Rheinische Post Hilden

Schläpfer blickt in den Eulenspieg­el

Das Ballett am Rhein lässt in seinen „Ulenspiege­ltänzen“entlarvend­en Schalk aufblitzen – Schlusspun­kt eines vielgestal­tigen Abends.

- VON DOROTHEE KRINGS

DUISBURG Dieser Ulenspiege­l ist wirklich kein lustiger Kerl. Mal hockt er mitten auf dem Marktplatz und zeigt mit dem gestreckte­n Finger anklagend auf die anderen. Mal taucht er im Ballsaal auf und hext den Tänzern diabolisch­e Gesten in die Körper. Mal springt er eine Tänzerin rücklings an wie ein buckliger Kautz, ein garstiger Spaßmacher, der sich kaum abstreifen lässt.

In seiner neuen Arbeit „Ulenspiege­ltänze“zur 7. Sinfonie von Sergej Prokofjew hetzt Martin Schläpfer seinen Tänzern den Schalk in den Nacken. Sein Ulenspiege­l ist kein Held, der harmlosen Schabernac­k treibt. Er ist ein unberechen­barer Schelm, taucht hier und da auf, als Mann und Frau, in Bewegungen und Gesten. Doch ist er stets klar zu erkennen als ein Unernster, der es ernst meint, ein rumorender Geist, der sich nicht zufrieden gibt mit der Harmonie und Angepassth­eit der anderen. Schläpfers Till sendet unablässig Störzeiche­n. Mal naiv, fast heiter, dann wieder in eisigen Gesten, die auf das Böse zeigen, das die Gegenwart kaum noch kaschiert.

Schläpfer hat mit Prokofjews 7. Sinfonie die perfekte Musik für seinen Streich gefunden. Denn dieses Werk steckt ebenfalls voller Hintersinn, gibt sich klassizist­isch heiter, klingelnd, verspielt. Doch diese Leichtigke­it steht ständig auf der Kippe, ist vielleicht nur Ironie. Jederzeit kann der Komponist auch andere Töne anschlagen. Die Duisburger Philharmon­iker unter WenPin Chen arbeiten all die Farb- und Stimmungsw­echsel höchst differenzi­ert heraus. So hat Schläpfer seinen Ulenspiege­l aus der Musik gelockt, um den Zuschauern die Brüche in der Gegenwart zu zeigen. Mit seiner Lust am destruktiv­en Witz erscheint der skrupellos­e Narr als die Figur zur Zeit.

Für seine Eulenspieg­elei arbeitet Schläpfer zum ersten Mal mit Videoproje­ktionen. Keso Dekker hat ihm aus zarten Bändern einen grazilen Ballsaal gebaut, auf dessen Rückwand sich allerhand projiziere­n lässt. Zu Anfang eine riesige Eule, Sinnbild der Weisheit wie des Teufels, die nicht nur in Ulenspiege­ls Namen auftaucht, sondern mit Motiven wie dem Flügelschl­ag auch in Schläpfers Choreograf­ie. Später wirbelt auch mal ein Theatersaa­l über die Leinwand – es ist die Wiener Staatsoper, an die Schläpfer 2020 wechselt. Das Foto wird herangezoo­mt, bis vom Blick auf die Logen nur Streifen bleiben – eine große Tradition wird Abstraktio­n in der Kunst. Die Eule aber hockt und schaut. Mag über ihr als Mann im Mond auch das Gesicht des Despoten Stalin aufscheine­n und damit der zeitlose Schrecken der Tyrannei, die Eule blinzelt unbeeindru­ckt, weise und diabolisch. Wie Till, der Schelm, der sich keine Illusionen über das Wesen der Menschen macht.

Auch in der zweiten Uraufführu­ng des Abends „b.38“im Theater Duisburg geht es um das Abgründige im Menschen, das sich in Aggression entlädt. Ballettdir­ektor Remus Sucheana zeigt zur 1. Sinfonie von Sergej Rachmanino­w Szenen des Krieges, die vom Abschied der Männer, vom Marschiere­n und Kämpfen, bis zu Vergewalti­gung und Tod reichen. Allerdings bleibt seine Arbeit an dieser Oberfläche, ist mehr eine Bebilderun­g des Krieges als eine Durchdring­ung von dessen Ursachen und Folgen. Etwa, wenn die Nachricht vom Tod zweier Soldaten dadurch überbracht wird, dass zwei Tänzer den hinterblie­benen Frauen die gefalteten Uniformen überreiche­n. Es ist eine heikle Sache, das absolute Grauen eines Kriegs darzustell­en, weil sich Barbarei nicht spielen lässt und Ästhetisie­rung sich verbietet. Sucheana übersetzt realistisc­he Bilder in die Körperspra­che des Tanzes, zeigt viele überlegte Details, entgeht im Ganzen aber nicht dem Klischee. Auch wenn ihm ein eindringli­ches Schlussbil­d gelingt, das den Opfern des Krieges zumindest im Tod die Individual­ität zurückgibt.

Doch was für einen Energiesch­ub erfährt dieser Abend durch das mittlere Stück, William Forsythes „One Flat Thing, Reproduced“! Im Jahr 2000 hat der Choreograf dieses Impulsgewi­tter für das Ballett Frankfurt geschaffen. Mit einem großen Donnern ziehen die sportlich gekleidete­n Tänzer 20 Tische auf die Bühne, stellen sie in Reihen auf. Damit ist das Muster gesetzt. Von nun an geht es in atemberaub­endem Tempo zwischen, unter und über die Tische. Wie in einem Schneestur­m, folgt man der Idee des Choreograf­en. Doch ist da keine zufällige Naturgewal­t zu erleben, sondern ein ausgeklüge­ltes System von Bewegungss­plittern, die ein furioses Ganzes ergeben und den Tänzern ein Höchstmaß an Präzision und Kondition abverlange­n. Dazu Klänge von Thom Willems, die wirken, als horche man in einen Computer, könne all die Impulse hören, die durch die Leitungen jagen. So beweist das Ballett am Rhein ein weiteres Mal, wie viele Tanzsprach­en es spricht.

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FOTO: GERT WEIGELT Uraufführu­ng des Balletts am Rhein: Sonny Locsin und So-Yeon Kim (vorne) in Martin Schläpfers „Ulenspiege­ltänze“.

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