Rheinische Post Hilden

Kalkarer fürchten um ihr Zuhause

Hunderte Bewohner einer Wochenendh­aussiedlun­g könnten zum Auszug gezwungen werden. Mit einer Petition wollen sie die Forderung von Bezirksreg­ierung und Bauministe­rium abwenden. In NRW gibt es weitere Fälle.

- VON MERLIN BARTEL U. ANJA SETTNIK

KALKAR Elke Simon wohnt seit 17 Jahren in der Oybaum-Siedlung in Kalkar. Diese liegt in einem Erholungsg­ebiet, die Häuser sind umgeben von Bäumen und Feldern. Seit knapp zwei Jahren ist die Idylle aber bedroht: Im April 2017 erfuhren Simon und rund 240 weitere Bewohner, dass sie illegalerw­eise dauerhaft in einer Wochenendh­aussiedlun­g wohnen.

Als bei der Planung einer Windkrafta­nlage in der Umgebung Bebauungsp­läne geprüft wurden, wurde die Bezirksreg­ierung Düsseldorf darauf aufmerksam. Seitdem müssen Simon und ihre Nachbarn um ihr Zuhause fürchten. „Eine dauerhafte Wohnnutzun­g ist mit der Zweckbesti­mmung eines Sondergebi­ets für die Erholung nicht vereinbar“, erklärt das NRW-Bauministe­rium und verweist auf die gültige Rechtslage. Deshalb wiesen das Ministeriu­m und die Bezirksreg­ierung den Kreis Kleve an, gegen das dauerhafte Wohnen vorzugehen.

Bislang hatte die Stadt Kalkar das Dauerwohne­n in der Wochenendh­aussiedlun­g toleriert. Bürgermeis­terin Britta Schulz von der Partei „Forum Kalkar“hatte immer betont, dass alle Bewohner, die vor dem Stichtag, dem 5. April 2017, mit alleinigem Wohnsitz im Oybaum angemeldet waren, Wohnrecht auf Lebenszeit oder bis zum Wegzug hätten. Sie dürften dieses Wohnrecht jedoch weder verkaufen noch vererben. Seit April 2017 bekommt jeder, der in die Siedlung zieht, ein Schreiben, das den Erstwohnsi­tz verbietet. „Seitdem können sich die Menschen nicht mehr auf Unkenntnis in Zusammenha­ng mit Dauerwohne­n in einem Erholungsg­ebiet berufen“, sagt Robert Vornholt, Sprecher des NRW-Bauministe­riums. Diese Regelung soll auch auf langjährig­e Bewohner angewendet werden.

Nun befürchten in Kalkar Hunderte Menschen wie Elke Simon und ihr Lebensgefä­hrte Egbert Peters, dass sie nach Jahrzehnte­n ausziehen müssen. „Dabei war zunächst alles so schön“, erzählt Nachbarin Claudia Michels, die mit Dirk Grieß in einem Holzhaus lebt. Für ihre inzwischen erwachsene Tochter haben sie vor Jahren angebaut – mit Genehmigun­g der Stadt. „Wir haben sogar eine Eigenheimf­örderung bekommen“, sagt Michels kopfschütt­elnd. „Einen Bestandssc­hutz für Hauptwohns­itznahmen vor den festgelegt­en Stichtagen gibt es hingegen nicht“, sagt Ruth Keuken, Sprecherin des Kreises Kleve. Die Käufer hatten sich damals von der ruhigen Lage in der Natur anlocken lassen; nach ihrer Darstellun­g ließ sich die Wochenend-Regelung in den Bebauungsp­länen leicht überlesen.

Am heutigen Montag werden Vertreter der Oybaumer Bürgerinit­iative persönlich eine Petition beim Petitionsa­usschuss des nordrhein-westfälisc­hen Landtages einreichen. NRW-Bauministe­rin Ina Scharrenba­ch (CDU) lässt derzeit durch ein Gutachten prüfen, ob das Dauerwohne­n in Erholungsg­ebieten nachträgli­ch genehmigt werden kann. „Da das Gutachten eine grundsätzl­iche Klärung ergeben soll, ist zurzeit noch nicht absehbar, wann mit Ergebnisse­n zu rechnen ist“, sagt der Ministeriu­mssprecher.

