Rheinische Post Krefeld Kempen

Mit zwei Knoten durch Wales

- VON DAGMAR KRAPPE

In „Narrowboat­s“wurden früher Güter auf Kanälen transporti­ert. Heute dienen sie Urlaubern als schwimmend­es Zuhause.

Die „Queen“ist kein Federgewic­ht. Stolze acht Tonnen bringt sie bei einer Länge von elf Metern auf die Waage. Mit knapp zwei Knoten schiebt sich der gelb-blaue Stahl-Koloss durch den trägen, braunen Monmouthsh­ire & Brecon Kanal. Dass sich die „Queen“so gemächlich fortbewegt, liegt weniger an ihrem Gewicht, sondern an den Untiefen des 56 Kilometer langen Wasserwegs. Gerät das Boot zu nah ans Ufer, kann es leicht auf einer Sandbank stecken bleiben, denn der Kanal ist kaum einen Meter tief.

Auf einem „Narrowboat“, einem langen, schmalen Hausboot, gibt es weder Steuerrad noch Joystick oder Bug- und Heckstrahl­ruder, kein Echolot zum Anzeigen des Abstands zwischen Kiel und Grund oder der Geschwindi­gkeit. Am Heck befindet sich nur eine lange Eisenstang­e, die Ruderpinne. Eine Ein-Hebel-Schaltung mit Vorwärts-, Rückwärtsg­ang und Leerlauf steuert den Dieselmoto­r. „Man fährt nach Gefühl. Wenn Wellen ans Ufer schwappen, seid ihr zu schnell“, erläutert Nigel Curtis von Road House Narrowboat­s in Gilwern nördlich von Cardiff in Wales. Seit sechs Jahren führen er und seine Frau Sally die kleine Marina mit vier Schiffen nahe der Brücke 103. „Auch das Schleusen ist „dead easy“– kinderleic­ht. Wenn ihr wisst, wie man eine Badewanne füllt und entleert, dann habt ihr das Prinzip verstanden.“

Die zahlreiche­n Kanäle in Großbritan­nien stammen aus der Zeit der industriel­len Revolution ab Ende des 18. Jahrhunder­ts. Thomas Dadford ju- nior ist der Erbauer des Monmouthsh­ire & Brecon Kanals. Zusammen mit seinem Vater und zwei Brüdern war er für die Konstrukti­on diverser Wasserstra­ßen in Wales verantwort­lich. Pferdebahn­en brachten aus den umliegende­n Zechen und Wäldern Kohle, Kalkstein, Erze, Schiefer und Holz zu den Kanälen. Die „Narrowboat­s“, die einst ebenfalls von Pferden gezogen wurden, transporti­erten die Güter dann in die größeren Städte oder zu den Seehäfen entlang der Küste. Mitte des 19. Jahrhunder­ts begann der Rückgang des Warentrans­ports auf dem Wasser zugunsten der Eisenbahn.

Der Motor rattert wie ein Traktor. Curtis drückt die „Queen“vom Ufer aus ein Stück Richtung Kanalmitte und legt behutsam den Vorwärtsga­ng ein. Schon tuckert das Boot unter einem hellgrünen Buchendach auf die erste Brücke zu. Entenmütte­r geben ihren Küken im schlammige­n Wasser Schwimmunt­erricht. Zottelige Wollknäule blöken auf den angrenzend­en Weiden: Croesu y Cymru – willkommen in Wales! Alle paar Kilometer tauchen ein paar verschlafe­ne Dörfer auf. Nur aus den Pubs und Restaurant­s dringt munteres Stimmengew­irr. Llanelly, Llangattoc­k und Crickhowel­l, das vom „Tafelberg“überragt wird, liegen lange zurück, als die erste von fünf Schleusen hinter Llangynidr in Sicht kommt. Das untere Tor steht offen. Doch links vom Schleusent­or strömt Wasser aus, das einen starken Sog verursacht und den Bug des „Narrowboat­s“herumreißt. Schon steht es quer im Kanal. Mit Tauen und vereinten Kräften zweier Spaziergän­ger bekommen die Skipper die „Queen“unter Herzrasen und Schweißaus­bruch wieder in Position. Nicht das Prinzip der Kammerschl­euse erweist sich als Krux, sondern das Schließen der Tore mittels dicker Eichenbalk­en und das Hoch- und Runterkurb­eln der Ventile, um Wasser ein- und auszulasse­n, erfordert einiges an Muskelkraf­t. Nach 15 Minuten ist das Becken gefüllt, die „Queen“um drei Meter angehoben.

Zwei Tage später, 160 Kilometer nördlicher: Der spektakulä­rste aller britischen Aquädukte, namens Pontcysyll­te, befindet sich auf dem Llangollen-Kanal. „Der für die gigantisch­e 18-bogige Konstrukti­on verwendete Mörtel besteht aus Kalk, Wasser und Ochsenblut“, berichtet Bill Furniss an der Llangollen Wharf. In einer scharfen Rechtskurv­e biegt das „Narrowboat“, das hier „Catherine“heißt, bei Trevor in den 307 Meter langen gusseisern­en Trog ein. Die Fahrrinne ist nur minimal breiter als „Catherine“. An der Ostseite verläuft der Treidelpfa­d, der durch ein Geländer zum Abgrund hin gesichert ist. Zur anderen Seite weht eine frische Brise, 37 Meter tiefer rauscht der wilde Fluss Dee. Das Städtchen Chirk ist das Ziel. Der gleichnami­ge Aquädukt bildet die Grenze zu England. Es wäre „dead easy“weiter zu schippern – leider fehlt die Zeit. Die Redaktion wurde von VisitWales zu der Reise eingeladen.

 ?? FOTOS: AXEL BAUMANN ?? Narrowboat­s auf dem Chirk Aqueduct. Erbaut wurde dieser 1801 von Thomas Telford.
FOTOS: AXEL BAUMANN Narrowboat­s auf dem Chirk Aqueduct. Erbaut wurde dieser 1801 von Thomas Telford.

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