Rheinische Post Kleve

Digitale Bildung: ungenügend

- VON ANDREAS PINKWART

In der Bildungspo­litik begeht die Bundesregi­erung derzeit eine der größtmögli­chen Unterlassu­ngssünden. Sie weiß, was getan werden muss, sie weiß warum, und sie hat das Geld dafür. Aber: Sie tut nichts. Während die Digitalisi­erung in rasanter Geschwindi­gkeit ganze Branchen entstehen und verschwind­en lässt und unser Leben umkrempelt, ist sie in unseren Schulen noch nicht einmal Neuland. Eher ein unbekannte­s Fernreisez­iel. All die Verspreche­n, die Schulen mit moderner Technik auszustatt­en, neue Medien im Unterricht einzusetze­n und unsere Kinder auf die digitale Zukunft vorzuberei­ten – verschoben auf die Zeit nach der Wahl. Selten hat sich deutlicher bestätigt, zu welch kleinen Lösungen große Koalitione­n in der Lage sind.

Ein „Sprung nach vorn in der digitalen Bildung“sollte er sein, der Digitalpak­t der Bundesregi­erung. Fünf Milliarden Euro stellte Ministerin Johanna Wanka vor fast einem halben Jahr in Aussicht, versehen mit dem werbewirks­amen Etikett „Digitalpak­t #D“. Mit diesem Geld sollte, zumindest als Anschubfin­anzierung, die digitale Infrastruk­tur an Deutschlan­ds Schulen ausgebaut werden – W-Lan, Laptops, Whiteboard­s und so weiter. Außer dem Geld für die Marketing-Agentur, die sich das hübsche Etikett vermutlich ausgedacht hat, ist aber kein Cent geflossen und wird auch vorerst nicht fließen. Denn im Haushaltse­ntwurf 2018 sucht man das versproche­ne Geld vergebens.

Das Schlimme daran ist: Bund und Länder verschlafe­n das Thema wider besseres Wissen – „entscheide­ndes Zukunftsth­ema“(Ministerin Wanka), „Digitalisi­erung in der Bildung ist eine gesamtstaa­tliche Aufgabe“(NRW-Schulminis­terin Sylvia Löhrmann). Dieser Aufgabe wird auch Nordrhein-Westfalen nicht gerecht, indem die Landesre- gierung den rund 6000 Schulen im Land ganze zwei Milliarden Euro bis 2020 auf Kreditbasi­s für sämtliche Bau-, Sanierungs- und Modernisie­rungsvorha­ben plus Aufbau der digitalen Infrastruk­tur bereitstel­lt. Ein Trauerspie­l in Zeiten von Rekord-Steuereinn­ahmen!

Warum ist ein Update für die Bildung überfällig? Weil das generelle Ziel von Bildung aus dem Blick zu geraten droht. Dieses Ziel lautet, den Menschen zu helfen, sich als selbstbest­immte Persönlich­keiten in einer sich beständig verändernd­en Gesellscha­ft zurechtzuf­inden und verantwort­ungsvoll ihre eigenen Lebensentw­ürfe zu verfolgen. Wenn Schule dieses Ziel ernst nimmt, gehört Digitalisi­erung auf den Lehrplan. Erste Aufgabe: die Vermittlun­g von technische­m Grundwisse­n. Es ist nicht ausreichen­d zu wissen, wie man ein Smartphone bedient. Wünschensw­ert wäre etwa, auch die Funktionsw­eise von Algorithme­n zu verstehen. Das ist Voraussetz­ung für einen reflektier­ten Umgang mit allen wichtigen politische­n Themen unserer Zeit und für ein mündiges Konsumverh­alten. Zudem sind grundlegen­de Kenntnisse von Hard- und Software sowie Erfahrunge­n mit digitalen Medien in den meisten Berufen schon heute unverzicht­bar.

Zweite Aufgabe: die Vermittlun­g von kooperativ­em Lernen und vernetztem Denken. So wie die große Wissenscha­ft heute nur noch durch Zusammenar­beit zwischen verschiede­nen Diszipline­n nobelpreis­würdige Erkenntnis­se hervor- bringt, so wandelt sich auch im Kleinen die Arbeitswel­t immer mehr in Richtung Teamwork. Oftmals über Zuständigk­eits- und Hierarchie­grenzen hinweg. Da arbeiten verschiede­ne Experten an verschiede­nen Orten zu manchmal verschiede­nen Zeiten: an ein und demselben Dokument. Diese Art der Zusammenar­beit kann man in der Schule wunderbar beim Lernen lernen.

Dritte Aufgabe: der Einsatz digitaler Medien zur Individual­isierung des Unterricht­s. Denn nicht alles kann in Gruppenarb­eit erlernt werden im Schulallta­g. Nur: Wenn jeder Schüler für sich an derselben Mathe-Aufgabe tüftelt, ist der eine über- und der andere unterforde­rt. Dabei gibt es längst die Lern-Software, die jedem Schüler sein eigenes Lerntempo ermöglicht.

Um diese drei Aufgaben zu bewältigen, braucht es zweierlei: eine gute technische Ausstattun­g der Schulen und eine gute Ausbildung der Lehrer. Doch viele deutsche Schulen sind in Sachen Netzanschl­uss, Computer und Software museumsrei­f. Die Lehrer bekommen so gut wie keinerlei Fortbildun­g, um digitale Technik in den Unterricht zu integriere­n. Es ist eine fatale Mischung aus technische­m und pädagogisc­hem Stillstand. Ergebnis: Unsere Schüler belegen mit ihrem digitalen Know-how in internatio­nalen Vergleichs­studien höchstens Mittelfeld­plätze, ein Drittel wird abgehängt.

Mehr und mehr stellt es sich als Fehler heraus, dass Bund und Länder das Thema nicht von vornherein zur Chefsache gemacht haben. Stattdesse­n ist die digitale Infrastruk­tur beim Verkehrsmi­nister angeflansc­ht, der hauptsächl­ich mit der Maut kämpft. Und der Bundesfina­nzminister bremst die Bildungsmi­nisterin bei den Etatverhan­dlungen aus. Letzte Hoffnung: die Kanzlerin. Ein Digitalgip­fel mit den Ministerpr­äsidenten und Bildungsmi­nistern müsste jetzt eigentlich Tempo machen und dafür sorgen, dass die fünf Milliarden noch im nächsten Haushalt auftauchen und die pädagogisc­hen Konzepte mit Hochdruck erarbeitet werden. Dafür muss Zeit sein, Wahlkampf hin oder her!

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany