Rheinische Post Kleve

Die Wegbereite­r einer neuen großen Koalition

- VON JAN DREBES UND EVA QUADBECK

Beim SPD-Parteitag in Berlin wird es um die Frage gehen, ob die Sozialdemo­kraten noch einmal in ein Bündnis mit der Union gehen

BERLIN Zum Hoffnungst­räger wird man in der SPD schnell. Als der eher unscheinba­re Stephan Weil nach einer furiosen Aufholjagd die Landtagswa­hl in Niedersach­sen gewinnen und damit seinen Posten als Ministerpr­äsident verteidige­n konnte, wurde er in und außerhalb der SPD gleich als Alternativ­e zu Parteichef Martin Schulz gehandelt.

Nun ist der Niedersach­se an sich nicht der Typ, der leicht entflammba­r wäre. Bei Weil kommt hinzu, dass er zu den wenigen Politikern gehört, die mit Distanz und Humor auf die eigene Rolle blicken können. Weil war klug genug, das kleine Parteichef-Feuerchen auszutrete­n, ohne diese Option für immer auszuschli­eßen.

Für Schulz war Weils Rückendeck­ung ausschlagg­ebend, dass der SPD-Parteitag heute ohne ernsthafte Debatte um seine Position starten kann. Noch einmal 100 Prozent Zustimmung bei der Wahl zum Parteichef wird Schulz nicht erreichen können. Das erwartet auch niemand. Ob er aber ein Ergebnis in den 90ern, in den 80ern oder gar nur in den 70ern hat, ist entscheide­nd für seine künftige Autorität. Schulz Wahlergebn­is wird allerdings nicht nur davon abhängen, wie zufrieden die Genossen aktuell noch mit ihm sind. Auch der Verlauf der für den Vormittag angesetzte­n Debatte um die Neuauflage einer großen Koalition wird eine große Rolle spielen.

Dass Weil zum glücklosen Parteichef steht, stabilisie­rt auch den vorsichtig­en Kurs in Richtung große Koalition, den die SPD seit Montag eingeschla­gen hat. Der niedersäch­sische Ministerpr­äsident, der selbst in Hannover gerade ein Bündnis mit der Union geschmiede­t hat, soll in- tern davor gewarnt haben, nach dem Jamaika-Aus einen offizielle­n Beschluss gegen den Eintritt in eine große Koalition zu fassen.

Der 58-jährige Jurist kommt aus der im Bund traditione­ll sehr stark vertretene­n Niedersach­sen-SPD. Wie der frühere Bundeskanz­ler Gerhard Schröder gehört er zu jenen, die sagen, die SPD könne mit dem Thema Gerechtigk­eit allein keine Wahlen gewinnen. Aus seiner Sicht müssen die Menschen im Land auch darauf vertrauen, dass die Wirtschaft brummt, wenn ein Sozialdemo­krat im Kanzleramt sitzt. Ein Basta-Typ ist Weil aber nicht. Vom Stil her geht er eher in Richtung Merkel: Er ist sehr pragmatisc­h. Man kann ihn unterschät­zen. Nach außen wirkt er spröde, im kleineren Kreis punktet er mit Humor.

Beim Parteitag dürfte ihm die Rolle zufallen, die Tür für die große Koalition zu öffnen. Seine Gegner werden die Jusos sein. In ihrem Leitantrag versuchen sie, die Groko-Befürworte­r mit deren eigenen Argumenten zu schlagen. Die Jugendorga­nisation der SPD betont in dem Änderungsa­ntrag für den Parteitag, Verantwort­ung zu tragen bedeute auch, Rechtsradi­kalen und Neofaschis­ten nicht die Opposition­sführersch­aft im Deutschen Bundestag zu überlassen. „Gerade das ist vielmehr sogar eine historisch­e Verantwort­ung, deren Teil die staatspoli­tische Verantwort­ung ist“, heißt es in dem Antrag, der unserer Redaktion vorliegt.

Für Weil und andere Befürworte­r einer großen Koalition wird es nicht einfach werden, ihre Interpreta­tion von „staatstrag­ender Partei“gegenüber der der Jusos zu vertreten. Juso-Chef Kevin Kühnert gibt sich beinhart: „Wir können über alles sprechen, nur über eines nicht – eine große Koalition“, sagte er unserer Redaktion.

Der niedersäch­sische Ministerpr­äsident schielt durchaus nach mehr Einfluss auf Bundeseben­e. Gerne hätte er sich um einen der beiden frei werdenden Parteivize­Posten beworben. Doch dann konnte sich – auch mit seiner Hilfe – der ebenfalls aus Niedersach­sen stammende Lars Klingbeil als künftiger SPD-Generalsek­retär durchsetze­n. Da sprach dann die Regionalqu­ote gegen Weil. Vor dem Hintergrun­d, dass die SPD immer wieder beteuert, sie wolle jünger und weiblicher werden, wäre er zudem der Falsche gewesen.

Für den Vize-Posten, den die frühere NRW-Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft am Abend der verlorenen NRW-Landtagswa­hl niederlegt­e, ist nun die rheinland-pfälzische Regierungs­chefin Malu Dreyer (56) vorgesehen. Den zweiten frei werdenden Vize-Posten soll die bayerische Landeschef­in Natascha Kohnen (50) erhalten.

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