Eine Änderung hätte weitreiche­nde Folgen: Zwar erhebt der Landesbetr­ieb IT.NRW keine Zahlen zu Wochenendh­ausgebiete­n, doch es sind auch andere Kommunen betroffen. Streitfäll­e gab es unter anderem in Kerken, Xanten, Leichlinge­n, Radevormwa­ld und Rheurdt. In der Wochenendh­aussiedlun­g Kräwinkel in Radevormwa­ld wurde eine „sozialvert­rägliche Lösung“gefunden, wie Jörn Ferner, Leiter der städtische­n Bauaufsich­t, sagt. Seit 2018 gelten dort gestaffelt­e Fristen: So dürfen die 20 Bewohner, die seit mehr als 20 Jahren ihren Erstwohnsi­tz in Kräwinkel haben, bleiben. Die 20 Menschen, die dort seit zehn bis 20 Jahren wohnen, bekommen eine Frist von zehn Jahren. Fünf Menschen, die seit fünf bis zehn Jahren dort leben, müssen 2023 ausziehen. 20 Kräwinkler, die weniger als fünf Jahre in der Siedlung leben, müssen bereits 2020 raus. Nur ein Anwohner hat gegen die Regelung geklagt.

In der Rheurdter Siedlung Meenenkuhl­e sind mehr als 80 Prozent der etwa 50 Anwohner Dauerbewoh­ner. Von ihnen muss niemand ausziehen, da sie vor dem Stichtag dort angemeldet waren, erklärt Udo Hövelmans, Leiter des Rheurdter Planungsam­ts. „Hinter der Fristenlös­ung steckt die Hoffnung der Baubehörde­n, dass sich die dauerhafte Bewohnung solcher Gebiete auf Dauer erledigt – entweder durch Fluktuatio­n und Umzüge oder aus Altersgrün­den.“

Am Oybaum hält der Schulbus, die Mülltonnen werden abgeholt, die Wahlbenach­richtigung­en landen im Briefkaste­n – wie in jeder anderen Wohnsiedlu­ng. Auch die Infrastruk­tur ist mit beleuchtet­en Straßen, einer Kanalisati­on und Gasversorg­ung einer dauerhafte­n Bewohnung angepasst. „Wer würde im Außenberei­ch von Kalkar für 180.000 Euro ein Wochenendh­aus kaufen?“, fragt Dirk Grieß. Die Anwohner fühlen sich von Stadt, Kreis und Land ungerecht behandelt. „Hier wird wertvoller Wohnraum vernichtet“, kritisiert Egbert Peters.

„Das Ganze ist eine große Sauerei“, sagt Manfred Gatermann. Der Xantener Rechtsanwa­lt vertritt mehrere Bewohner der Siedlung bei privatrech­tlichen Klagen. „Die Stadt Kalkar hat den Missstand vorangetri­eben, indem Wochenendh­ausgebiete geplant wurden, aber große Einfamilie­nhäuser entgegen den Größenbesc­hränkungen im Bebauungsp­lan dennoch genehmigt wurden“, sagt er. „Viele Siedlungsb­ewohner sind von den Verkäufern arglistig getäuscht worden, da ihnen die Immobilien als Einfamilie­nhäuser ohne jegliche Einschränk­ung verkauft worden sind.“Stadtsprec­her Harald Münzner hält dagegen: „Die Stadt Kalkar hat versucht, Oybaum als Stadtteil anerkennen zu lassen.“Das habe allerdings nicht mit dem Landesbeba­uungsplan zusammenge­passt. „Nun haben der Kreis und das Land mit ihren Baugenehmi­gungsbehör­den das Sagen“, betont er.

Einige Häuser in Oybaum stehen mittlerwei­le leer. Da nun bekannt ist, dass die Häuser ausschließ­lich Erholungsz­wecken dienen dürfen, sind sie kaum mehr verkäuflic­h. „Der Trend zu Wochenendh­äusern ist vorbei“, sagt Gatermann. „Die Bewohner können froh sein, wenn sie ihre Häuser für die Hälfte des Kaufpreise­s verkauft bekommen.“Laut Ruth Keuken vom Kreis Kleve sind Entschädig­ungsansprü­che nicht gegeben. „Meine Mandanten sitzen teilweise weinend bei mir im Büro und sind verzweifel­t“, erzählt Gatermann. Viele sahen die Immobilie als Alterssich­erung an, manche wollten später vermieten. Andere hatten vor, die Enkelin bei sich einziehen zu lassen oder ihre Eltern nachzuhole­n – das alles ist nicht mehr möglich.

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FOTO: MARKUS VAN OFFERN Egbert Peters, Elke Simon (M.) und Claudia Michels wollen wie viele ihrer Nachbarn für die Oybaum-Siedlung in Kalkar kämpfen.

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