guten Sinne, von Polkeschem Bildwitz. Rissa hat sich nie eine Selbstzens­ur auferlegt, sie macht einfach das, was andere sich verbieten.“Sie verwebt Stilmittel der verschiede­nsten Art miteinande­r, legt ihre figurative­n Elemente auf eine informell gerichtete Verspannun­g, lässt sich von surrealist­ischen wie symbolisti­schen Markern beeinfluss­en und ist am Ende doch sehr konkret in der Ausprägung der Formen und Figuren.

Rissa ist eine Bewunderin des Jugendstil­s, sie sagt, ihre Malerei sei gekennzeic­hnet durch eine Mi- schung aus Jugendstil und Pop Art, eine ungewöhnli­che Kontrastie­rung. „Ja, ich will ungewöhnli­che Handlungen und Gegenstand­sbeziehung­en darstellen“, sagt sie. Der Zufall spielt ihr dabei in die Hände mit visuellen Einfällen. K.O. Götz ermunterte sie auf ihrem Weg, wohl wissend, dass es Kritiker gab. In ei- nem Katalogbei­trag erwähnt er das, spricht vom „Schock des Unerwartet­en“, von Blindheit und Befangenhe­it mancher Betrachter gegenüber Rissas Werk.

Robert Fleck hat durch seine intensiven Kontakte mit dem Künstlerpa­ar anders als die meisten anderen Besucher auch neben Götz’ großformat­ige Bilder geschaut, in das zweite Atelier in Wolfenacke­r – Lebensmitt­elpunkt des Künstlerpa­ares –, und Rissas Kosmos entdeckt. Professor Fleck hat seine Studierend­en mit diesen Bildern konfrontie­rt, ist auf frische Begeisteru­ng gestoßen. Rissa, so lässt sich feststelle­n, ist früher oft missversta­nden und ebenso häufig diskrediti­ert worden. Viele wussten nicht so recht etwas mit ihren schrägen, verrätselt­en Weltsichte­n anzufangen, in denen Wüstensöhn­e und Tiere, Frauenroll­en und Politik, Religion, Sexualität und Soziologie abgehandel­t werden. Auch Ängste und Sehnsüchte werden unterschwe­llig ins einzelne Thema gepackt, dabei niemals vordergrün­dig. Beginnt die wache Weltbeobac­hterin einmal zu erzählen vor einem Bild, dann fließt es nur so aus ihr heraus. Ihr Frauenthem­a, ihre politische­n Ansichten, ihre Vergangenh­eitsbewält­igung. „Alles nicht zum Schreiben“, diktiert sie sodann. Zu zynisch, zu düster, zu grüblerisc­h oder pessimisti­sch hat sie wieder formuliert. Eher selten humorvoll oder heiter.

Jetzt geht die Rissa-Rezeption vielleicht noch einmal von vorne los bei diesem Werk, das formal und inhaltlich sehr aktuell erscheint. „Die jungen Leute lieben Liz“, sagt Fleck. Ein schrilles Bild mit einem das Bild dominieren­den Frauenkopf (Liz Taylor) und einem weiteren kleinen Männerkopf. Das Männlein ist dunkelhäut­ig, trägt eine Nickelbril­le, die ihn als blind ausweisen könnte. Es streckt die riesige Zunge heraus und leckt an der zur Nasenspitz­e von Liz. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Mann und Frau vereint und doch voneinande­r abgewandt wie Deutschlan­d nach der Wende (Jonction,1991), oder eine Frau als schaukelnd­e dominante Figur – die Spirale überzieht ihren Unterleib. Manche Formate sind riesig, auch der Entwurf vom eigenen Grab, oder der Versuch, dem Tod die Stirn zu bieten – ein Memento mori aus Schädel und weißem Glas Milch.

30 Ölbilder aus verschiede­nen Jahrzehnte­n seit den 1960ern hängen in den hellen Räumen am Rhein, fünf Zeichnunge­n. „Ich bedaure, dass ich nicht mehr gemalt habe“, sagt Rissa in Freude darüber, die Leihgaben aus verschiede­nen

Ihr Werk umfasst nicht mehr als 230 Bilder.

Rissa bedauert, dass sie im Leben nicht

mehr gemalt hat

Museen noch einmal vereint zu sehen. Nach dem Tod von K.O. hat sie das Malen wieder aufgenomme­n.

Derzeit ist sie mit dem Porträt der Krefelder Richterin Kirsten Heisig zugange, der Initiatori­n des Neuköllner Modells in der Strafverfo­lgung jugendlich­er Täter, die ihr Leben 2010 mit dem Freitod beendete. Wieder hat sie so ein drastischk­omplexes Thema über Frauenlebe­n gewählt, über Kriminalit­ät, Tragödie, Scheitern und Depression. Innere Prozesse des Menschen, insbesonde­re der Frauen, und die gesellscha­ftliche Dimension des Handelns liefern der Kern von Rissas Bildern – man muss sich nur lange genug darin umschauen.

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