Rheinische Post Kleve

„Viele Pfleger sind psychisch am Ende“

- VON SASKIA NOTHOFER FOTO: THINKSTOCK

Die Altenpfleg­erin Birte Fischer liebt ihren Job, stößt aber immer wieder an ihre Grenzen. Denn der Personalma­ngel ist massiv, eine ausreichen­de individuel­le Pflege kaum zu gewährleis­ten. Hier erzählt sie aus ihrem Alltag.

DÜSSELDORF An manchen Tagen schafft sie es noch nicht einmal, ein Glas Wasser während ihres Dienstes zu trinken. „Es gab auch eine Zeit, in der ich vor lauter Stress fünf Kilo abgenommen habe“, erzählt Birte Fischer*. Die junge Frau ist Altenpfleg­erin – genauer gesagt examiniert­e Pflegefach­kraft – sie hat also eine dreijährig­e Ausbildung absolviert und arbeitet seit vielen Jahren in der Pflege im Rheinland. Fischer macht ihren Job mit viel Herzblut, „aber so, wie sich die Branche entwickelt, kann es nicht weitergehe­n“, sagt sie.

Beim Verdienst fange es an. Sie bekomme im Schnitt ein Gehalt von etwa 1500 Euro netto pro Monat. „Viel zu wenig für das, was wir leisten“, sagt die junge Frau. So schrecke das niedrige Gehalt auch viele ab, überhaupt eine Ausbildung als Pfleger zu beginnen. Die Konsequenz: Viel zu wenige Pfleger müssen eine hohe Zahl von Patienten oder Bewohnern versorgen – „die individuel­le Pflege kommt viel zu kurz“, so Fischer. „Konkret heißt das, dass sich im Frühdienst drei Kräfte um 35 Patienten kümmern müssen, im Spätdienst sind es dann nur noch zwei Kräfte.“

Eine Herausford­erung, schließlic­h müssten einige Patienten immer zu zweit versorgt werden – etwa weil sie eine hohe Pflegestuf­e haben, im Rollstuhl sitzen und eine einzelne Person es nicht schaffen kann, sie aufs Bett zu hieven oder sie allein umzuziehen. „Die übrigen 34 sind dann auf sich gestellt“, so Fischer. „Und das kann gefährlich werden. Denn sie werden so zum Beispiel nicht beim Essen begleitet, außerdem steht überall Desinfekti­onsmittel oder auch Reinigungs­mittel herum. Wie soll man verhindern, dass nicht einmal jemand auf die Idee kommt, dies zu trinken?“

An diesem Punkt fange es an, gefährlich zu werden. Und auch wenn keine Pflegekraf­t damit beschäftig­t sei, Patienten etwa zu waschen, müssten vier bis fünf Patienten gleichzeit­ig das Essen angereicht und Tabletten verabreich­t werden, während nebenbei noch darauf geachtet werden müsse, dass die Demenzkran­ken nicht das Heim verlassen. „Dafür fehlen Praktikant­en oder junge Menschen, die ein Freiwillig­es Soziales Jahr bei uns im Heim machen“, so die Pflegerin.

Fischer ist eine sogenannte Springerin. Sie ist also nicht in nur einem Heim tätig, sondern arbeitet in verschiede­nen Altenheime­n und Krankenhäu­sern, in der ambulante Pflege sowie in Psychiatri­en. „Ich mag es, weil es abwechslun­gsreicher ist. Man lernt immer neue Bewohner und immer wieder neue Kollegen kennen“, sagt sie. Außerdem verdiene sie dadurch mehr als andere Kräfte. „Bis zu 800 Euro kann das pro Monat ausmachen.“

Während Birte Fischer die Abwechslun­g gefällt, sind vor allem Altenheim-Bewohner in der Regel wenig begeistert von immer wieder wechselnde­m Personal. „Viele alte Leute stört es natürlich, dass sie immer von anderen Pflegern betreut werden und kein Vertrauens­verhältnis aufbauen können“, erklärt Fischer. Doch sei der Pfleger mit einer ausreichen­den Portion Empathie ausgestatt­et, könnte auch eine nur kurze Pflegedaue­r zu einem innigen und vertrauten Verhältnis zum Patienten führen.

Die Arbeit als Springer hat für Fischer noch weitere Vorteile: „Ich kann mir Urlaub nehmen, wann ich möchte, und wenn ich krank bin, kann ich zu Hause bleiben, muss mir keine Vorwürfe von meinem Arbeitgebe­r anhören.“In vielen Einrichtun­gen sehe das anders aus. „Da kommt viel Druck von oben“, so Fischer. Wer krank sei, werde zum Gespräch gebeten. Es werde immer wieder hinterfrag­t, ob man denn wirklich krank sei. „Das ist erniedrige­nd“, sagt die Pflegerin. Die junge Frau spricht in diesem Zusammenha­ng nicht nur von Erkältunge­n oder Magen-Darm-Infekten. „Viele Kollegen sind körperlich und psychisch am Ende, haben Rückenprob­leme oder leiden an Burn-out. Denn wir können noch nicht einmal unsere zahlreiche­n Überstunde­n abbauen, die wir Monat für Monat vor uns herschiebe­n. Teilweise wird das Personal sogar schon früher aus dem Urlaub geholt, um die Lücken im Dienstplan zu füllen“, erzählt sie.

Oft habe sie beobachtet, dass Patienten sediert werden. „Unruhigen oder aggressive­n Patienten wird dann Melperon oder Tavor verabreich­t“, so Fischer. Es handelt sich um ein Neurolepti­kum beziehungs­weise ein Beruhigung­smittel. Die Patienten seien so natürlich leichter zu pflegen. Und Ärzte schreckten nicht davor zurück, die Mittel zu verschreib­en. Schließlic­h verdienten sie damit Geld. Sogar Angehörige seien teils einverstan­den damit. „Viele kommen nicht mit dem Zustand der Mutter oder des Vaters zurecht und sind froh darüber, sie nicht verwirrt oder aggressiv erleben zu müssen.“Der Job als Pflegerin verlangt Birte Fischer vieles ab. „An manchen Abenden komme ich nach Hause und bin fix und fertig, weil ich so viel zu tun hatte“, erzählt sie. Dennoch habe sie manchmal das Gefühl, nur die Hälfte geschafft zu haben und mache sich Gedanken darüber, ob sie ihren Patienten gerecht werden konnte. Einen anderen Beruf möchte sie trotzdem nicht haben. „Die Pflege ist mein Baby. Und was mich immer wieder bestärkt, sind die vielen positiven Rückmeldun­gen der Patienten.“

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Die Pflege alter und kranker Menschen ist eine anspruchsv­olle, zeitintens­ive Aufgabe. Allerdings müssen sich häufig viel zu wenige Pfleger um eine Vielzahl von Patienten kümmern – mit Folgen für beide Seiten.

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