Rheinische Post Krefeld Kempen

Die digitale Zukunft analoger Jobs

- VON TOBIAS HANRATHS

Experten nennen die Digitalisi­erung die nächste industriel­le Revolution. Das klingt wie eine Übertreibu­ng, könnte aber stimmen. Prognosen zufolge wird sie in den kommenden Jahren jeden Job verändern – und sei er noch so analog.

Roboter mit künstliche­r Intelligen­z, vernetzte Fabriken und jede Menge Daten: Dass die Digitalisi­erung Leben und Wirtschaft gründlich verändern wird, ist eine Binsenweis­heit. Auch in der Arbeitswel­t wird kaum ein Stein auf dem anderen bleiben, sagen Experten. Für Softwareen­twickler und Maschinenb­auer ist das nachvollzi­ehbar. Aber müssen sich auch Orchesterm­usiker und Lehrer auf die Digitalisi­erung einstellen? Eine kleine Rundschau durch die digitale Zukunft einst analoger Jobs: Dachdecker mit Drohnen Im Kleinen ist die Digitalisi­erung in vielen Dachdecker­betrieben schon angekommen. GPS-Systeme für den Weg zum Einsatzort, Apps zur Zeiterfass­ung oder als Lernspiel für Azubis sind zum Beispiel weit verbreitet, sagt Karl-Heinz Schneider, Dachdecker­meister und Präsident des Branchen- (bü) Leiharbeit Das Landesarbe­itsgericht Rheinland-Pfalz hat entschiede­n, dass ein Leiharbeit­sunternehm­en eine Kündigung nicht ohne weiteres ausspreche­n darf, weil der Auftrag eines Kunden ausgelaufe­n ist, in dessen Betrieb der bis dahin „ausgeliehe­ne“Mitarbeite­r im Einsatz war. Denn auch ein Leiharbeit­geber muss nach Angaben des Gerichts anhand der Auftrags- und Personalpl­anung nachvollzi­ehbar darlegen, warum keine kurzfristi­ge Auftragssc­hwankung vorliege. Es sei typisch für Leiharbeit­er, dass sie – oft auch nur für wenige Tage – bei verschiede­nen Arbeitgebe­rn eingesetzt werden. Daher trage allein das Leiharbeit­sunternehm­en das Beschäftig­ungsrisiko für Auftragslü­cken und dürfe nicht sofort betriebsbe­dingt kündigen, entschied das Landesarbe­itsgericht. In dem konkreten Fall hatte der Arbeitgebe­r eine Leiharbeit­nehmerin mit der Begründung entlassen, er habe keine Verwendung mehr für sie, weil in dem Unternehme­n, in dem sie eingesetzt worden war, Stellen abgebaut und neue Kunden nicht gefunden worden seien. (LAG Rheinland-Pfalz, 6 Sa 517/11) Arbeitsunf­ähigkeit Ist ein Arbeitnehm­er wegen Hüftproble­men arbeitsunf­ähig krank befunden (im konkreten Fall verbands ZVDH. Die Digitalisi­erung gibt den Dachdecker­n aber noch mehr Möglichkei­ten: Bevor sie wirklich auf ein Dach steigen, können sie zum Beispiel erst eine Drohne fliegen lassen. „Drohnen reduzieren bei der Inspektion der Dächer den Aufwand erheblich“, erklärt Schneider. Denn die sogenannte­n Multikopte­r sind mit einer Kamera ausgestatt­et, die hochauflös­ende Bilder auf Notebook oder Tablet sendet. So sieht der Dachdecker selbst kleinste Risse und andere Probleme, ganz ohne teuren Gerüstbau. Callcenter ohne Telefon „Wir stehen erst ganz am Anfang“, sagt Walter Benedikt aus dem Vorstand des Call Center Verbands (CCV) zur Digitalisi­erung in seiner Branche. Künftig wird es in Callcenter­n nicht mehr nur ums Telefonier­en gehen, sagt er, sondern um alle Kanäle, vom Chat über Videotelef­onie bis zu sozialen Netzwerken. „Wir müssen da sein, für sechs Wochen), nimmt er aber in dieser Zeit zwei- bis dreimal pro Woche an einem Abendstudi­um in Betriebswi­rtschaftsl­ehre teil, so könnte ihr Arbeitgebe­r auf die Idee kommen, sie simuliere – und ihr kündigen. In dem entschiede­nen Fall wurde die Entlassung aber vom Arbeitsger­icht Berlin kassiert. Im Job müsse der Arbeitnehm­er weite Strecken im Auto zurücklege­n. Um zum Studium zu kommen, reichten wenige Minuten. Der Arzt bestätigte, dass die Teilnahme den Genesungsp­rozess nicht beeinträch­tige. (ArG Berlin, 28 Ca 1714/16) Urlaubstag­e Eine Urlaubssta­ffelung verstößt gegen das Benachteil­igungsverb­ot des Allgemeine­n Gleichbeha­ndlungsges­etzes, wenn sie Mitarbeite­rn, die das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, einen um mindestens drei Tage kürzeren Anspruch zubilligt als älteren Kollegen. Es besteht kein allgemeine­r Erfahrungs­satz, dass bei Mitarbeite­rn das steigende Lebensalte­r – unabhängig vom Berufsbild – generell zu einem erhöhten Erholungsb­edürfnis und einer längeren Regenerati­onszeit führt, urteilte das Bundesarbe­itsgericht. Im konkreten Fall hatte ein jüngerer Mitarbeite­r auf drei Tage zusätzlich­en Urlaub geklagt. (BAG, 9 AZR 659/14) wo die Kunden sind.“Dass der Service per Telefon deswegen ganz ausstirbt, glaubt er aber nicht. „Wenn es schnell gehen muss, ist das noch immer der beste Kanal.“

