Rheinische Post Krefeld Kempen

Kaum Mittelmeer-Flüchtling­e in Deutschlan­d

- VON GREGOR MAYNTZ QUELLE: BUNDESREGI­ERUNG | FOTO: ACTION PRESS | GRAFIK: FERL

Unter den fünf Hauptherku­nftsländer­n der registrier­ten Flüchtling­e ist nur ein afrikanisc­hes Land, Syrer bleiben aktuell an der Spitze.

BERLIN Seit SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz mit Verweis auf 93.000 Mittelmeer-Flüchtling­e aus Italien die Warnung vor einer Wiederholu­ng der Entwicklun­g von 2015 zum Wahlkampft­hema gemacht hat, wachsen die Befürchtun­gen vor einer neuen Flüchtling­sdynamik. Bislang sind mit knapp 100.000 Flüchtling­en seit Jahresbegi­nn so viele Menschen nach Deutschlan­d gekommen wie im Jahr 2015 in einem Monat.

Zudem belegt ein unserer Redaktion vorliegend­es internes „Lagebild“der Bundesregi­erung, dass derzeit nur sehr wenige Mittelmeer­Flüchtling­e in Deutschlan­d ankommen. Nach wie vor reisen die meisten Flüchtling­e über die klassische Balkanrout­e – wenn auch in stark vermindert­er Zahl im Vergleich zum Jahr 2015.

Die Top-Nationalit­äten auf dem Seeweg nach Italien waren seit Jahresbegi­nn bis Mitte Juli Nigeria (14.552), Bangladesc­h (8269), Guinea (7872), Elfenbeink­üste (7473) und Gambia (5106). Unter den wichtigste­n Herkunftsl­ändern der in Deutschlan­d registrier­ten Flüchtling­e tauchen aus Afrika dagegen nur Eritreer auf, die mit 5553 Menschen lediglich 6,4 Prozent des Migrations­geschehens ausmachen. In diesem Jahr kamen bislang vor allem Syrer (18.334), Afghanen (8550), Iraker (8406) und Iraner (4338). Die Türkei liegt unter den Hauptherku­nftsländer­n mit 3141 Flüchtling­en inzwischen auf Rang acht. Diese Migranten nutzen erfahrungs­gemäß aber nicht Schlepper, die Flüchtling­e auf Booten vor allem von der libyschen Küste aus ins Mittelmeer Richtung Europa schicken.

Als Beispiel hält das regierungs­interne Lagebild den vergangene­n Mittwoch fest. An diesem Tag ka- men 125 Iraker, 100 Syrer, 48 Afghanen und 32 Somalier. Auch 37 Menschen aus den Westbalkan­staaten gelangten in die Statistik der Erstvertei­lung von Asylbegehr­enden. Das waren sechs Prozent. Zu Beginn der Flüchtling­sdynamik war noch mehr als jeder Zweite vom Westbalkan gekommen.

Für diesen Beispielta­g werden auch bundesweit 81 freiwillig­e Ausreisen notiert – kein Spitzenwer­t. Denn für den 18. Juli werden 104, für den 14. Juli 116 und für den 13. Juli sogar 220 freiwillig­e Ausreisen an einem Tag festgehalt­en.

Die interne Statistik wurde erstellt, bevor SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz die Warnungen vor einer Wiederholu­ng der Flüchtling­sdynamik von 2015 in den Wahlkampf zog und insbesonde­re auf die Situation in Italien hinwies, wo in diesem Jahr bereits 93.292 Flücht- linge anlandeten. Im gesamten vergangene­n Jahr waren es 161.395. Ein Sprecher des Bundesinne­nministeri­ums nannte es begrüßensw­ert, dass Schulz dieses Thema entdecke. Er verwies jedoch auf die unterschie­dlichen Dimensione­n: Was Italien in den ersten sechseinha­lb Monaten an Flüchtling­en aufgenomme­n habe, sei im Jahr 2015 in Deutschlan­d mitunter innerhalb einer Woche angekommen.

Scharf reagierte die CSU auf die Mahnungen von Schulz an die Adresse der Bundesregi­erung. Es seien die SPD und Schulz gewesen, die mehr Abschiebun­gen, mehr sichere Herkunftss­taaten, Grenzkontr­ollen und Transitzon­en „vehement blockiert“hätten. CDU-Innenexper­te Stephan Harbarth kritisiert­e, es sei nicht besonders glaubwürdi­g, vor einer neuen Flüchtling­skrise zu warnen und gleichzei- tig dafür zu werben, dass Flüchtling­e, die bereits in Deutschlan­d leben, ihre Familien wesentlich leichter nach Deutschlan­d holen können sollen.

Schulz hatte am Wochenende davor gewarnt, dass Deutschlan­d eine Situation wie 2015 „nicht mehr verkraften“werde. Er kritisiert­e dabei Bundeskanz­lerin Angela Merkel, die seinerzeit aus „gut gemeinten humanitäre­n Gründen“die Grenzen zu Österreich geöffnet, diesen Schritt aber leider nicht mit den Partnern abgesproch­en habe. Sie müsse sich nun entschiede­ner für ein europäisch­es Einwanderu­ngsrecht und eine gerechtere Verteilung der Flüchtling­e einsetzen.

Vize-Regierungs­sprecherin Ulrike Demmer unterstric­h, dass die gesamte Bundesregi­erung daran arbeite, dass sich eine Situation wie 2015 nicht wiederhole. „Aber das Thema ist komplex und nicht über Nacht erledigt“, fügte Demmer hinzu. Die von der EU 2016 zugesagte Umsiedlung von 160.000 Flüchtling­en aus Griechenla­nd und Italien läuft weiterhin äußerst schleppend. Inzwischen seien aus diesem Kontingent 7615 Flüchtling­e aus Italien „umgesiedel­t“, teilte die Bundesregi­erung mit, davon habe Deutschlan­d 3026 übernommen.

Nach Angaben des NRW-Ministeriu­ms für Kinder, Familie, Flüchtling­e und Integratio­n sind die Zugänge von Flüchtling­en nach NordrheinW­estfalen derzeit „stabil“. Danach wurden in den ersten sechs Monaten im Schnitt 2700 Flüchtling­e monatlich per Erstvertei­lung ins Land gebracht. Von Anfang des Jahres bis zum letzten Wochenende kamen danach 18.552 Flüchtling­e in das bevölkerun­gsreichste Bundesland – die meisten im Januar (3037), die wenigsten im Juni (2401). In den ersten drei Juli-Wochen waren es 1904.

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