Titel-Kandidat muss noch lernen
Für Mönchengladbach geht gegen Berlin der alleinige Fokus auf das Spiel verloren. Das kostet einen Vereinsrekord.
MÖNCHENGLADBACH Kurz vor dem Abpfiff hatten die Fans von Borussia Mönchengladbach doch noch einen Grund zum Jubeln gefunden. Trotz des 0:3-Rückstandes ihrer Mannschaft gegen Hertha BSC Berlin brach Freude aus, als an der Anzeigetafel des Borussia-Parks der 3:3-Ausgleich Hoffenheims in Dortmund angezeigt wurde. Es beweist zwei Dinge: Einerseits lebt der Traum, vielleicht tatsächlich ein Wörtchen im Titelkampf mitreden zu können. Und andererseits ist dieser Traum trotz der Niederlage der Gladbacher noch nicht ad acta gelegt.
Das 0:3 gegen Berlin war ein Denkzettel und soll eine Lehre sein. Es passierte jedoch zu einer Unzeit. Denn Borussia hätte an diesem Samstag einen Vereinsrekord aufstellen können. Die Mannschaft von Trainer Dieter Hecking verpasste die Chance, als erste Mannschaft der Vereinsgeschichte auch das 13. Heimspiel in Folge zu gewinnen. Den Eintrag im Geschichtsbuch muss sich das Team weiterhin mit der Mannschaft von Jupp Heynckes aus der Saison 1983/1984 teilen. Außerdem war das Spiel die Möglichkeit, noch näher an Tabellenführer Borussia Dortmund heranzurücken. Fünf Punkte Rückstand wären es nun auf den BVB gewesen, hätten die Gladbacher gewonnen. Gewachsen wäre dadurch auch der Vorsprung auf den ersten NichtChampions-League-Platz. Denn die Verfolger RB Leipzig, Frankfurt und Wolfsburg konnten allesamt nicht gewinnen.
Es war zu erwarten, dass die Gladbacher auch wieder ein Spiel verlieren würden. Es ist bitter für sie, dass es in diesem Moment passiert ist. Aber es ist nun die Aufgabe, die richtigen Lehren daraus zu ziehen und da weiterzumachen, wo man vor der Hertha-Niederlage aufgehört hatte. „Wenn du plötzlich ranrobbst und jeder dich plötzlich zum Dortmund-Jäger macht, ist das für so eine junge Mannschaft nicht einfach zu verarbeiten. Damit meine ich nicht, dass die Medien den Druck vergrößern, sondern man muss einfach lernen, mit dieser Situation umzugehen“, sagte Hecking. „Was Dortmund und Bayern seit Jahrzehnten haben, haben wir das erste Mal seit langer Zeit – nämlich unter den ersten Drei in der Bundesliga zu stehen. Es ist nicht einfach, Woche für Woche die gleiche Leistung abzurufen, weil man unterbewusst denkt: ‚Mensch, wenn wir jetzt das Spiel gegen Berlin noch gewinnen, sind wir noch ein Stück näher dran, wenn Dortmund Punkte lässt`.“
Und genau dieser Gedanke scheint sich bei seinen Spielern eingeschlichen zu haben. „Aber das nützt nichts, du musst dich mit dir selbst beschäftigen, mit deiner Leistung Woche für Woche. Wenn die gut ist, werden wir punkten. Das haben wir gegen Berlin nicht hinbekommen, für mich war das aber ein normaler Effekt, auch wenn es nicht passieren sollte. Das muss uns eine Erfahrung für die nächsten Wochen sein, dass wir immer nur auf uns schauen und Woche für Woche Gas geben“, sagt Hecking. Dass seine Mannschaft die Lehren aus einer bitteren Niederlage ziehen kann, hat sie bereits bewiesen. Auch das Hinspiel in Berlin ging mit 2:4 deutlich verloren, es folgten zehn Punkte aus den nächsten vier Spielen.
Das und die Art, wie Borussia mit dem Rückschlag umgeht, lassen zu, dass die Gladbacher noch nicht abzuschreiben sind im Titelkampf. Denn die tabellarische Situation hat sich nicht verändert, und die Mannschaft scheint sofort begriffen zu haben, warum es mit dem Siegvorhaben gegen Berlin schief ging. Weil der Fokus auf das Spiel verloren ging, das große Ganze eben doch für einen Moment in den Köpfen hing. So dürfen Fans denken, wenn es Spieler machen, hat das jedoch Konsequenzen. „Wenn jeder zu dir sagt: ‚Ihr könnt etwas Unfassbares schaffen’, etwas, was noch größer als der Meistertitel von Leicester City in England wäre, lässt einen das nicht kalt, das muss es aber“, sagte Max Eberl am Tag nach der klaren Niederlage in der Talkshow „Wontorra“beim Bezahlsender Sky. „Wir haben nun diese Lehre bekommen, dass es nicht mit Laberei geht. Sondern wir müssen Woche für Woche hart arbeiten.“
Und auch bei den Spielern hat sich ein konkreter Gedanke bereits eingetrichtert: „Wir lassen uns wegen einer Niederlage nicht von unserem Weg abbringen“, sagte Keeper Yann Sommer. Dieser Weg beinhaltet die wenig populäre Denkweise von Spiel zu Spiel, die exklusive Fokussierung auf den nächsten Gegner. Gegen Berlin hat Borussia einen Denkzettel erhalten, der den Vereinsrekord verhindert hat. Aber vielleicht kann die für die nächsten Wochen hilfreich sein.