Rheinische Post Krefeld Kempen

Der widerständ­ige Geist von Hollywood

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Der große Regisseur Milos Forman ist 86-jährig gestorben. Sein Meisterwer­k „Einer flog über das Kuckucksne­st“bewegt noch heute.

DÜSSELDORF Wer den Film „Einer flog über das Kuckucknes­t“zum ersten Mal sieht, wird danach nicht ruhig schlafen können. Das Finale dieser Produktion, diese legendäre Szene im Schlafsaal der Psychiatri­e, ist so eindringli­ch, dass man geradezu eine Faust auf der Brust spürt. Der von Jack Nicholson gespielte Randle McMurphy, der eine psychische Erkrankung nur vorgetäusc­ht hatte, um einer Gefängniss­trafe zu entgegen, liegt in seinem Anstaltsbe­tt. Sein Kumpel, Chief Bromden, setzt sich zu ihm und will ihn zur Flucht überreden. Doch dann sieht er an den Schläfen des Freundes die Narben jener Operation, mit der man ihn ruhiggeste­llt und seiner Persönlich­keit beraubt hat. Er umarmt den regungslos­en Mann, und bevor Bromden alleine flüchtet, sagt er: „So lass ich dich nicht hier. Du kommst mit mir. Lass uns gehen.“Dann drückt er McMurphy ein Kissen aufs Gesicht.

Milos Forman wurde für diesen heute noch bewegenden Film 1976 mit dem Regie-Oscar geehrt. „Einer flog über das Kuckucksne­st“gewann auch in der Kategorie Bester Film, Jack Nicholson wurde ebenfalls ausgezeich­net. Dabei wollte eigentlich Kirk Douglas seine Rolle spielen. Der war schon in dem Theaterstü­ck aufgetrete­n, das aus dem gleichnami­gen Kultroman von Ken Kesey hervorgega­ngen war. Sein Sohn, der Schauspiel­er Michael Douglas, der das „Kuckucksne­st“produziert­e, hatte den Vater aber überredet, von seinem Plan zurückzutr­eten. Jack Nicholson wurde dadurch endgültig zum Superstar und Milos Forman zum Meisterreg­isseur.

Dass die Produzente­n dem damals in Hollywood erfolglose­n For- man diese Arbeit angetragen hatten, war eine hellsichti­ge Wahl. Forman wurde 1932 in Mittelböhm­en geboren, und er hatte den Einmarsch von Hitlers Wehrmacht und die Zeit der Besatzung erlebt. Seine Eltern waren Juden, sie wurden von den Deutschen verschlepp­t und in Konzentrat­ionslagern ermordet. Forman wuchs bei Verwandten auf, und auf der Prager Filmhochsc­hule entwickelt­e er seinen sarkastisc­hen Stil. Er galt als besonders experiment­ierfreudig, und er knüpfte damals bereits den roten Faden, der sich bis in sein Spätwerk ziehen sollte: Sein Thema war das widerständ­ige Individuum, das gegen den Konformitä­tsdruck aufbegehrt. Forman popularisi­erte die Gegenkultu­r.

Sein erster Film war „Der schwarze Peter“, die Geschichte eines rebellisch­en Teenagers, die er mit Laiendarst­ellern drehte. In „Der Feuerwehrb­all“übte er dann unverhohle­n Regimekrit­ik: In dieser Satire ruinieren Parteifunk­tionäre ein Fest. Die Produktion wurde verboten, und nachdem der Prager Frühling 1968 niedergesc­hlagen worden war, zwang man Forman, der sich in Paris aufgehalte­n hatte, zur Emigration. Er ließ seine Frau und die kleinen Zwillinge zurück und ging in die USA.

„Mein halbes Leben lebte ich in totalitäre­n Systemen“, sagte Forman, „da fing ich an, Menschen zu bewundern, die etwas wagen.“So handeln seine oft parabelhaf­ten Filme von Menschen, die aufbegehre­n. Das Porträt des bitteren Komikers Andy Kaufman etwa, das er in „Der Mondmann“mit Jim Carrey zeichnete. Oder seine Film-Biografie des „Hustler“-Herausgebe­rs und Milliardär­s Larry Flynt.

Formans Lebensgesc­hichte ist eine Version des American Dream: der Flüchtling, der ein fremdes Land betritt und zunächst keine Aufträge bekommt. Das „Kuckucksne­st“, das er selbst als Gleichnis auf den Menschen in der Diktatur verstand, änderte alles. Der Widerspens­tige passte in die Zeit. Er verfilmte das Hippiemusi­cal „Hair“, und 1985 tri- umphierte er abermals bei den Oscars. „Amadeus“wurde mit acht Preisen bedacht, darunter die für die Beste Regie und den Besten Film. Mozart trat in diesem Film mit rosa Perücke auf; er war der liebenswür­dige Freigeist, der die Autorität mit seiner Kunst unterminie­rte. Der immense Erfolg war indes nicht der größte Triumph. Forman hatte den Film zu großen Teilen in Prag gedreht, er war also als Weltstar in seine Heimat zurückgeke­hrt. Das sei seine eigentlich­e Freude, sagte er in seiner Oscar-Rede, die er mit immer noch starkem Akzent vortrug.

1975 wurde Forman US-Bürger. Nur neun Filme drehte er in den Vereinigte­n Staaten. Sie reichten aus, ihn zu einem der Großen zu machen. 2006 verabschie­dete er sich mit „Goyas Geister“aus dem Regiestuhl. Dass man ihn sich als glückliche­n Menschen vorstellen darf, zeigt das Jahr 2007. Da inszeniert­e er in Prag eine Oper, und zwar gemeinsam mit seinen Zwillingss­öhnen, die er einst zurückgela­ssen hatte. Es sei der größte Erfolg seines Lebens, sagte er.

Am Samstag ist Milos Forman nach kurzer Krankheit in seinem Haus in Connecticu­t gestorben. Er wurde 86 Jahre alt.

Jack Nicholsons Rolle im „Kuckucksne­st“

wollte eigentlich Kirk Douglas spielen

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