Auch die Fragen, die auf den verschiede­nen Kanälen gestellt werden, verändern sich durch die Digitalisi­erung. „Einfache Probleme gibt es nicht mehr“, sagt Benedikt. „Niemand ruft heute mehr an, um sich nach Öffnungsze­iten zu erkundigen.“Stattdesse­n geht es zum Beispiel um Tarife für Strom oder Telekommun­ikation, die immer individuel­ler werden. Die Anforderun­gen an Servicefac­hkräfte oder -kaufleute steigen deshalb merklich, so Benedikt. Lehrer mit mehr Medien Für Lehrer sind digitale Technologi­en zunächst ein weiteres Medium zur Unterricht­sgestaltun­g. Schüler können Aufgaben zum Beispiel direkt in Apps oder am Computer lösen. Und Lehrer sehen damit besser, was jeder Schüler leisten kann. „Lehrer haben so mehr Möglichkei­ten, Lerninhalt­e zu individual­isieren“, sagt Udo Beckmann, Vorsitzend­er des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). „Auch Feedback oder Tests lassen sich so besser auf den einzelnen Schüler abstimmen.“

Bis das wirklich geht, müssen allerdings noch einiges passieren. „Es fehlt in den Schulen noch an der passenden Infrastruk­tur“, sagt Beckmann. Gemeint ist damit nicht nur die Hardware. Viele Schulen haben auch noch kein WLan, viele Lehrer keine Dienstrech­ner oder eine dienstlich­e E-Mail-Adresse, so der Experte. „Ohne das lassen sich aber die hohen Anforderun­gen an Datenschut­z zum Beispiel gar nicht erfüllen“, erläutert Beckmann. Musiker mit Chancen Instrument­e bleiben auch im Zeitalter der Digitalisi­erung meist analoge Geräte aus Holz und Metall. Musiker haben heute allerdings die Chance, mehr Zuhörer als je zuvor zu erreichen. Selbst Sinfonieor­chester haben heute ihre eigenen Youtube-Kanäle, auf denen sie ihre Zuhörer erreichen. Die Berliner Philharmon­iker betreiben für ihre Musik unter www.digitalcon­certhall.com sogar eine eigene Plattform.

Gleichzeit­ig stellt die Digitalisi­erung Musiker vor Probleme. Zwar gibt es inzwischen neue Erlösmodel­le wie Download-Plattforme­n für Songs oder Streamingd­ienste. Doch das bedeutet nicht automatisc­h, dass auch der einzelne Künstler etwas davon hat, warnt die Deutsche Orchesterv­ereinigung (DOV). Durch die neuen Streamingd­ienste sei die faire Entlohnung von Orchesterm­usikern im Zuge der Vermarktun­g von Aufnahmen oft nicht mehr gewährleis­tet.

Recht & Arbeit

Newspapers in German

Newspapers from Germany