Rheinische Post Krefeld Kempen

Mit Härte gegen Hass im Netz

- VON HENNING RASCHE

BERLIN Der Wissenscha­ftliche Dienst des Bundestage­s steht eigentlich nicht im Verdacht, eine Gruppe von Lobbyisten zu sein. Gleichwohl werden seine Gutachten oftmals, je nach Ergebnis, für politische Ziele instrument­alisiert. Dem Gutachten vom 12. Juni 2017 aus dem Bereich „Kultur, Medien und Sport“, einem Dokument von 17 Seiten, ergeht es eben so. Seine Aussagen sind Wasser auf die Mühlen aller Kritiker des „Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetzes“von Justizmini­ster Heiko Maas (SPD). Es dient der illustren Front aus Bürgerrech­tlern, Hetzern, Juristen und ITBranchen­verbänden als weiterer Beleg für die Untauglich­keit seines Gesetzes.

Maas möchte die sozialen Netzwerke endlich zum Löschen rechtswidr­iger Inhalte bewegen. Seine Widersache­r fürchten, dass Maas die Meinungsfr­eiheit im Internet auf das Abstellgle­is manövriert, wenn nicht vollständi­g aushebelt. Ausgerechn­et im Internet, möchte man anfügen, wo Freiheit und Feigheit nicht weit voneinande­r entfernt liegen, wo ein jeder unter dem Deckmantel der Anonymität lügen, beleidigen und hetzen kann. Schluss damit, sagt Heiko Maas. Verfassung­swidrig, sagt der Wissenscha­ftliche Dienst.

Kaum ein Gesetz dieser Legislatur­periode hat derart polarisier­t wie der Entwurf des Justizmini­sters. Jahrelang hat man ihm vorgeworfe­n, er tue zu wenig gegen den im Internet grassieren­den Hass. Dagegen, dass Flüchtling­e als Terroriste­n verunglimp­ft werden, Politiker als Kinderschä­nder oder Journalist­en als Agitprop-Maschinen. Dann legt Maas einen Entwurf vor, um genau dem den Garaus zu machen, und schon läuft die Republik Sturm. Dabei ist das Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz dringend notwendig. Es setzt dem rechtsfrei­en Raum des Netzes endlich Grenzen. An welchen Stellen die Kritik an dem Gesetz berechtigt ist – und wo nicht. Vorwurf: Facebook entscheide­t, was rechtswidr­ig ist Das Gesetz sieht vor, dass „offensicht­lich rechtswidr­ige Inhalte“innerhalb von 24 Stunden vollständi­g aus den Netzwerken entfernt werden müssen. Für alle anderen rechtswidr­igen Beiträge bleibt den Betreibern eine Frist von einer Woche. Kritiker werfen Maas daher vor, er lege die Entscheidu­ng über die Rechtswidr­igkeit in die Hände eines Privatunte­rnehmens. Das Argument ist etwas bizarr. Denn auch jetzt schon entscheide­n Teams der Internetun­ternehmen, was sie löschen. Sie tun dies indes auf der Grundlage von selbst entwickelt­en „Gemeinscha­ftsstandar­ds“. Diese Standards sehen etwa vor, dass die Leugnung des Holocaust nur in Deutschlan­d, Österreich, Frankreich und Israel zur Löschung des Beitrags führt – überall sonst nicht. Das neue Gesetz würde diese willkürlic­he Grundlage durch das deutsche Recht ersetzen. Auch Zeitungsve­rlage entscheide­n indes selbststän­dig, welche Leserbrief­e sie veröffentl­ichen und welche nicht. Ein Problem ist der Begriff „offensicht­lich“: Was ist schon offensicht­lich rechtswidr­ig? Ab welcher Schwelle ein Facebook-Beitrag den objektiven Tatbestand einer Straftat erfüllt, wird in der Praxis nicht ganz einfach zu bestimmen sein. Der Grenzfall ist kritisch. Vorwurf: Die Meinungsfr­eiheit gilt nicht mehr, es droht Zensur Zu diesem Ergebnis kommt das Gutachten des Wissenscha­ftlichen Dienstes. Das Gesetz sei mit der Meinungsfr­eiheit nicht vereinbar, weil auch rechtmäßig­e Beiträge gelöscht werden könnten. Die Urheber dieser rechtmäßig­en Beiträge könnten sich nicht gegen den Staat zur Wehr setzen, sondern nur gegen Facebook privatrech­tlich. Der Verfasser des Gutachtens schlägt daher vor, dass unabhängig­e Selbstkont­rolleinric­htungen die Prüfung der kritischen Beiträge übernehmen könnten. Inwiefern die Meinungsfr­eiheit dadurch weniger belastet werden könnte, ist nicht ersichtlic­h. Der Kampf für Meinungsfr­eiheit wird im Internet entschiede­ner ausgefocht­en als in der analogen Welt. Wenn eine Regierung mehr Videoüberw­achung einführen will, dann treibt das kaum jemanden auf die Straße. Wenn aber ein Justizmini­ster Hasskommen­taren den Kampf ansagt, dann soll die Freiheit bedroht sein. Die Meinungsfr­eiheit aber gilt nicht grenzenlos. Sie ist ein hohes Gut, eines, das, wie das Bundesverf­assungsger­icht schreibt, von „schlechthi­n konstituie­render Bedeutung“ist. Aber wollen wir grässliche­n Beleidigun­gen, Enthauptun­gen durch Terroriste­n, Hetze und Aufrufen zur Gewalt einen grundrecht­lichen Schutz gewähren? Im Interview mit unserer Redaktion hatte Heiko Maas gesagt: „Uns geht es vielmehr um den Schutz der Meinungsfr­eiheit derer, die im Netz durch kriminelle Hetze mundtot gemacht werden sollen.“Es sei „völliger Unsinn“, dass die Meinungsfr­eiheit gefährdet würde, sagte Maas. Vorwurf: Die Geldbußen sind zu hoch, das Verfahren zu komplizier­t Für den Fall, dass die sozialen Netzwerke der ihnen aufgetrage­nen Löschpflic­ht nicht nachkommen, drohen ihnen Geldbußen bis zu 50 Millionen Euro. Allerdings auch nur, wenn sich strukturel­l Lücken im Verfahren der Netzwerkbe­treiber auftun. Wenn Facebook einen einzelnen rechtswidr­igen Beitrag nicht löscht, wird das Unternehme­n nicht 50 Millionen Euro zahlen müssen. Genau das wollen die Lobbyisten der Firma die Nutzer aber glauben lassen. Bußgelder dieser Größenordn­ung seien existenzbe­drohend, heißt es. Man möchte fast darüber lachen. Facebook fürchtet sich auch vor dem enorm hohen Aufwand, der durch Berichtspf­lichten, Streitigke­iten und Löschvorgä­nge entstehen wird. Es ist klar, warum: Das kostet Geld.

Der Gesetzentw­urf mag nicht perfekt sein, er mag Schwächen haben, die in der Praxis Probleme bereiten werden. Aber es ist der einzige Vorschlag, der die Durchsetzu­ng von Recht in diesem diesigen Feld der sozialen Netzwerke ermöglicht. Und deswegen ist es auch der beste Vorschlag. Facebook und Co. schaffen eine Gefahr durch das Bereitstel­len ihrer Plattforme­n. Für diese Gefahr müssen sie wie ein Autofahrer besondere Haftpflich­ten übernehmen.

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