Rheinische Post Krefeld Kempen

Wie böse ist der deutsche Export?

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker versuchte gestern die Wogen zu glätten. Ja, der US-Präsident habe sich bei ihm über den hohen deutschen Handelsübe­rschuss beschwert. Ja, dabei seien auch die Worte „bad, very bad“gefallen. Allerdings sei das von Donald Trump nicht aggressiv vorgetrage­n worden. „,Bad’ heißt nicht böse“, sagte Juncker. Deutsche Medien hatten zuvor unter Berufung auf Teilnehmer aus dem Gespräch mit Juncker am Donnerstag berichtet. Ein Zitat Trumps wurde von den Medien auf deutsch so wiedergege­ben: „Die Deutschen sind böse, sehr böse.“Juncker bezeichnet­e diese Übersetzun­g als übertriebe­n. „Man muss das richtigste­llen“, sagte er. „Ich bin kein Spezialist im Englischen, wie man weiß, aber: ,Bad’ heißt nicht böse, schlecht reicht.“

Was bleibt, sind erneut tiefe Irritation­en. Trumps Kritik ist nicht neu, doch hatte Berlin gehofft, Trump habe in den vergangene­n Monaten doch eingesehen, was der wichtigste Grund für das Ungleichge­wicht ist – dass nämlich die Amerikaner einfach mehr gute deutsche Produkte kaufen wollen als umgekehrt. Das aggressive Auftreten des USPräsiden­ten, der sich damit internatio­nal zunehmend isoliert, zeugte jedoch nicht von einem Umdenken – und so wächst nun wieder die Furcht vor protektion­istischen Maßnahmen, etwa USStrafzöl­len auf deutsche Produkte. Wie hoch ist der deutsche Außenhande­lsüberschu­ss gegenüber den USA? Tatsächlic­h exportiert­en deutsche Firmen 2016 Waren im Wert von 107 Milliarden Euro in die USA, während die USWirtscha­ft umgekehrt nur etwa die Hälfte oder 58 Milliarden Euro in Deutschlan­d absetzte. Während die Importe aus den USA 2016 konstant blieben, gingen die deutschen Exporte nach dem Rekord von 2015 immerhin schon um zehn Milliarden Euro zurück. Die Bundesregi­erung argumentie­rt, der Überschuss werde weiter abnehmen, wenn der Euro-Wechselkur­s gegenüber dem US-Dollar wieder mehr steige. Und gegenüber der Welt insgesamt? Deutschlan­d wurde 2016 mit einem Handelsbil­anzübersch­uss von 272 Milliarden Euro Weltmeiste­r und verwies China und Japan auf die Plätze zwei und drei. Damit summierte sich das Handelsplu­s auf 8,7 Prozent der Wirtschaft­sleistung. Fast jeder vierte Arbeitspla­tz hängt vom Export ab. Man spricht auch vom „Geschäftsm­odell“der deutschen Wirtschaft: Sie wird wesentlich vom Export getragen. Die USA dagegen häuften das weltweit größte Handelsdef­izit an. Seit Jahrzehnte­n importiere­n die USA erheblich mehr als sie exportiere­n. Getragen wird die USWirtscha­ft traditione­ll vom starken privaten Konsum. Um das Defizit zu finanziere­n, sind die USA aber auf eine hohe Verschuldu­ng und einen riesigen Strom ausländisc­hen Kapitals angewiesen. Dadurch sind sie theoretisc­h anfällig: Ziehen die ausländisc­hen Kapitalgeb­er, etwa aus China, ihr Geld ab, bricht die US-Wirtschaft ein. Was sind die Ursachen des hohen deutschen Überschuss­es? Deutsche Maschinen oder Autos von BMW, Daimler oder Volkswagen sind beliebt in den USA. Umgekehrt gibt es nicht viele Chevrolets auf deutschen Straßen. Allerdings werden die für den US-Markt bestimmten Autos mit deutscher Marke größtentei­ls dort hergestell­t und nicht importiert. „Made in Germany“genießt internatio­nal einen hervorrage­nden Ruf. „Deutsche Produkte werden wegen ihrer hohen Qualität und Zuverlässi­gkeit gekauft – auch in den USA“, sagt Achim Dercks, der Vize-Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Industrieu­nd Handelskam­mertags. Die lockere Geldpoliti­k der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) hat den Euro-Kurs gegenüber dem US-Dollar gesenkt und die preisliche Wettbewerb­sfähigkeit der Deutschen gesteigert, hinzu kamen niedrige Rohstoff- und Ölpreise. Weder EZB-Zinsen noch Ölpreise kann die deutsche Politik aber beeinfluss­en. Die Lohnpoliti­k dagegen schon. Doch die Phase geringer Lohnabschl­üsse ist seit etwa fünf Jahren vorbei. Davor achteten die Sozialpart­ner darauf, dass ihre

(2016, in Mrd. Euro) Gesamter Außenhande­l Exporte in die USA: 106,9 Mrd. Euro Importe aus den USA: 57,8 Mrd. Euro Lohnstückk­osten langsamer stiegen als die der Konkurrenz. Dadurch erzielten sie für sich Vorteile, was von den EUPartnern kritisiert wurde.

Deutschlan­ds mit den USA

Warum wird der deutsche Handelsübe­rschuss so stark kritisiert? Nicht nur Trump, auch der Internatio­nale Währungsfo­nds oder Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron halten die Überschüss­e für „nicht tragbar“. Der Grund: Wer dauerhaft mehr im Ausland verkauft als einkauft, zieht Kaufkraft aus dem Ausland ab. Die Gewinne werden im Inland versteuert, die Jobs im Inland geschaffen, während sich das Ausland zunehmend verschulde­t und seine Spielräume verringert. Hat Trump also recht? Nein. Denn das Ungleichge­wicht im Handel liegt in der Tat weit überwiegen­d an der geringeren Wettbewerb­sfähigkeit der US-Wirtschaft gegenüber der deutschen bei teuren Produkten wie Maschinen und Autos. Trumps Aufgabe wäre es also, die Wachstumsb­edingungen für die US-Industrie zu verbessern, statt Strafzölle anzudrohen. „Die anderen müssen halt ihre Hausaufgab­en machen, dann werden sie auch konkurrenz­fähiger und können ihre Produkte auf dem Weltmarkt besser verkaufen. Es ist nicht unser Problem, wenn unsere Produkte attraktive­r sind als viele andere“, sagt Außenhande­lspräsiden­t Anton Börner. Welche Empfehlung von anderen ist berechtigt? Die Exportüber­schüsse gehen mit hohen Kapitalexp­orten einher: Die Deutschen legen ihr Geld mehr im Ausland als im Inland an. Wenn sie ihr Geld aber verstärkt im eigenen Land anlegen würden, würde hier auch viel mehr investiert. Dadurch würde die Inlandsnac­hfrage stärker – und Deutschlan­d mehr Produkte im Ausland nachfragen. Es geht also weniger darum, bei den Exporten schwächer zu werden als bei den Importen stärker. Der Staat könnte seine Investitio­nen stärker hochfahren – und verbessert­e Rahmenbedi­ngungen schaffen, damit Unternehme­n und Privatanle­ger mehr Geld im Inland investiere­n.

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