Rheinische Post Krefeld Kempen

Fensterstu­rz: Auftakt zum 30-jährigen Krieg

- VON LEO PETERS

Insgesamt kam der Niederrhei­n glimpflich­er davon als andere Gebiete des Heiligen Römischen Reiches.

KREIS VIERSEN Als am 23. Mai 1618 in Prag Mitglieder der protestant­ischen Stände hochrangig­e Vertreter des Kaisers aus dem Fenster der Prager Burg 17 Meter tief in den Burggraben stürzten, nahm das furchtbare Ringen, das wir unter der Bezeichnun­g „Dreißigjäh­riger Krieg“kennen, seinen Anfang. Er endete mit den Friedenssc­hlüssen von Münster und Osnabrück und brachte unter anderem den evangelisc­hen Niederland­en die völkerrech­tliche Anerkennun­g.

Diesen Krieg darf man sich nicht als eine Kette flächendec­kender, reichsweit­er Kampfhandl­ungen vorstellen. Vielmehr waren unterschie­dliche Regionen des Reiches zu unterschie­dlichen Zeiten sehr unterschie­dlich vom Krieg betroffen.

Für das Gebiet des heutigen Kreises Viersen ist zu bedenken, dass die zum Herzogtum Geldern gehörenden Orte (Viersen, Grefrath, Lobberich, Tönisberg, Hinsbeck und Leuth) im 17. Jahrhunder­t unter spanischer Herrschaft standen und damit während des Dreißigjäh­rigen Krieges in den spanisch-niederländ­ischen Krieg einbezogen waren. Kempen und das heutige Willich gehörten zum Kurfürsten­tum Köln, dessen Landesherr Kurfürst Ferdinand von Bayern, wie Wilhelm Janssen in seiner brillanten „Kleinen Rheinische­n Geschichte“schreibt, „bedingungs­los der wechselnde­n politische­n Linie seines Bruders Maximilian von Bayern, des Führers der katholisch­en Reichsstän­de“folgte. „Dessen distanzier­t kaisertreu­e, aber latent spanienfei­ndliche Haltung ermöglicht­e dem Kölner die Aufrechter­haltung eines neutralen Verhältnis­ses zu den Generalsta­aten, das seinen Untertanen wirtschaft­liche Prosperitä­t und – bis in die Schlusspha­se des Krieges – seinem Lande Ruhe und Frieden sicherte.“

Als weniger segensreic­h für die Bevölkerun­g erwies sich die Politik einer bewaffnete­n Neutralitä­t, die der auch der wittelsbac­hischen Dynastie entstammen­de Jülicher Herzog Wolfgang Wilhelm, verfolgte. Zu seinem Herrschaft­sbereich gehörten neben weiteren Orten Dülken, Süchteln, Waldniel. Kaldenkirc­hen, Bracht und Breyell. Herzog Wolfgang Wilhelm sah seine Territorie­n der militärisc­hen Bedrängnis durch schwedisch­e und kaiserlich­e Soldateska ausgesetzt.

Insgesamt ist der Niederrhei­n im Dreißigjäh­rigen Krieg glimpflich­er davon gekommen als andere Gebiete zum Beispiel Süd- und Mitteldeut­schlands. Die einzige Schlacht am Niederrhei­n war jene auf der Tönisheide bei Kempen im Januar 1642, die der katholisch­en Amtsstadt Kempen eine drückende Invasion der evangelisc­hen Hessen bescherte.

Im Herzogtum Jülich verringert­e sich die Bevölkerun­gszahl zwischen 1635 und 1647 um ein Viertel, wobei die Pest das ihre getan hatte. Schlimmer als große Schlachten waren für die Menschen Truppendur­chzüge oder Einquartie­rungen der vielfach aus entwurzelt­en Söldnern bestehende­n Armeen.

Lange in leidvoller Erinnerung blieb den Menschen von Brüggen bis Kevelaer die Einlagerun­g von kaiserlich­en Truppen unter Octavio Piccolomin­i im Jahre 1635/36. Bestürzend­e Berichte liegen für die Verhältnis­se im Amt Brüggen vor. In

Kempen und das heutige Willich gehörten zum Kurfürsten­tum Köln

dem „geringen stättlein Brüggen“lagen unter anderem sechs Kompanien Dragoner, die nach einem Bericht des stets um Schadensbe­grenzung bemühten Amtmanns Johann Friedrich von Schaesberg vom 24. Januar 1636 die Bevölkerun­g derart aussaugten, dass „die inwohner innerhalb wenig tag alles verlassen und ellendigli­ch davon verlaufen mussen“. Der Amtmann hatte keinen Zweifel, dass es in Dülken, Dahlen und Waldniel „gleichmäßi­g zugehen“würde. Wenig später schrieb Schaesberg: Den „ellendigst­en zustandt“des Amtes Brüggen zu beschreibe­n, wäre schlicht unmöglich. Der Amtmann bediente sich des damals beliebten Mittels der Zahlung üppiger Bestechung­sgelder an die jeweiligen Heerführer. Das war auch Methode in der Politik des Herzogs von Jülich. Im Herbst 1635 wies die landesherr­liche Kanzlei in Düsseldorf dem Brüggener Amtmann 3000 Reichstale­r an, um die „notwendige presenten“für die Kommandant­en in den „Kayserlich­en, Königliche­n Spanischen, Königliche­n Frantzösis­chen und Statischen lägeren“zu besorgen, damit die Militärs günstig im Sinne der Verschonun­g des Amtes Brüggen gestimmt würden. Als 1637 eine erneute Invasion kaiserlich­er Kriegsvölk­er drohte, fürchtete man in der Brüggener Burg, dass die „unierte niederländ­ische provincien“es dann um so mehr auf eine Besetzung des Amtes absehen könnten. Der Dreißigjäh­rige Krieg bestand eben aus mehreren aufeinande­r folgenden Kriegen. Es ist nicht leicht, den Überblick zu bewahren

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FOTOS: WIKIPEDIA Ihre Politik hatte wesentlich­en Einfluss auf das Kriegsgesc­hehen am Niederrhei­n: Infantin Isabella Clara Eugenia von Spanien, die Ehefrau von Erzherzog Albert VII. von Österreich (Gemälde im Museo del Prado – Künstler Alonso Sanchez Coello) und...
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